03.07.2022

Die Ausstellung «Un-heilig» überrascht mit unerwarteten Anspielungen
«Heiliger Strohsack!»

Von Vera Rüttimann

  • Wer oder was ist heilig? Und wer bestimmt das?
  • Solchen Fragen geht das Museum Eduard Spörri in Wettingen auf den Grund.
  • Noch bis im November zeigt das Museum die Ausstellung «Un-heilig» und feiert damit das 15-jährige Bestehen der Stiftung Eduard Spörri.

Gleich zu Beginn der Tour durch die Ausstellung «Un-heilig» kann der Besucher in den vergoldeten Spiegel des Künstlers Bernard Meier sehen. Er liegt am Boden. Über ihm spiegelt sich ein Heiligenschein. Auf dem Spiegel sind die Worte «auch heilig» zu lesen. Ein Werk als Anspielung auf die grassierende (un-heilige) Selfiekultur? Schon dieses Werk wirft eine Frage auf, die sich durch die ganze Ausstellung zieht: Wer und was ist heilig? Und: Wer bestimmt das?

«Un-heilig»

Die Jubiläumsausstellung ist noch bis am 20. November 2022 im Museum Eduard Spörri in Wettingen zu sehen.

www.eduardspoerri.ch

Freidimensional

In dem schmucken Raum im Obergeschoss gibt es skulpturale und bildnerische Kunstwerke der letzten rund 100 Jahre zu sehen. Und Plakate, die unter dem Motto «freidimensional» Un-Heiliges zum Thema haben. Ihnen gegenübergestellt sind Plastiken. Sie stellen einen witzigen Kontrast her. So ist ein Hund aus Porzellan zu sehen, dessen Titel, gleichsam als Kommentar des Künstlers zu seinem Werk, lautet: «Der wahre Grund – Hier liegt der Hund begraben». Im Eingangsbereich des Museums steht ein weisses Pferd mit einem Horn auf dem Kopf. Der ausgestopfte Schimmel mit Antilopenhorn stammt aus der Sammlung von Tierpräparator Walter Benz. Er zieht den Betrachter auf diese Weise hinein in die Welt der Sagen und Mythen. Das Fabeltier stand im Mittelalter für Treue und Keuschheit.

Wie im Märchen: Im Eingangsbereich erwartet die Besucher ein weisses Einhorn. | Foto: Vera Rüttimann

Wer hat’s erfunden?

Gegenüber steht «Werk ohne Titel» von Kathrin Severin. In ihrer Installation geht die Künstlerin der Frage nach, wer die Urheberschaft der Menschenrechts-Charta für sich beanspruchen kann. Mit einem schwarzen Marker hat sie die Allgemeine Menschenrechts-Charta in Englisch und Arabisch auf eine goldglänzende Rettungsdecke geschrieben.

Auch an anderen Stellen glänzt es golden. Es sind die vergoldeten Eichenblätter des Künstlers Beat Breitenstein. Kunstvoll übereinandergeschichtet und eingerahmt unter Glas, besticht dieses Werk durch seine Schönheit. «In allen Kulturen und Religionen sind Bäume wichtige Bedeutungsträger profaner wie auch sakraler Symbolik», heisst es im Beschrieb zu diesem Werk.

Heilige, Päpste, Wilhelm Tell

Bei der Fotoserie von Livio Piatti lohnt es sich, genau hinzuschauen. | Foto: Vera Rüttimmannn
Nicht golden, aber schwarz und weiss sind die Engelsflügel, die an einer der Wände hängen. Im unteren Stock des Museums lädt diese Installation unter dem Titel «Von Engeln und Bengeln» die Besucher dazu ein, sich unter sie zu stellen und zu posieren. Ein weiterer Blickfang ist an der Wand gegenüber zu sehen. Der Fotograf Livio Piatti stellt unser Bild von Heiligen auf den Kopf. In seiner Fotoserie «Allerlei Heilige» geht es um den Devotionalienkult. Die Figuren zeigen jedoch nicht nur Madonnen- und Heiligenfiguren, wie sie an Wallfahrtsorten wie Einsiedeln zu finden sind. Schaut man genauer hin, stellt man fest: Da passt etwas nicht hin. Mit einem Augenzwinkern hat Livio Piatti in jedes Tableau eine Figur hineingeschmuggelt, die nicht ins Ensemble passt: Päpste, spärlich verhüllte Frauenfiguren oder Wilhelm Tell mit seinem Sohn. Das Werk stellt Fragen wie: Wer gilt der Kirche als heilig? Und: Welche Figuren sind es heute?

Heiliges Kruzifix

Der gekreuzigte Jesus wird selten auf künstlerisch provokante Weise dargestellt. Und wenn doch, knallt’s. Erinnert sei an das Werk des amerikanischen Künstlers Andres Serrano aus dem Jahr 1987. Es zeigt ein Plastikkruzifix, das in einem Glastank in Urin eingelegt wurde. Vom Wettinger Künstler Eduard Spörri (1901–1995) sind Exponate wie der Hochaltar für Wettingen (um 1930) oder das Werk «Kruzifixus mit den vier Evangelistensymbolen und dem Allmächtigen» (um 1950) zu sehen. Auch Walter Huser und Erwin Rehmann sind mit beindruckenden Kruzifixwerken vertreten. Spörri und Huser schufen zudem viele Skulpturen, die heute auf dem Friedhof Brunnenwiese in Wettingen zu bestaunen sind.

Insgesamt zeigt die Ausstellung «Un-heilig» eine beeindruckend breite Palette an Werken von Künstlern, die sich eines sensiblen und – angesichts der derzeitigen Weltlage – hochaktuellen Themas angenommen haben.

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