21.12.2015

Hier brennt’s wie am Schnürchen

Von Marie-Christine Andres Schürch

Christbäume stehen in fast allen Aargauer Kirchen. Doch nicht überall entflammen die Kerzen so spektakulär wie in der Pfarrei Schöftland.

Wie Tarzan an der Liane schwingt sich eine Flamme von Docht zu Docht. Flink verschwindet sie hinter den Tannästen, um Sekunden später an anderer Stelle hervor zu schiessen. Scheinbar unberechenbar tanzt das Feuerzünglein um den Baum, stürzt jäh ab, schwingt sich dann zu neuen Höhen auf. Etwa eine Minute dauert das Spektakel, dann verglimmt die Flamme. Auf ihrem wilden Ritt über die Äste hat sie die Kerzen entzündet, die jetzt friedlich am Christbaum brennen. Da soll noch einer sagen, eine Altersheim-Weihnacht sei zum Gähnen! Im katholischen Pfarreizentrum in Schöftland haben sich um die zweihundert Seniorinnen und Senioren mit Angehörigen und Betreuern eingefunden. Die traditionelle Weihnachtsfeier des regionalen Alterszentrums ist eine Feier für alle Sinne. Die Musik von Querflöte und Klavier dringt ins Herz, die Worte des reformierten Pfarrers Daniel Hintermann regen zum Nachdenken an, der Apéro und das damit verbundene Zusammensein stärken gleich zweifach. Heimlicher Star des Nachmittags ist aber der Christbaum. Genauer: die Zündschnur, die sorgfältig um seine Äste gespannt ist. Einmal in Brand gesteckt, entzündet sie die Kerzen und lässt die Herzen höherschlagen.

Knifflige Vorarbeit
Inszeniert wird das weihnächtliche Feuerwerk von Sakristan Heiko Lenz. Den Feuerlöscher hat er in Griffnähe. Gebraucht hat er ihn noch nie, denn gefährlich sei das Anzünden der Kerzen mit der Zündschnur nicht. Doch braucht es etwas Vorarbeit: Heiko Lenz muss die Dochte vom Wachs befreien und die einzelnen Dochtfäden ausbreiten. Blitzschnell muss der Docht Feuer fangen, wenn die Flamme vorbeizischt. «Aber lieber ein paar Kerzen ohne Feuer, als der ganze Baum in Flammen», scherzt der Sakristan. Die Zündschnur kommt traditionell auch im Kindergottesdienst an Heiligabend zum Einsatz – zur Freude von Kindern und Eltern. Heiko Lenz hat die Zündschnur-Methode von seinem Vorgänger übernommen. Laut Pfarreileiter Beat Niederberger steckt aber Religionspädagoge Markus Corradini hinter der Idee. Dessen Vater war Sakristan und pflegte die Christbaumkerzen auf diese spezielle Art zu entzünden. Ganz einzigartig im Aargau ist die Schöftländer Tradition aber doch nicht: auch in der Mitternachtsmesse in Stein im Fricktal wandert die Flamme an einer Zündschnur quer durch die Kirche.

Lückenhafte Belege
In jeder Aargauer Kirche steht an Heiligabend ein Christbaum. Auch Kindheitserinnerungen an Weihnachten sind bei vielen Menschen eng an den Christbaum in der Stube geknüpft. Doch woher der Brauch stammt, ist nicht einfach zu rekonstruieren. Hat der Heilige Bonifatius ihn im 8. Jahrhundert den heidnischen Germanen schmackhaft gemacht? Oder stand der erste Christbaum im 15. Jahrhundert im Strassburger Münster? Um die Geschichte des Christbaums ranken sich viele Legenden. «Je weiter man in die Vergangenheit zurückgeht, desto lückenhafter wird zwangsläufig die Datenlage», schreibt Monika Rössiger in der Wochenzeitung «Die Zeit». Die Biologin und Wissenschaftsjournalistin zitiert in ihrem Artikel aus dem Buch «das Weihnachtsfest» von Volkskundlerin Ingeborg Weber-Kellermann: «Die frühesten Belege für einen geschmückten Tannenbaum im Inneren des Hauses stammen aus der Lebenswelt des städtischen Handwerks.» Die Zünfte haben demnach im 16. Jahrhundert begonnen, kleine Bäume mit Äpfeln, Nüssen und dergleichen zu schmücken. Einer der genannten Hinweise stammt aus Basel, wo 1597 die Schneidergesellen mit einem grünen Baum voller Äpfel und Käse umherzogen. Von den Zünften sei der Christbaum-Brauch allmählich in die Familien übergegangen, erklärt der «Zeit»-Artikel. Und wie die Flamme an der Zündschnur hat sich der Christbaum-Brauch im Lauf der Jahrhunderte von Deutschland aus über die Welt verbreitet.

Aus Deutschland stammt auch der Christbaum, der dieses Jahr den Petersplatz in Rom schmückt. Die 25 Meter hohe und 3,5 Tonnen schwere Fichte ist ein Geschenk der bayerischen Gemeinde Hirschau in der Oberpfalz. Die Gemeinde Hirschau hatte sich vor zehn Jahren darum beworben, den traditionellen Weihnachtsbaum auf dem Petersplatz zu stellen. «Ich habe den Baum in unserem Wald ausgesucht, weil er schön gewachsen ist und zwei Spitzen hat», sagte Transportleiter Bernhard Wisgickl mit Blick auf die Präsenz eines amtierenden und eines emeritierten Papstes im Vatikan. Wegen des trockenen Sommers in Deutschland habe er die Fichte mit insgesamt 25’000 Liter Wasser gegossen. Arbeiter der technischen Dienste des Vatikan stellten den Baum mit Hilfe eines mobilen Krans neben dem Obelisken in der Mitte des Petersplatzes auf. Für den Transport durch Deutschland, Österreich und Italien war der Tieflader lediglich mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 60 Stundenkilometern unterwegs, wie Bernhard Wisgickl errechnet hat.

 

 

 

 

 

 

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