02.08.2021

Die Aktion «Helvetia predigt!» zum 1. August wurde im Aargau nur vereinzelt umgesetzt
Helvetia hat gepredigt – da und dort

Von Christian Breitschmid

  • Der Schweizerische Katholische Frauenbund (SKF) hatte dazu aufgerufen, dass am 1. August, dem Bundesfeiersonntag, in möglichst allen Kirchen der Schweiz Frauen die Predigt halten sollten.
  • Anlass zur Aktion «Helvetia predigt!» war der Umstand, dass dieses Jahr das Jubiläum 50 Jahre Frauenstimmrecht in der Schweiz gefeiert werden darf.
  • Vielerorts wurde den Frauen am gestrigen Sonntag das Predigtwort erteilt. In den katholischen Kirchen des Kantons Aargau hatten allerdings einmal mehr die Männer das Sagen.


15 Personen besuchten den Wortgottesdienst zum 1. August in der Pfarrei Guthirt in Aarburg. Mehr als zwei Drittel davon waren Frauen. Eine Frau war es auch, die den Gottesdienst zelebrierte. Pfarreiseelsorgerin Rita Wismann hatte sich für ihren Einsatz an diesem besonderen Sonntag nicht einmal speziell vordrängen müssen. Sie war ohnehin am Tag der Bundesfeier im Liturgieplan als Zelebrantin eingetragen.

Nur wenig Echo

Auch in anderen Pfarreien des Kantons Aargau predigten am Nationalfeiertag vereinzelt Frauen. Allerdings blieb die erwünschte, volle Ladung an geballter Frauenpower in den katholischen Kirchen dieses Kantons aus. Der Schweizerische Katholische Frauenbund (SKF) hatte die Aktion «Helvetia predigt!» mit genügend Vorlauf angekündigt und propagiert. Auch Horizonte hat auf seinen Kanälen für die Aktion geworben. Doch die Gottesdienste, die bewusst unter das vom SKF ausgerufene Motto gestellt wurden, konnte man gestern an einer Hand abzählen. In Wislikofen etwa wurde ein ökumenischer Gottesdienst zum Thema durchgeführt, und im Pastoralraum Aare-Rhein organisierte der Frauenbund Döttingen einen Gottesdienst, in dem sogar Helvetia persönlich auftrat und für die Kirchgänger predigte.

Auf die Frage, warum wohl nicht mehr Pfarreien explizit Frauen hätten predigen lassen, wo doch dieses Jahr auch 50 Jahre Frauenstimmrecht in der Schweiz gefeiert würden, sagt Rita Wismann: «Das lässt sich wohl nicht so einfach herausfinden. Ob es daran liegt, dass zu wenig Werbung für die Aktion gemacht wurde oder ob es vielleicht an der Unsicherheit der Gemeindeleitungen lag, die nicht einschätzen konnten, was passiert, wenn die Frauen zu diesem Thema predigten – ich kann es nicht sagen.»

Auf dem Weg bleiben

Vielleicht sei das Thema im Aargau auch zu wenig wichtig, mutmasst die Pfarreiseelsorgerin, die dabei auch darauf hinweist, wie offen der zuständige Bischof, Felix Gmür, in Bezug auf die Gleichstellung von Mann und Frau agiere. Diesbezüglich ginge es den Frauen in den Bistümern Basel und St. Gallen wirklich viel besser als in anderen Diözesen.

So passte es auch ganz gut, dass Wismann in ihrer Predigt das Sonntagsevangelium, Johannes 6,24-35, ganz bewusst aus Sicht der Frau auslegte. Es gehe darum, auf dem Weg zu Jesus, der das Brot des Lebens für alle Menschen sei, immer wieder zu überprüfen, ob man noch auf dem richtigen Weg sei und dann auf dem eingeschlagenen Weg auch zu bleiben. «Auf dem Weg zu Jesus können wir aber auch Hinweisschilder, Wegweiser sein, nicht nur Suchende und Fordernde», so Wismann am Ende ihrer Predigt.

Im Sinne dieser Wegtreue beantwortete die engagierte Seelsorgerin auch die Frage, was sie als «Helvetia» den Menschen heute sagen würde, gerade im Hinblick auf die Gleichstellung von Mann und Frau: «Bleibt dran, es lohnt sich – auch wenn es nochmals so lange dauert wie damals, bis wir endlich das Frauenstimmrecht gekriegt haben.»

Stimmige Schweizer Musik

Bevor in Aarburg als Schlusslied der Schweizerpsalm angestimmt wurde, las Rita Wismann einen Text von Jacqueline Keune vor. Diesen Text (siehe grauen Kasten unten), hat der SKF, nebst vielen weiteren, als Predigtinspiration für den 1. August auf seiner Website zur Verfügung gestellt. Er wurde in Aarburg, zusammen mit der Predigt und der wunderbar stimmigen Schweizer Musik, die Organist Urs Leu in diesem Gottesdienst einsetzte, zu einem weiteren Höhepunkt.

Das Land erben (Jacqueline Keune)

Selig
die Sprache hat
die ihre Stimme hebt
die das Wort ergreift
die Gehör sich verschafft
und in den Ohren liegt

Selig
die vortritt
die hinsteht
die sich zeigt
die sich zumutet
die deutlich wird

Selig
die neu, die anders, die selber denkt
die die Stirn in Falten legt
die nachfragt
die fragt –
wieder und wieder

Selig
die noch spürt
dass es weh tut
dass es unrecht ist
weniger würdig
weniger wert zu sein
die nicht an den Schmerz sich gewöhnt
die nicht lernt, damit zu leben

Selig
deren Geduld zur Neige geht
die sich nicht länger ausschliessen
die sich nicht länger vertrösten
die sich nicht länger abspeisen lässt
mit den Trostpreisen aus der
kirchlichen Tombola

Selig
die ihre Bedürfnisse benennt
die ihren Anliegen Nachdruck verleiht
die ihre Möglichkeiten nutzt
die ihre Stärken zeigt
die ihre Berufung lebt –
die nicht alleine bleibt

Selig
die sich gleichwertig macht
die sich auf Augenhöhe begibt
die sich selbst ermächtigt
die nicht länger wartet
auf der Herren Gnaden

Selig
die nicht aufgibt
die dranbleibt
die weit, die über Grenzen geht
die ihren Fuss in neue Räume setzt
und das trunkene Blühen schaut

Selig
die ahnt, die hofft, die weiss
dass die Allmacht
dass die Ohnmacht
ein Ende haben
dass der Tag kommen wird
Denn sie werden das Land erben

Nicht von heute auf morgen

Auch in Aarau predigte eine Frau. Die Theologin und Autorin Elisabeth Bernet sprang an diesem Sonntag für den ursprünglich geplanten Zelebranten ein. Auch sie gestaltete ihren Gottesdienst nicht explizit unter dem Motto «Helvetia predigt!», liess es sich aber dennoch nicht nehmen, einen ganz speziellen Text zu schreiben, um den herum sie ihre Predigt aufbaute (siehe grauen Kasten unten).

Wenn auch die SKF-Aktion selbst im katholischen Aargau auf geringes Echo stiess, so haben doch da und dort die Frauen in der Kirche die Gunst der Stunde genutzt und ein Zeichen gesetzt. Sie haben einmal mehr bewusst gemacht, dass diese Kirche ohne die Teilnahme, Mitarbeit und Tragkraft der Frauen nicht überlebensfähig wäre.

Ob Aktionen wie «Helvetia predigt!» etwas zur Besserstellung der Frauen in der Kirche beitragen können, das beurteilt der Vorstand des Frauenbunds Döttingen zurückhaltend: «Das entspräche einer Wunschvorstellung. Es braucht Geduld und Engagement sowie die Erkenntnis, dass auch die weiteste Reise mit einem ersten Schritt beginnt. Solche Aktionen können bestenfalls das Interesse wecken, sich damit auseinanderzusetzen und kritische Fragen zu stellen. Daniel Goleman sagt: ‹Führen bedeutet nicht Herrschaft, sondern die Kunst, Menschen dazu zu bringen, für ein gemeinsames Ziel zu arbeiten›. Das neue Kirchenrecht der römisch-katholischen Kirche spricht leider eine ganz andere Sprache, die uns Frauen nach wie vor schmerzlich demütigt. Insofern können wir die katholische Kirche mit solchen Aktionen sicherlich nicht von heute auf morgen umkrempeln.»

TochterMutter Helvetia (Elisabeth Bernet)

Helvetia
voller Ideale
verschont vor manchem Leid
verschont vor den letzten beiden Kriegen
verschont vor vielem Elend

Helvetia
du willst deine Sache gut machen
für jene, die du liebst
doch – Helvetia –
gib acht –  sei wachsam –  nicht überheblich
leg dich nicht ins Bett
mit der Hinterlist, der Macht und dem Reichtum
bleib auf dem Boden
sieh die Schönheit der Weiden und Wiesen
der Wälder und Seen, der Berge und Täler
bleib in den Ställen und Städten der Bescheidenheit

Mutter Helvetia
welches ist dein Lieblingskind
das Bankenkind
das seine Finger in viele dunkle Geschäfte steckt
auch in die ganz schmutzigen
Mutter Helvetia
welches ist dein Lieblingskind
das, das sich einmauert
das eigene Haus für den Nabel der Welt hält
sich überschätzt und nicht über den Tellerrand sieht
das lieber auf Waffen setzt
statt auf Dialog

Mutter Helvetia
warum hast du die Söhne den Töchtern vorgezogen
warum hast du den Töchtern verboten mitzureden
wolltest du sie als bequeme, stille Dienerinnen
als demütige Ja-Sagerinnen
Mutter Helvetia
du hast all die Talente deiner Töchter vergraben
warum nur, warum

Mutter Helvetia
du hast so viele Kinder
sanfte, starke, leise, laute,
du brauchst sie alle
sei stolz auf die Töchter, die sich durchsetzen
die mitdenken, mitreden, mitgestalten

Mutter Helvetia
mach Herz und Türen auf
besonders denen
die eine Mutter brauchen
eine Mutter voll Verständnis und Weisheit

Schwester Helvetia
wie wirst du sein
in der Zukunft
wirst du ein weites Herz haben
und offene Arme
nicht zuerst für die Schönen, die Reichen, die Erfolgreichen
Schwester Helvetia
wen tröstest du
wem hilfst du auf die Sprünge
Schwester, Mutter Helvetia
lehre alle deine Kinder die Erde achten und lieben
die Luft und das Wasser
die Vielfalt der Pflanzen und Tiere
lehre sie singen und tanzen
lehre sie nein sagen und ja sagen zur rechten Zeit
vor allem aber
lehre sie lieben

Helvetia
steig auf den Berg der Stille
geh in die Niederungen der Armut
schau zu den Sternen ohne nach ihnen zu greifen
schau auf die Erde und ihre Verletzlichkeit
geh voll Mitgefühl und Zuversicht in die Zukunft
ja, geh mit grosser Solidarität

Hat Ihnen dieser Artikel gefallen? Abonnieren Sie unseren Newsletter. Er erscheint alternierend zur Printausgabe alle zwei Wochen – immer mit den aktuellsten Horizonte-Geschichten und oftmals spannenden Verlosungen.