08.08.2019

«feu sacré»: Tanz im Kloster Fahr

Von Carmen Frei

  • «Tanz gibt es real nicht im Klosteralltag», erklärt Priorin Irene Gassmann vom Kloster Fahr und ergänzt mit einem Schmunzeln: «Höchstens an der Fasnacht!».
  • Tanz gibt es bald ganz real im Klosteralltag. Vom 29. August bis 22. September 2019 im Kloster Fahr. Die Produktion «feu sacré» ist eine tänzerische Hommage an die Schriftstellerin und Benediktinerin Silja Walter und die legendäre Tänzerin Susana.
  • Zwei Frauen; zwei völlig unterschiedliche Lebenswelten und dennoch verband sie eine tiefe Freundschaft.

 

«Tanzen und Sein; ist dasselbe. Tanzen heisst; leben und lieben. Tanzen heisst; auferstehen.» Was Silja Walter 1972 in ihr Gedicht «Tanzlied am Ende» fasste, lebte Susana. Am 10. Oktober 1916 in Niederscherli im Kanton Bern als Susanne Looser in eine Arztfamilie hinein geboren, spürte sie schon früh ihre Berufung zur Tänzerin und zog folge dessen nach Sevilla: «Ich kann nichts dafür, ich muss», lautete ihr Kommentar. 1948 begann in Genf ihre weltweite Karriere als Tänzerin zusammen mit dem Spanier José de Udaeta. Nach der Beendigung ihrer Tourneetätigkeit mit José konzentrierte sich Susana auf ihre intensive Unterrichtstätigkeit. 1983 entstand dazu ein Dokumentarfilm. Der Film «Flamenco at 5:15» wurde mit einem Oscar ausgezeichnet.

Zeitlose Schaffenskraft

Am 23. April 1919 kam in Rickenbach im Kanton Solothurn Silja Walter als zweites von neun Kindern einer Verlegerfamilie zur Welt. 1948 trat sie ins Benediktinerinnenkloster Fahr ein. Nach Jahren des nicht einfachen Einlebens ins Kloster schrieb sie einzelne Auftragswerke wie «Wettinger Sternsinger». 1983 führte ein Radiogespräch Schwester Maria Hedwig nach längerer Schweigezeit wieder mit ihrem Bruder Otto F. Walter zusammen; der in Anlehnung daran entstandene Gesprächsband «Eine Insel finden» wurde ein Beststeller. In der Folge schrieb Silja Walter Lyrik, Prosabände, Festspiele, Oratorien und wichtige theologische Texte.

Verbindende Sehnsucht

«Susana und Silja lernten sich über Peter Schifferli kennen, dessen Arche-Verlag früher Silja Walters Texte herausgab», weiss die Choreografin Brigitta Luisa Merki. «Beide hatten Sehnsucht nach dem, was die andere lebte.» So sehr die Klosterfrau Auftritte genoss, so sehr wünschte sich die weltberühmte Tänzerin Rückzug und Ruhe. «Begegneten sich die beiden Frauen, tanzte die reformierte Susana mit der katholischen Nonne und Silja Walter wurde Susana zur geistlichen Begleiterin.» Auch seien Tanz und klösterliche Lebensweise durchaus verwandt, findet die künstlerische Leiterin der Tanzcompagnie «Flamencos en route»: «Wer den Tanz zum Beruf macht oder im Kloster bestehen will, muss mit sich im Reinen sein.»

Susana, Silja und Brigitta Luisa

Silja Walter war schon der jugendlichen Brigitta Luisa Merki ein Begriff, war sie doch Wettinger Sternsingerin. Susana begegnete sie mit 18 Jahren, als sie erstmals deren Sommerkurs in Zürich belegte: «Ich war sofort im Flamenco zuhause.» Susana und deren Mann Antonio Robledo beeinflussten ihre künstlerische Entwicklung. 1984 wurde Susana auf Initiative ihrer Meisterschülerin Brigitta Luisa Merki künstlerische Leiterin und Choreografin der Tanzcompagnie «Flamencos en route» in Baden. 1994 trat Brigitta Luisa Merki ihre Nachfolge an.

Schritt für Schritt

Susana und Silja umgaben Brigitta Luisa Merki also bevor Priorin Irene Gassmann sie anfragte, im Rahmen von «Silja Walter 1919-2019» ein Tanzprojekt zu realisieren. «Schon bei der ersten Begegnung mit Brigitta Luisa Merki ist der Funke gesprungen», erzählt die Priorin. «Und das Projekt entwickelte sich fast wie ein Tanz – es ging Schritt für Schritt voran, eine Idee eröffnete die nächste.» Brigitta Luisa Merki: «Überdies stellte ich in diesem Unterwegssein freudig fest, dass ‚feu sacré’ die Jubiläumsproduktion zum 35-jährigen Bestehen von ‚Flamencos en route’ wird.»

Vom inneren Feuer

«feu sacré» ist eine tänzerische Hommage an Susana und Silja, an ihren Mut, ihre Inspiration. Fünf Flamenco- und zwei zeitgenössische Tänzerinnen begleitet von fünf Musikerinnen und Musikern kreieren ausgehend von den klösterlichen Räumlichkeiten St. Anna Kapelle, Propsteigarten, dem Gang vor dem Silja Walter-Raum, Sprechzimmer, Klostergarten, der Klosterkirche und dem Friedhof ein Tanzpoem, das sich zwischen der Sehnsucht des Individuums und dem Wunsch nach Aufgehobensein in der Gemeinschaft bewegt», konkretisiert Choreografin Brigitta Luisa Merki.

Tanzen und Sein ist dasselbe

Susana verstarb 2010. Brigitta Luisa Merki: «Sie war mir nahe als Mensch, als Frau, als Künstlerin. Ich betreute sie bis zum letzten Atemzug.» In ihrem letzten überlieferten Tagebucheintrag vom Dezember 2010 schrieb Silja Walter: «Es ist hart (. . .) für mich, jetzt zu tanzen.» Am 31. Januar 2011 schloss auch sie für immer die Augen. Als tänzerisch-musikalische Inszenierung lebt die lebenslange Freundschaft zwischen Susana und Silja vom 29. August bis 22. September im Kloster Fahr nochmals auf, denn: «Tanzen und Sein; ist dasselbe. Tanzen heisst; leben und lieben. Tanzen heisst; auferstehen.»

 

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