26.03.2018

«Geldgläubigkeit ist gefährlicher als Islamismus»

Von Andreas C. Müller

  • Am 4. April 2018 findet an der Neuen Kantonsschule Aarau zum ersten Mal ein Projekthalbtag statt, zu dem die Schülerinnen und Schüler der Ergänzungs- und Freifächer Religion aller Aargauer Kantonsschulen zusammenkommen. Thema ist der Umgang mit Extremismus und Radikalismus.
  • Der Halbtag in Aarau wird gestaltet von bekannten Schweizer Persönlichkeiten wie beispielsweise dem streitbaren Basler Soziologen Ueli Mäder, dem Rapper Tommy Vercetti und Luc Humbel, Präsident der Römisch-Katholischen Zentralkonferenz (RKZ).
  • Mit Blick auf die erwähnte Veranstaltung sprach Horizonte mit Simon Küffer alias Tommy Vercetti.

 

Herr Küffer, Sie besuchen am 4. April in Baden einen Projekthalbtag mit Jugendlichen, die sich mit Radikalismus auseinandersetzen. Hört man Ihre Rap-Texte als Tommy Vercetti, fragt man sich schnell: Wie radikal sind Sie?
Simon Küffer: Ich sehe Radikalität eher positiv und versuche das auch zu sein. Und radikal als Anspruch, zu den Wurzeln vorzudringen. So gesehen bedeutet Radikalität auch eine Art von ewiger Suche.

Eine Art konstruktiver Radikalismus also. Können Sie das genauer beschreiben?
Ich möchte in diesem Zusammenhang Radikalismus und Extremismus unterscheiden. Radikal ist für mich jemand, der den Dingen auf den Grund gehen möchte und sich nicht mit oberflächlichen Sichtweisen zufrieden gibt.

Und Extremismus?
Das ist für mich eher negativ. Da, wo es in Irrationalität kippt.

Und wo passiert das? Wo ist die Grenze, ab welcher Radikalismus gefährlich wird?
Gefährlich wird es, wenn sich aufgestaute Wut aufgrund von Enttäuschungen ihren Weg bahnt. Spannend ist, dass heute vielfach versucht wird, gerade religiösem Fundamentalismus einen mittelalterlichen Anstrich zu geben. Dabei haben wir es mit einem hochmodernen, zeitgenössischen Phänomen zu tun, das aus der Frustration und dem Elend entstanden ist, die der heutige Kapitalismus produziert.

Das klingt jetzt sehr sozialistisch. Sind sie Sozialist?
Ja, ich würde mich durchaus als das bezeichnen. Aber nicht in einem historischen Sinne. Das ist vielmehr ein Bekenntnis zu bestimmten gesellschaftlichen Grundannahmen.

Das deckt sich mit dem, was Tommy Vercetti rappt. Handkehrum: Sie haben an einer Hochschule geforscht, schreiben jetzt eine Dissertation. Das vermittelt den Anschein von Angepasstheit. Ist das nicht ein Widerspruch?
Nicht unbedingt. Ich gehöre zu einer politischen Denkschule, die akzeptiert, dass man in einem bestimmten System lebt. Dem kann man sich nicht komplett verweigern.

Wie sind sie Tommy Vercetti geworden?
Als sehr junger Rap-Fan. Die Politisierung ist dann erst später gekommen. Im Alter von 12 Jahren habe ich begonnen, Rap zu hören. Mit 18 Jahren kam ich dann auf die Idee, es selbst zu versuchen – in einem Anflug von adoleszentem Übermut. Oder man kann auch sagen: Ein Gemisch von Interesse und der Absicht, Frauen zu beeindrucken.

Scheint funktioniert zu haben. Sie sind als Rapper bekannt geworden. Können Sie davon leben?
Es bewegt sich auf einem Niveau, wo es stark von meiner Entscheidung abhängt. Ich müsste wie beispielsweise Manillio, der sich vor etwa zwei Jahren entscheiden hat, ganz auf die Karte Musik zu setzen, klar mehr tun. Bei mir deckt es aktuell einen Viertel bis einen Drittel meines Einkommens.

Im Song «La ga, la si» bezeichnen sie Atheisten als bessere Christen. Und im Intro konsumiert jemand Drogen, was an Marx’ Aussage «Religion ist Opium fürs Volk» erinnert. Ist diese Assoziation beabsichtigt?
Absolut. Da geht es auch um eine gewisse Plakativität, mit der Rap arbeitet.

Sie scheinen aber eher negative Erfahrungen mit Religion gemacht zu haben.
Im Grund spiegelt der Song eher den Punkt, an welchem ich mich ernsthaft mit Religion auseinandergesetzt habe. Ich bin auf dem Papier katholisch, habe als Kind und Jugendlicher den Religionsunterricht besucht. Ich bezeichne mich zwar als Atheist, habe aber viel christliche Ethik mitbekommen.

Gleichwohl kommt Religion nicht gut weg in dem Song.
Bei Christen und Muslimen beispielsweise bildet die Religion auch ein Machtsystem, sie wurde Staatsreligion. Das ist hochproblematisch. Aber Religion dreht sich nicht nur um das. Religion hat Menschen Rituale gegeben, hat ihren Alltag strukturiert.

Im Zusammenhang mit Religion wird ja sehr oft auch von Extremismus gesprochen.
Dabei besteht stark die Gefahr, dass Religion zu einem Ersatzschauplatz verkommt. Ich persönlich sehe den gefährlichsten Fanatismus in der Geldgläubigkeit.

In Ihrer Auseinandersetzung mit Religion werden Sie in «La si, la ga» aber auch philosophisch:«Ei Rappe pro Gedanke draa, was aues ufm Spiiu steit». Was steht denn auf dem Spiel?
Das ist die Szene , wo ich mit Jesus rede, ihm Geld biete, dass er mir erklärt, was auf dem Spiel steht. Religion soll ja die Welt erklären. Auch wenn das vielleicht kulturpessimistisch klingt: Es steht auf mehreren Ebenen ganz viel auf dem Spiel.

Wie sollen denn Jugendliche mit Extremismus umgehen? Mit dem eigenen und dem anderer?
Das ist eine gute Frage. Die Jugend ist ein heikles Alter, weil man viel Energie und viele Emotionen hat. In dieser Zeit macht man in der Regel erste wirkliche Frustrationserfahrungen und stösst an Grenzen. So wird man anfällig für einen gewissen Extremismus.

Das beantwortet die Frage noch nicht.
Das stimmt. Wichtig ist, dass Jugendliche sich möglichst kritische Instrumente aneignen können – wie Kritikfähigkeit zum Beispiel. Handkehrum müssten auch alle gleiche Chancen erhalten. Man kann nicht die Bildung abbauen und Kindern von Ausländern keine Lehrstellen geben und sich dann wundern, wenn sich die Jugend radikalisiert.

Und was haben uns Jugendliche voraus?
Jugendliche sind in einem positiven Sinne idealistisch. Es gibt den Spruch: Wenn man mit Zwanzig kein Sozialist ist, hat man keine Herz, wenn man mit Vierzig noch Sozialist ist, hat man kein Hirn. Dem würde ich nicht zustimmen. Viele sind nicht weniger idealistisch, weil sie vernünftiger geworden sind, sondern weil sie abgestumpft sind.

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