25.09.2014

Eva – oder wie die Frauen verteufelt wurden

Von Horizonte Aargau

Während Jahrhunderten durften Frauen an keiner Universität studieren. Das, aber auch Hexenverfolgungen, hätte es vielleicht nicht gegeben ohne eine verfälschende Auslegung der Geschichte vom Paradies. In ihrem Buch «Eva» zeigt die 74-jährige Alttestamentlerin Helen Schüngel-Straumann, wie ein kurzer Text fatale Wirkung entfaltet hat. Wichtige Gedanken daraus fasste sie im Interview zusammen.

Von Eva ist in der Bibel fast nur am Anfang die Rede. Warum soll jemand ein ganzes Buch über Eva lesen?
Helen Schüngel-Straumann: Am Anfang geht es in der Bibel um die Schöpfung. Und die ist für die Theologie sehr wichtig. Und alle kennen Eva. Man muss nur einen Apfel und eine Schlange zeigen, und alle wissen, was gemeint ist. Diese Geschichte hat das Frauenbild unglaublich stark geprägt. Zum Text – der nicht ganz einfach zu lesen ist, weil er so raffiniert formuliert ist – und zu seiner Wirkungsgeschichte gibt es einiges zu sagen.

Die Geschichte von Eva ist die Geschichte des Sündenfalls. Was hat diese alte Geschichte mit dem heutigen Frauenbild zu tun?
Um das gleich deutlich zu machen: Die Wörter Sünde oder Sündenfall kommen dort nicht vor. Die Geschichte handelt vom Garten und davon, dass die Menschen ein Gebot übertreten. Weil die Frau als erste von der Frucht gegessen hat – man sagt immer Apfel, aber es ist einfach von einer Frucht die Rede –, weil sie die erste war, die davon ass, hat man im Verlauf der Kirchengeschichte begonnen, die Frau als Ursache für die Sünde zu betrachten. Damit angefangen hat Augustinus um 400 nach Christus. Er wertete die Frau stark ab mit der Begründung, sie habe den Mann verführt. Der Mann habe nur gesündigt aus Solidarität, weil er die Frau in ihrem Elend nicht allein lassen wollte.

Wenn auch das Wort Sündenfall in der Erzählung nicht vorkommt: Es ist doch Eva, die sich von der Schlange verführen lässt. Das steht doch so in der Bibel.
Es steht, dass die Schlange die Frau getäuscht hat. Das heisst aber nicht, dass sie die grössere Schuld hat. Der Mann stand ja neben ihr, und auch er ass. Warum sagte er nichts, tat er nichts? Dass die Frau als erste genannt wird, hängt mit einem altorientalischen Bildmuster zusammen; Baum, Schlange und Frau sind darin miteinander verbunden.

Aber die Bibel sagt doch, dass Gott zuerst den Adam erschuf und erst später die Eva. Dass die Frauen den zweiten Platz einnehmen ist da doch grundgelegt?
Nein. Gott hat zuerst den Menschen geschaffen. Adam heisst Mensch. Erst durch die Schaffung der Frau wurde aus dem Rest ein Mann. Adam ist kein Eigenname. In der Geschichte von der Sintflut kommt zehnmal Adam vor, immer ist die Menschheit insgesamt gemeint.

Wenn Sie sagen, dass in Adam Mann und Frau gemeinsam erschaffen wurde, passt das auch besser zum Schöpfungsbericht, der der Erzählung vom Paradiesgarten vorausgeht…
Dieser Text ist später entstanden, in der Zeit des Exils, da geht es um die Erschaffung der ganzen Welt in sechs Tagen. Und dort ist auch von Adam die Rede: Gott erschuf Adam, den Menschen, männlich und weiblich erschuf er sie. Und dann sagt Gott zu Adam, sie sollen herrschen über die ganze Welt. Auch das geht an beide.

Wie kam dann die Frau auf den zweiten Platz, hinter dem Mann?
Interessanterweise gibt es im ganzen Alten Testament keine Stelle, die der Frau eine besondere Schuld zu weist. Auch nicht bei den Propheten, die doch viel über die Sünde sprechen. Das kommt erst in Texten ab dem dritten vorchristlichen Jahrhundert, die nicht in die Bibel Eingang fanden, den sogenannten Apokryphen. Da wird über das Leben von Adam und Eva nach dem Paradies erzählt, und die Frau jammert: «Warum habe ich dich verführt?». In dieser Zeit wurden die Frauen sehr verachtet, und zwar von Männern, die meist asketisch lebten. Da hat das angefangen.

Der erste Timotheus-Brief im Neuen Testament nimmt auch Bezug auf die Erschaffung von Adam und Eva und fordert die Unterordnung der Frauen mit der Begründung: «Denn Adam wurde als erster gebildet, daraufhin Eva.»
Dieser Brief stammt nicht von Paulus, obwohl er das vorgibt. Er wurde um das Jahr 100, also 50 Jahre später als die echten Paulusbriefe, verfasst. Dieser Text entstand auf dem Hintergrund der Apokryphen. Während Paulus Leiterinnen von Hauskirchen kennt, Junia als Apostelin bezeichnet, Phöbe den Römerbrief nach Rom bringen lässt, heisst es hier plötzlich: «Zu lehren erlaube ich der Frau nicht.» Das ist eine der folgenreichsten Stellen, die es überhaupt gibt. Paulus würde sich im Grabe umdrehen.

Sie gehören zu den ersten Frauen, die an einer Universität eine Professur in katholischer Theologie erhielten. Hat das mit diesem «Lehrverbot» zu tun?
Frauen durften ja jahrhundertelang überhaupt nicht an einer Universität studieren. Von der Gründung an bis vor gut 100 Jahren waren die Universitäten reine Männergesellschaften. Vorher konnten zumindest Äbtissinnen sich an theologischen Auseinandersetzungen beteiligen, etwa Hildegard von Bingen.

Sie haben in Ihr Buch viele Abbildungen des Sündenfalls aufgenommen. Warum?
Zum einen ist da gut zu sehen, wie mit der Zeit, vor allem ab dem 13. Jahrhundert, die Abwertung Evas und damit der Frauen immer drastischer wird. Und gleichzeitig wird die Schlange immer weiblicher dargestellt, erst mit einem Frauenkopf, dann mit Brüsten. Und der Schlangenkopf gleicht immer mehr der Eva, gleichzeitig wird aus der Schlange der Teufel. Davon steht ja nichts in der Bibel. In Genesis 3,1 heisst es: «Die Schlange war klüger als alle Geschöpfe, die Jahwe-Gott gemacht hatte.» Zum andern: Die Menschen im Mittelalter lasen ja nicht die Texte, sie sahen die Bilder und Skulpturen. Und wenn dann ein Unglück geschah oder die Pest kam, suchte man nach Schuldigen. Die Frauen dienten als Sündenbock.

Heute sind wir klüger, können auch die Bibel mit andern Augen lesen. Hat sich die Wirkung der frauenfeindlichen Auslegung von Genesis 1 bis 3 damit verflüchtigt?
Noch lange nicht. In der katholischen Kirche sind die Frauen ja noch lange nicht gleichberechtigt. Die Wirkung hält bis heute an. Auch bei vielen Frauen, die ihr Schuldbewussstsein verinnerlicht haben.

Alois Schuler, kipa

 

Hinweis: Helen Schüngel-Straumann. «Eva. Die erste Frau der Bibel – Ursache allen Übels?» Verlag Ferdinand Schöningh, Paderborn 2014.

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