23.09.2021

Daniel Bogner wirbt in Vorträgen und Büchern für einen Aufbruch in der Kirche
«Ich bin gar nicht verzweifelt»

Von Christian Breitschmid

  • Anlässlich der Generalversammlung des Vereins tagsatzung.ch hielt der Freiburger Professor für Moraltheologie und Ethik, Daniel Bogner, einen vielbeachteten Vortrag.
  • Im Nachgang zu seinem Auftritt in Olten beantwortete Daniel Bogner der Redaktion Horizonte einige vertiefende Fragen zu seinen Thesen und Ansichten.
  • Das ungekürzte Interview können Sie hier nachlesen.

Herr Bogner, Sie haben in Ihrem Vortrag anlässlich der GV des Vereins tagssatzung.ch kein Blatt vor den Mund genommen. Auch in Ihrem Buch «Ihr macht uns die Kirche kaputt…» schreiben Sie deutlich, woran unsere Kirche krankt. Spricht aus Ihnen der Mut der Verzweiflung?
Daniel Bogner: Ich bin gar nicht verzweifelt, weil ich davon überzeugt bin, dass der christliche Glaube eine starke Botschaft enthält, die Menschen immer faszinieren wird. Aber es ist mit den Händen zu greifen, dass viele Menschen, die diesen Glauben leben wollen, die real existierende katholische Kirche als ein oftmals unpassendes Gefäss für die biblische Botschaft betrachten. Das macht mir zu schaffen und ist eine Herausforderung, weil der Glaube nicht alleine gelebt werden kann. Er ist zutiefst darauf angewiesen, im Austausch mit anderen erschlossen, gelebt, gefeiert und überliefert zu werden. Diese Gemeinschaft mit anderen nennt man Kirche. Im Kern sind das diejenigen, die sich vom Wort Gottes getroffen fühlen und darauf antworten wollen.

Vor kurzem wurde in Luzern ein grosses Kirchenkritiker geehrt, dem wegen seiner Kritik von der Kurie in Rom die Lehrerlaubnis entzogen und der bis zu seinem Tod nicht mehr rehabilitiert wurde. Was tun Sie, um nicht so zu enden wie Hans Küng?
Ich habe den grössten Respekt vor Hans Küng. Der Lektüre seiner Bücher habe ich viel zu verdanken! Ich möchte auf keinen Fall mit ihm verglichen werden. Im übrigen hat der Entzug der Lehrbefugnis nicht verhindert, dass er weiterhin höchst produktiv und auch innovativ gedacht und publiziert hat. Gerade seine Werke zum Thema «Weltethos» sind bis heute wegweisend. Deshalb sollte man Küng nicht nur auf seinen Streit mit Rom reduzieren.

Sie vergleichen den hierarchischen Aufbau der Kirche völlig zu Recht mit dem einer absolutistischen Monarchie. Dennoch scheint unser Papst, auch wenn er den Rang des Königs in dieser Monarchie einnimmt, herzlich wenig selber bestimmen zu können. Sonst hätte er doch sicher schon viele Entscheidungen zur Erneuerung der Kirche getroffen. Wer hat nun also wirklich das Sagen in der katholischen Kirche?
Papst Franziskus möchte Prozesse anstossen, nicht einsame Entscheidungen fällen. Eine Hoffnung ist, dass diese Prozesse eine Eigendynamik auslösen, die dann unumkehrbar wird und auch dazu führt, dass neu gewonnene Erkenntnisse oder Verfahrensweisen rechtlich verbindlich festgeschrieben werden. Das steht bislang noch aus und auch der Papst war bisher zögerlich, dafür die Initiative zu ergreifen.

Um etwas zu bewegen in dieser scheinbar verfahrenen Situation der Kirche, rufen Sie auf zum «pastoralen Ungehorsam». Was genau verstehen Sie darunter – eine Revolte der Seelsorger? Können Sie diesen «Ungehorsam» konkretisieren?
Es ist der «Ausfallschritt», ein Schritt zur Seite, aus den traditionell in der Kirche zugewiesenen Rollen heraus. Das ist zunächst ein symbolischer Schritt, aber es kann ein Zeichen sein, das Wirkung hat. Es geschieht zum Beispiel, wenn Priester ihren Gehorsam gegenüber der Hierarchie an ihr theologisch geschultes Gewissen binden, wenn Frauen die dienende und zuarbeitende Rolle zurückgeben, wenn Laien in den kirchlichen Räten ihr Mitwirken davon abhängig machen, ob ihre Beschlüsse auch verbindlich geachtet werden… Der Grundgedanke lautet: Für das Schicksal der Kirche sind nicht nur deren amtlichen Vertreter verantwortlich. Auch das Kirchenvolk hat ein beträchtliches Gewicht, das es klug einsetzen sollte. Man muss herauskommen aus dem Schäfchen-Gehorsam, der oftmals tief eingeprägt ist durch die katholische Sozialisation.

Frage an den Moraltheologen und Ethiker: Welche moralischen oder ethischen Gründe gibt es, Frauen nicht als Priesterinnen zu weihen?
Es gibt keine ethischen Gründe im eigentlichen Sinne. Aber die Frage ist damit noch nicht ausreichend beantwortet, denn es kann theologische Gesichtspunkte geben, die zu berücksichtigen sind.

Und wenn es weder moralische noch ethische Gründe sind, wie begründet die Kirche dann diese völlig unzeitgemässe Ungleichbehandlung von Frauen, die eine priesterliche Berufung in sich spüren?
Das Argument der Tradition lautet, dass Jesus ausschliesslich Männer zu seinen Jüngern berufen hat. Das priesterliche Amt hat zur tiefsten Aufgabe, eine personale «Repräsentation» Christi zu leisten und dazu gehört auch das Mannsein Jesu. Dagegen machen sich aber zunehmend Überlegungen vernehmbar, die darauf dringen, weitere Aspekte zu berücksichtigen: Wie genau ist diese Christus-Repräsentation zu verstehen? Liegt denn das Entscheidende an Jesu Gottessohnschaft vielleicht gar nicht in seinem Mannsein, sondern in seinem Menschsein? Männer berief er zu seinen Aposteln, weil die damalige Welt eine patriarchal geprägte war. Hätte Jesus nicht in einem anderen Kontext selbstverständlich auch Frauen zu Apostolinnen berufen? Gerne wird auch übersehen, dass mit der neutestamentlich erwähnten Junia bereits eine Frau apostolischen Charakter trägt!

Wenn die Bedingungen, die Sie in Ihrem Buch auflisten, erfüllt sind und die Kirche, unter anderem, wieder eine «echte Heimat» ist, interessieren sich dann automatisch auch junge Menschen wieder dafür oder braucht es dazu noch mehr und ein ganz anderes Engagement?
Dass die Kirche für Menschen zur Heimat wird, ist eine niemals endende Aufgabe. Dazu gehört es nicht nur, diese Kirche nach bestimmten ethisch-moralischen Grundüberzeugungen zu gestalten, für die das Christentum steht, sondern viel mehr. Kirche muss auch den Zungenschlag einer bestimmten Zeit kennen und auf eine Weise sprechen lernen, dass eben in ihm die christliche Botschaft vernehmbar wird. Das ist eine hohe Kunst, die alle in der Kirche immer wieder neu und demütig lernen müssen und für die es kein pauschales Rezept gibt. Auch sollte man fragen, was «Heimat» denn genau bedeutet! Es kann nicht meinen, dass man sich halt in der Kirche so daheim zu fühlen hat, wie auf der Wohnzimmercouch am Freitagabend… Kirche muss zweierlei leisten: Sie soll Menschen empfangend annehmen und sie dann wieder hinaussenden, in einer ständigen Wechselbewegung…

Sie haben in Ihrem Vortrag an die Schweizer Katholiken appelliert, ihre «Sondertraditionen» in die Weltkirche einzubringen. Welche Sondertraditionen meinen Sie und sind Sie sicher, dass die katholische Welt und ganz besonders die Kurie in Rom auf Vorschläge aus einem Land wartet, das nur gerade mal 8,7 Millionen Einwohner hat, von denen nur noch 3,02 Millionen Katholiken sind – Tendenz sinkend?
Ich erinnere an die Diözesanverfassungen, etwa von Basel und St. Gallen, die den Ortskirchen eine ganz besonders ausgeprägte Mitsprachemöglichkeit bei Bischofswahlen und auch der Ausgestaltung des pfarreilichen Lebens vor Ort ermöglichen. Zwar ist dieser Schweizer Weg «nur» eine einzelne ortskirchliche Spur. Aber er hat eine lange kirchengeschichtliche Tradition und hat sich vielfach bewährt. Insofern kann er ein Muster sein, das man in das weltkirchliche Gespräch selbstbewusst einbringen sollte. Und der Papst ruft ja dazu auf, dass gemeinsam nach den besten Wegen gesucht wird und viele einzelne Erfahrungen eingebracht werden sollen.

Sie sehen im synodalen Weg eine Möglichkeit, die strukturellen Defizite unserer Kirche zu überwinden. Wie sähe dieser Prozess ganz konkret aus? Man darf ja Synodalität keinesfalls mit Demokratie gleichsetzen, was viele Anhänger der synodalen Bewegung scheinbar tun…
Ich bin eher zurückhaltend in meiner Einschätzung der gegenwärtig lancierten «synodalen Wege» in den Kirchen der Schweiz und Deutschlands. Die grundlegende Herausforderung lautet: Wie kann es möglich sein, Synodalität als verbindliches Kriterium einer gleichen Teilhabe aller Kirchenglieder im Rahmen einer hierarchischen Kirchenverfassung zu etablieren, die unhinterfragt als gegeben gesetzt ist? Funktioniert Synodalität unter dieser Hypothek? Das jüngste Dokument des Vatikans spricht von einer «konstitutiven Synodalität» der Kirche. Damit ist an Haltung und Einstellung appelliert, und das ist natürlich von grossem Wert. Aber genügt das schon? Man könnte auch darüber nachdenken, sich auf den Weg zu einer «konstitutionellen Synodalität» zu machen, welche Teilhabe und Mitgestaltung nicht nur im Modus der Beratung und Konsultation, sondern auch im Modus des Entscheidens verbindlich macht.

Gerade weil es so scheint, als wäre dieser Weg noch ein sehr langer, fragen wir Sie als kämpferischen Rufer an Bord des arg schwankendes Kirchenschiffes bewusst: Was lässt Sie an dieser Kirche so unbeirrt festhalten?
Für mich ist entscheidend, dass man den Glauben nicht alleine leben kann, sondern einer Gemeinschaft bedarf, in der er gemeinschaftlich erzählt, gefeiert und überliefert wird. Das ist die Kirche und ihre zentrale Daseinsberechtigung, an der sie sich ausrichten muss. An der Kirche in ihrer heutigen Gestalt halte ich nicht unbeirrt fest. Viele Menschen in der Vergangenheit haben das mit der Kirche ihrer Zeit auch nicht getan – und deshalb konnte sich die Kirche erneuern und weiterentwickeln.

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