26.06.2016

«Jenseits von Gut und Böse»

Von Carmen Frei

«Es verleiht uns Flügel und legt uns in Fesseln. Es ist das Mass aller Dinge und nicht der Rede wert.» Mit diesen Worten warb das Stapferhaus in Lenzburg für seine Ausstellung GELD, die am Wochenende zu Ende ging. Den ultimativen Schlusspunkt setzt die «Lenzburger Rede» von morgen Abend, 28. Juni, in der Heiliggeistkirche in Bern.

Die Ausstellung «GELD. Jenseits von Gut und Böse» lud in den letzten gut zwei Jahren zu einer Debatte ein, die seit der Antike für heisse Köpfe sorgt: Was ist uns das Geld wert und welchen Preis bezahlen wir dafür? Ist es gerecht verteilt? Wie viel brauchen wir davon, um glücklich zu sein? Ist es das Geld, das die Welt im Innersten zusammenhält? Die Besucherinnen und Besucher wandelten durch den Himmel auf Erden, schwammen im Geld und gaben ihr persönliches Credo ab. Am 25. Juni schloss das Stapferhaus die Ausstellung GELD, den definitiven Schlusspunkt setzt die «Lenzburger Rede» von morgen Abend, 28. Juni, in der Heiliggeistkirche in Bern.

Männer bezahlten mehr

Eine der Besonderheiten der Ausstellung GELD war der frei wählbare Eintrittspreis. Die Daten dazu wurden jüngst von der Stapferhauscrew ausgewertet und brachten Erstaunliches zu Tage. Eines vorweg: Das finanzielle Fiasko blieb aus. Der durchschnittliche Eintrittspreis bei den Erwachsenen lag bei 16 Franken und somit weit höher als der Mindestpreis von sechs Franken, aber auch etwas tiefer als der Eintrittspreis von 19 Franken für frühere Stapferhaus-Ausstellungen. Interessant war der Blick auf die Geschlechter. Während insgesamt mehr Frauen die Ausstellung besuchten, griffen Männer an der Kasse etwas tiefer ins Portemonnaie und bezahlten durchschnittlich 57 Rappen mehr. Spannend war der Blick auf die Zahlungsbereitschaft der Besucherinnen und Besucher aus den besucherstärksten Kantonen Aargau und Zürich. Während Aargauerinnen und Aargauer am wenigsten für den Ausstellungseintritt bezahlten, führen die Zürcherinnen und Züricher die Statistik an und gaben unter dem Strich rund 1.60 Franken mehr für die Ausstellung aus als ihre Kantonsnachbarn, die aber im Gegenzug das Stapferhaus über ihre Steuern besser unterstützen. Wie einer Medienmitteilung zu entnehmen war, zeigten sich auch die Gäste aus den Kantonen Solothurn und Luzern sowie den übrigen Kantonen der Zentralschweiz grosszügig: Sie bezahlten fast 80 Rappen mehr als der Durchschnitt.

Kirche und Kohle

«Die fromme Szenographie bewirkt, dass sich die Ausstellungsbesucher als Gläubige ertappen», kommentierte die Zeitschrift «Hochparterre» die Ausstellung GELD. Das hat gewiss auch die Aargauer Landeskirchen gefreut, die seit Jahren die Stapferhaus-Projekte finanziell unterstützen. Und tatsächlich fand sich insbesondere in der Wortwahl eine frappante Ähnlichkeit zwischen «Kirche und Kohle». Da war die «Himmelstreppe», welche die Ausstellungsbesuchenden hinauf in den Dachstock des Zeughauses ins sogenannte «Jenseits» führte. Da waren die «Propheten», die ein Streit zwischen grossen Denkern über Gott, Geiz und Gier zeigten. Da war die Station «Bekenntnis», bei der die Besucherinnen und Besucher zu ihrem persönlichen Umgang mit Geld befragt wurden: Wie viel ist genug? Was macht glücklich? Hat alles seinen Preis? Christoph Weber-Berg, Kirchenratspräsident der Reformierten Landeskirche Aargau, meinte in der Zeitung «reformiert.»: «Ich betrachte diese Ausstellung als sehr wertvoll. Sie motiviert Menschen dazu, ihr Verhältnis zum Geld zu überdenken. Dass das Geldsystem mit seinen Ritualen, seinem Glauben – Kredit kommt vom lateinischen «credere», glauben – quasireligiöse Dimensionen hat, ist vielen Leuten nicht bewusst.»

Lenzburger Rede

Diese «quasireligiöse Dimension» des Geldsystems prägt auch den Schlusspunkt der jüngsten Stapferhaus-Ausstellung: Die «Lenzburger Rede» von morgen Dienstagabend, 28. Juni 2016, 19.30 Uhr (Abendkasse ab 18.30 Uhr), die von Tomáš Sedláček in der Heiliggeistkirche an Spitalgasse 44, gleich beim Hauptbahnhof in Bern gehalten wird. Die Ausstellungs-Macherinnen und Macher erklären: «Die Kanzel der barocken Kirche ist der passende Ort für Tomáš Sedláčeks Rede mit dem Titel ‚Geld. Jenseits von Gut und Böse?’ Denn Geld als universeller Wertmassstab, die Vergötterung des Marktes, der Glaube an endloses Wachstum: Die Ökonomie ist die dominierende Religion unserer Zeit.»

Wort und Klang zum Geld

Davon ist der Wirtschaftsberater und Bestseller-Autor Tomáš Sedláček überzeugt. Er ist ein Querdenker seiner Zunft und gilt als Philosoph unter den Ökonomen. In seiner «Lenzburger Rede» wird Tomáš Sedláček die Ökonomie zurück an ihren kulturellen Ursprung, zurück zur Moralphilosophie führen. Er enthüllt die Glaubenssätze hinter den ökonomischen Modellen und zeigt, warum es letztlich auch in der Wirtschaft um Werte geht – um Fragen von Gut und Böse.

Der 39-jährige Tomáš Sedláček lehrt er an der Prager Karls-Universität Ökonomie und ihre Geschichte sowie ihre Philosophie und Ethik. Er ist Chefökonom der grössten tschechischen Bank ČSOB und war während der Amtszeit des tschechischen Präsidenten Václav Havel als dessen Berater tätig. Für seinen internationalen Bestseller «Die Ökonomie von Gut und Böse» hat Tomáš Sedláček 2012 den Deutschen Wirtschaftsbuchpreis erhalten. Darin zeigt er, dass die Ökonomie eine Glaubenssache ist und nicht auf Naturgesetzen basiert. Auch in seinem jüngsten Buch «Lilith und die Dämonen des Kapitals», gemeinsam verfasst mit Oliver Tanzer, kritisiert Tomáš Sedláček unser Wirtschaftssystem, ohne es zu verteufeln.

Seine «Lenzburger Rede» wird musikalisch mitgestaltet von Andreas Jud. Er ist Hauptorganist der Stadtkirche Lenzburg, Preisträger internationaler Wettbewerbe in Montréal und Nürnberg sowie Stipendiat im Förderprogramm für junge Musizierende der Notenstein La Roche Privatbank. In der Heiliggeistkirche in Bern wird er Werke rund ums Thema Geld interpretieren. «Wir sparen es eisern und werfen es aus dem Fenster, wir vergöttern und verfluchen es: Aus Geld kann alles werden. Wir haben es in der Hand.»  www.stapferhaus.ch

 

 

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