24.06.2019

Flüchtlingstag zwischen Tränen und Zuversicht

Von Marie-Christine Andres Schürch

  • Der kantonale Flüchtlingstag vom Samstag, 22. Juni, in Baden zog viele Menschen an.
  • Die beteiligten Organisationen und geflüchtete Menschen versuchten, nachvollziehbar zu machen, was Flucht bedeutet.
  • In die Erschütterung über die Schicksale der Geflüchteten mischten sich aber auch Zuversicht und die Hoffnung, Fluchtwege sicherer machen zu können.

 

Der Gang durch die Badener Badstrasse in Richtung Bahnhofplatz war am Samstagnachmittag gepflastert mit schlimmen Erinnerungen und schwer zu verdauenden Geschichten. Dabei kamen die Erzählungen ganz nüchtern daher: Mit Filzstift stichwortartig auf ein Stück Karton notiert. «Der Motor ist zu schwach. Wasser kommt ins Boot, wir schöpfen Wasser», stand da zum Beispiel. Für den interaktiven Fluchtweg in der Badstrasse hatten geflüchtete Männer und Frauen die Erinnerungen an ihre Flucht zu Protokoll gegeben. Unaufdringlich lagen die Kartons auf dem Asphalt, zunehmend aufgeweicht durch den Regen. Viele Passanten ging gedankenverloren darüber hinweg, andere lasen ein paar Zeilen und setzten ihren Weg achselzuckend fort.

Interaktiver Fluchtweg mit hohem Symbolgehalt

Der interaktive Fluchtweg hatte einen hohen symbolischen Gehalt. So sind die Geflüchteten mit ihren traumatischen Erlebnissen zwar hier, doch ihr Leid bleibt oft unbeachtet. Erst, wenn das Schicksal einen Namen bekommt, vermag es die Menschen zu berühren. Umso schöner, dass sich einige der Besucherinnen und Besucher am Flüchtlingstag in Baden dafür gewinnen liessen, den Schicksalen einen Namen zu geben. Mit Kreide schrieben sie Namen von Menschen auf die Strasse, die während der Flucht nach Europa zu Tode kamen. Für Manuel Bischof, Sozialarbeiter der katholischen Kirchgemeinden Wettingen und Würenlos, der sich als OK-Mitglied des Flüchtlingstags selber am Namenschreiben beteiligte, eine aufwühlende Erfahrung: «Bei den ersten Namen, die ich auf die Strasse schrieb, kamen mir die Tränen.»

«Sichere Fluchtwege jetzt!»

Verschiedene Organisationen aus dem Flüchtlingsbereich hatten Info-Stände auf dem Bahnhofplatz aufgebaut. Die Caritas informierte an ihrem Stand über die Möglichkeit des «Resettlements» für besonders verletzliche Personen, die ihr Land verlassen mussten. Über ein Resettlement-Programm können einige Flüchtlinge sicher und mit Zustimmung des Zielstaats in ein Land einwandern und sich dort dauerhaft niederlassen.

Mandat der Caritas läuft aus

Die Resettlement-Flüchtlinge im Aargau werden von der Caritas betreut. Wie Lydia Weiss vom Fachbereich Asyl und Flucht der Caritas Aargau jedoch erklärte, läuft dieses Mandat in nächster Zeit aus und wird vom Kanton nicht erneuert. Welche speziellen Hilfestellungen diese besonders schutzbedürftigen Geflüchteten danach bekämen, sei zur Zeit noch nicht klar. Dabei gehen die Bestrebungen von Flüchtlingsorganisationen dahin, einen möglichst hohen Prozentsatz an Flüchtlingen in die Resettlement-Programme aufzunehmen. Lydia Weiss verdeutlichte: «Acht Prozent der Flüchtlinge gelten als besonders verletzlich. Heute wird aber lediglich ein Prozent aller Flüchtlinge in ein Resettlement-Programm aufgenommen.»

Ausstellung zur Willkommenskultur

Ein Blickfang auf dem Bahnhofplatz war die Ausstellung «Unvergesslich – unsere Geschichten» von Amnesty International. Überlebensgrosse Porträts zeigten Geschichten von Geflüchteten, die positive Erfahrungen in der Schweiz gemacht haben, sowie von Menschen, die Flüchtlinge in der Schweiz willkommen heissen. Nach den erschütternden Fluchtgeschichten hatten damit auch die Zuversicht und die Hoffnung auf einen Neubeginn ihren Platz am Flüchtlingstag 2019.

Flüchtlingstag vereint Gegensätze

Die vollbesetzte reformierte Kirche, in welcher die offizielle Begrüssung aufgrund des Wetters abgehalten wurde, freute die Organisatoren. Neben der Badener Stadträtin Regula Dell’Anno-Doppler und dem reformierten Kirchenratspräsidenten Christoph Weber-Berg sprachen auch Flüchtlinge an der offiziellen Begrüssung. Der Weltchor Baden mit rund 70 Sängerinnen und Sängern umrahmte die Ansprachen musikalisch. Viel Musik und Tanz gab es auch im Anschluss an den offiziellen Teil. Die Perkussionsklänge und der Gesang lockten die grossen Besucher ins Zelt, diverse Spiele die kleineren auf die Wiese neben der Kirche, wo die Jubla Rütihof das Kinderprogramm gestaltete. Stille Erschütterung und fröhliches Beisammensein vereinten sich am Flüchtlingstag zu einem Fest, das nicht versuchte, in ein Schema zu passen und gerade deswegen zu berühren vermochte.

 

 

 

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