24.03.2016

Faul dürfen wir erst im Paradies wieder sein

Von Anne Burgmer

Gerade mal ein paar Zeilen ist er lang, der Text der Eidgenössischen Initiative für ein bedingungsloses Grundeinkommen. So glatt er sich liest, so sehr fordert er zum Nachdenken heraus. Denn was die Initianten vorlegen ist eine Utopie, die unser Verständnis der Arbeitswelt verändert.

Am Anfang war das Chaos. Doch Gott sprach und ordnete das Durcheinander; er erschuf den Menschen und was ihm sonst in den Sinn kam. Alles hätte paradiesisch bleiben können, wäre der Mensch weniger neugierig oder weniger widerspenstig gewesen. Die Strafe für das menschliche Vergehen im Paradies: Rauswurf, Arbeit und Geburtsschmerz. Gegen den Geburtsschmerz gibt es immer bessere Medikamente, deren Verwendung jeder Frau je nach Wunsch freigestellt ist, ohne dass darüber moralisch geurteilt würde. Bei der Arbeit sieht es anders aus: Leistung ist gut und wird belohnt, Faulheit ist schlecht und wird bestraft. Wer nicht weiterkommt, hat sich nicht genügend angestrengt. Das fängt in der Schule an und nimmt im Arbeitsleben seinen Fortgang. Die «Initiative für ein bedingungsloses Grundeinkommen» will das nun ändern und präsentiert ein mögliches «Medikament» gegen den ökonomischen Zwang zur Arbeit.

Die Absicht ist gut, die Details sind unklar

Die Vorstellung «Lohn nur für Arbeit» ist derart tief in unseren Köpfen verankert, dass die Initiative, über die die Schweizer Stimmbürger am 5. Juni 2016 abstimmen werden, wie pure Spinnerei anmutet. Jeder Einwohner der Schweiz soll – ohne irgendwelche Bedingungen zu erfüllen – eine finanzielle Grundlage erhalten, die ihm und ihr ein Leben in Würde ermöglicht.

So bestechend die Idee, so unklar ist alles weitere. Denn die paar  Zeilen Initiativtext definieren lediglich einen Grundsatz, legen nichts fest: Keine Höhe des Grundeinkommens, keinen Finanzierungsweg. Zwar werden 2 500 Franken pro Erwachsenen und 625 Franken pro Kind bis 18 Jahre diskutiert, doch die Idee ist, dass die letztendliche Höhe in einem demokratischen Prozess festgelegt werden soll. Im Buch «Die Befreiung der Schweiz. Über das bedingungslose Grundeinkommen» und auf ihrer Internetseite www.bedingungslos.ch erläutern die Initianten, wie sie sich ihre Idee vorstellen.

Klar ist vor allem eines: Jeder Mensch soll monatlich ein bedingungsloses Grundeinkommen erhalten – egal ob arm oder reich, jung oder alt, krank oder gesund. Die bestehenden Löhne würden entsprechend tiefer ausgehandelt, jeder zusätzlich verdiente Franken kann behalten werden. Auf den ersten Blick hat also nur ein kleiner Teil der Einwohner der Schweiz einen direkten finanziellen Mehrwert. Doch darum geht es den Initianten letztlich auch nicht. Wichtig ist in ihrem Ansatz, dass es ein Grundeinkommen gibt, dass jeder Mensch ungeschuldet erhält und unter das er nicht fällt. Auch nicht, wenn er seinen Job verliert.

Weil dieses Geld alle erhalten, gibt es keine Stigmatisierung von Personengruppen mehr, die aus den verschiedensten Gründen aus dem Arbeitsmarkt fallen. Das gesamte Sozialhilfesystem könnte vereinfacht werden. Und: Menschen, die wissen, dass ihre grundsätzliche Existenz garantiert gesichert ist, können freier in Verhandlung mit ihren Arbeitgebern treten.

«Wir wollen keinen gänzlich neuen Markt. Es geht auch nicht darum, dass alle dasselbe verdienen. Doch wenn jemand ein Grundeinkommen hat, ist er in einer anderen Verhandlungsposition, wenn er zusätzliche Arbeit sucht. Das hat zur Folge, dass der Markt spielen kann», sagt Christian Müller, einer der Mitinitianten. Arbeitgeber müssten dann ihrerseits vermehrt darüber nachdenken, was sie bereit sind, für bestimmte Arbeiten zu zahlen.

«Kirche und Utopien – das passt doch!»

Was auffällt, in verschiedenen Diskussionen zum Thema melden sich immer wieder Theologinnen und Theologen zu Wort. Die reformierte Theologin Ina Prätorius ist Mitglied des Initiativkomitees und die Ordensschwester Ingrid Grave findet sich im Unterstützerkreis.

Im Aargau bietet der reformierte Pfarrer Reto Studer in der Gemeinde Kelleramt insgesamt drei Anlässe zum Thema an: «Auch wenn die Initianten aus der Sicht einer grossen Mehrheit nicht die richtige Antwort geben mögen: Ich bin überzeugt, dass sie die richtigen Fragen stellen! Die Kirche soll meiner Meinung nach ein Ort sein, wo solche grundsätzlichen Fragen verhandelt werden, und das möchte ich mit meinen Lektüreabenden sowie einem öffentlichen Vortrag des Sozialethikers Hans Ruh ermöglichen. Kirche und Utopien… das passt doch!»

Dass das bedingungslose Grundeinkommen kein Allheilmittel ist, ist dabei allen klar. «Das bedingungslose Grundeinkommen löst nicht schlagartig alle Probleme, sondern ist ein Baustein innerhalb des umfassenden Projekts «Soziale und ökologische Gerechtigkeit», das viel mehr umfasst: Infrastruktur, Bildung, Umwertung…», sagt Ina Prätorius.

Der Theologe und Sozialethiker Thomas Wallimann-Sasaki, Leiter des Sozialinstituts KAB Zürich, sagt: «Aus christlicher Sicht bringt die Forderung nach einem Grundeinkommen so ziemlich alle wichtigen Merkmale für eine gerechte Gesellschaftsordnung zusammen. Es misst dem Menschen vor jeder Arbeit den gleichen Wert zu; es ist ein Zeichen der Solidarität und es betrifft das Gemeinwohlverständnis, indem es für alle gleich gute Ausgangsbedingungen schaffen will.»

Thomas Wallimann-Sasaki benennt, was auf Seiten der Gegner für Überzeugungen stehen: Zunächst ein Menschenbild, welches davon ausgeht, dass der Mensch im Grunde faul ist und nur durch Druck und Zwang Bereitschaft zeigt, sich kreativ und leistungsbereit für die Gemeinschaft einzusetzen. Weiter kritisieren die Gegner, dass nicht klar wird, wie das Grundeinkommen finanziert werden soll.

Pragmatische Politiker gegen philosophische Utopie

Eben diese Positionen finden sich auch bei den Parteien im Aargau. Sie haben ihre Parolen zwar noch nicht gefasst, sind aber der Tendenz nach gegen die Initiative. Die Reaktionen auf eine kleine Umfrage zeigen die Hauptargumente: «Arbeit muss sich lohnen (auch finanziell)»; «der Wert der Arbeit wird untergraben»; «es fehlt der Anreiz, zu arbeiten», schlussendlich «werden die Faulen belohnt und die Fleissigen bestraft». Es wird die Überzeugung deutlich, dass etwas, das ohne Bedingung zur Verfügung gestellt wird, vermutlich eher Schlechtes als Gutes im Menschen wecken wird.

Zur Argumentation wird in einigen Fällen überdies die Bibel bemüht: «Seit der Vertreibung aus dem Paradies müssen wir unser tägliches Brot mit Leistung verdienen. Wir haben keine Anzeichen, dass eine Rückkehr ins Paradies kurz bevor stünde», sagt Pascal Furer, Parteisekretär der SVP Aargau auf die Frage, warum die SVP die Nein-Parole ergreifen werde. Marianne Binder, Präsidentin CVP Aargau, bemüht den Thessalonicherbrief (2 Thess 3, 10) in dem Paulus auf die Regel hinweist, dass, wer nicht arbeiten will auch nicht essen soll. Damit wird gemäss Marianne Binder die Eigenverantwortung und die Freiheit betont und dass man sich nicht von anderen abhängig machen solle. Im Dienste der Gemeinschaft, die ihre schwächsten Mitglieder dann aber tragen soll, wenn sie es nicht selber für sich tun können.

Allein aus den Reihen der Jungen Grünen Aargau heisst es, dass auf kantonaler und nationaler Ebene vielleicht die Stimmfreigabe beschlossen werde, da die Initiative zum Bedingungslosen Grundeinkommen nicht richtig eingeordnet werden könne.

Die Initiative wird – so prophezeien es Demoskopen – am 5. Juni 2016 vermutlich mit grosser Mehrheit abgelehnt werden. Die Fragen, die die Initiative stellt, werden dadurch nicht verschwinden.

 

Einen Beitrag von Ina Prätorius zum Thema Bedingungsloses Grundeinkommen finden Sie hier.

Es gab bereits «Feldversuche» mit dem Grundeinkommen. Hier finden Sie Berichte über Dauphin (Kanada, 1974), Otijivero (Namibia 2008) und Pläne in Finnland (2015).

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