19.07.2017

«Ich plädiere für konstruktiven Ungehorsam»

Von Marie-Christine Andres Schürch

Barbara Müller-Zwygart ist nicht nur freischaffende Schauspielerin, sondern auch Mal- und Kunsttherapeutin, macht Coaching und Beratung sowie systemische Paartherapie. Sie wurde in einer lebendigen reformierten Kirchgemeinde gross und erlebte die Ökumene als natürliche Gegebenheit. Später, als reformierte Pfarrfrau, erfuhr sie die verbindende Gemeinschaft unterschiedlichster Frauen. Am FrauenKirchenFest vom Freitag, 18. August 2017, ist Barbara Müller-Zwygart eine von drei «Tischrednerinnen». Ihr Beitrag wird ein wenig aus der Reihe tanzen: Sie hält keine Rede, sondern verleiht in kurzen Theaterszenen den Frauen des 16. Jahrhunderts eine Stimme. Im Interview erklärt sie, warum sie vor dem Auftritt unbrauchbar sein wird und welche Emotionen in ihr hochkochen.

Barbara Müller-Zwygart, Sie lassen am Frauenkirchenfest die Stimme der Frau des 16. Jahrhunderts erlebbar werden. Wie bereiten Sie sich auf diesen Auftritt vor?
Barbara Müller-Zwygart: Ich habe eigentlich drei Auftritte, den ersten schon beim Apéro. Da werde ich mit den Frauen ins Gespräch kommen. Es sollen kleine Dialoge entstehen, in denen das Gesundbleiben im Mittelpunkt steht. Denn das Gesundbleiben und damit das Überleben bestimmten im Mittelalter den Alltag. Das stellte ich bei der Lektüre zahlreicher Bücher fest. Beim Apéro kommen dann noch spezielle Hilfsmittel zum Einsatz, die ich auf einem Mittelaltermarkt in Zürich gefunden habe. Mehr möchte ich aber noch nicht verraten.

Was erwartet die Frauen bei Ihrem zweiten Auftritt?
Im Gottesdienst werde ich ein Gebet sprechen. Auch dafür habe ich viele Texte aus der Zeit der Reformation gelesen. Positiv hat mich dabei die Sprache überrascht, die gar nicht so altmodisch daherkommt, wie ich erwartet hatte. Auch der Körper, den wir heute oft vergessen, kommt vor. Die Gebete aus dieser Zeit berücksichtigen Geist, Seele und Körper. Im Moment ist das Gebet allerdings noch vier Seiten lang. Ich werde versuchen, die Tatsachen von damals mit Hilfe der Sprache von heute zu formulieren.

In ihrem dritten Auftritt geben Sie einer Frau aus der Reformationszeit eine Stimme. Woher nehmen Sie die Inspiration? Auch da haben mir Bücher geholfen, mich in die Lebensumstände der Frauen hinein zu fühlen. Wobei es gar nicht so einfach war, aus der verfügbaren Literatur die Perspektive der Frauen herauszufiltern. Zum Beispiel sind die Briefe von Zwingli erhalten, die seiner Frau jedoch nicht – oder nur, wo explizit Zwingli zur Sprache kommt. Der Besuch des Mittelaltermarkts hat mir ermöglicht, diese Zeit auch mit den anderen Sinnen zu erfassen. Das ist meine Vorbereitung in historischer Hinsicht.

Und in schauspielerischer Hinsicht?
Da habe ich Workshops bei der deutschen Schauspielerin und Schauspielcoach Bettina Lohmeyer besucht. Im Frühling habe ich ihr gezeigt, was ich für das Frauenkirchenfest entwickle. Solche Workshops mache ich regelmässig, um mich weiterzubilden, sie sind für mich Seelennahrung. Dabei habe ich schon viele Ansätze kennengelernt und ausprobiert: Sprechtheater, Film, Improvisationstheater, Pantomime, Clowntheater, Lesungen, das Spiel mit dem Sprachrhythmus oder Atem- und Sprechtechnik. Die letzte grosse Herausforderung für mich war und ist die Methode von Susan Batson «Wahrhaftigkeit im Schauspiel», welche ich bei Bettina Lohmeyer lernen darf. Da geht es darum, das wahrhaftige, organische Leben eines Charakters auf die Bühne, beziehungsweise vor die Kamera zu bringen.

Was muss man sich darunter vorstellen?
Man schaut in seiner eigenen Biografie: wann und wo habe ich Ähnliches erlebt wie meine Figur? Dann geht es darum, sich zu erinnern, was man in dieser Situation gehört, gerochen, gesehen und gespürt hat. Das Ziel ist, die Emotionen der Figur während des Spiels selber zu empfinden. Während des Auftritts bin ich innerlich verbunden mit den eigenen erlebten Emotionen. Damit das funktioniert, muss ich schon in den Tagen vor dem Auftritt die Gefühle der Figur in mir hochkommen lassen.

Das klingt nach Ausnahmezustand.
Das ist es auch. Der Ansatz des authentischen Theaters fordert mehr von mir als andere Theaterformen. Auch die Vorbereitung ist viel, viel intensiver. Vor einem Auftritt bin ich nicht brauchbar, das weiss inzwischen auch meine Familie. Ich bin dann verbunden mit dieser Suppe, die da in mir köchelt.

Und nach dem Auftritt sind Sie fix und fertig?
Man sagt ja, Schauspieler sollten nach dem Auftritt nicht Autofahren, sie seien dann nicht sich selber. Früher habe ich das nicht geglaubt, heute kann ich es bestätigen. Man ist dann in einem anderen Zustand, hellwach. Ich kann nach einem Auftritt meist nicht gut einschlafen. Deshalb halte ich es so, dass ich am folgenden Tag alles ein wenig ruhiger angehe.

Welche Gefühle kochen vor dem Auftritt am Frauenkirchenfest in Ihnen hoch?
Ich suche nach den Ambivalenzen dieser Reformationszeit. Einerseits gab es auf einmal neue Wahl- und Bildungsmöglichkeiten für Frauen. Andererseits gab es noch immer Hexenverbrennungen. Frauen wurden immer bevormundet, zuerst vom Vater, dann vom Ehemann oder vom Klostervorsteher. Ich stellte mir Fragen wie: Wie fühlt sich das an, wenn eine Mutter Tag und Nacht um das Überleben der Kinder kämpft? Wie fühlt es sich an, als ledige ehemalige Nonne geächtet zu sein? Mich da hineinzuversetzen erschüttert mich zum Teil sehr. Ich empfinde grossen Respekt für die Frauen dieser Zeit. Diese Urkraft, die in diesen Frauen gewesen sein muss!

Ein Vorbild auch für Frauen heute?
Was mich besonders beeindruckt ist, dass viele damalige Frauen es geschafft haben, nicht in die Opferhaltung hineinzukommen, sondern handlungsfähig zu bleiben. Getroffen hat mich vor allem ein Satz, den die Autorin Christine Brückner Katharina Luther in den Mund legt: «Es ist schwer genug, dich immer zu lieben… aber verlange nicht auch noch Gehorsam.» Auch ich möchte nicht gehorchen, sondern das, was ich tue, mit Liebe tun. Ich plädiere für konstruktiven Ungehorsam. Das bedingt, dass man nicht die Opferrolle wählt, sondern lernt, für sich einzustehen. In meinem persönlichen Leben hat dieser Ungehorsam dazu geführt, dass ich meine Traumberufe gewählt habe.

Und ein Vorbild für die Kirche?
Unsere Kirche – damit meine ich beide Konfessionen – könnte den Ungehorsam so interpretieren, dass sie loslassen kann, was nicht mehr passt und damit lebendig bleibt. Ich wünsche mir eine Kirche, die offen ist für neue, moderne Formen. Eine, die sich traut, etwas auszuprobieren. Luther hat vor seinem Thesenanschlag ja auch nicht gefragt, ob er da Nägel einschlagen dürfe. Auch Luther und seine Frau waren ungehorsam, ebenso das Ehepaar Zwingli.

Und natürlich wünsche ich mir eine Kirche, in der Frauen ihre Stimme erheben dürfen. Wer etwas zu sagen hat, soll die Stimme erheben dürfen. Und wer nichts zu sagen weiss, soll nicht bloss schweigen, sondern zuhören.

 

22. ökumenisches FrauenKirchenFest Aargau
Freitag, 18. August 2017, 17 bis 22 Uhr, reformierte Kirchgemeinde Bremgarten-Mutschellen, Bellikonerstrasse 210, Widen. Hier bis Freitag, 11. August anmelden.
www.frauenkirchenfest.ch

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