25.01.2021

Pastoralraumpfarrern wird viel abverlangt – nicht nur durch die Coronakrise
«Ich will dabei nicht draufgehen»

Von Christian Breitschmid

  • Viele Aufgaben und Verantwortungen lasten auf den Schultern von Pastoralraumpfarrern. Jeder versucht auf seine Weise, das Ziel nicht aus den Augen zu verlieren.
  • Die Coronapandemie stellt die pastoral Verantwortlichen vor zusätzliche Herausforderungen und vor die Frage: wie weiter?
  • Horizonte hat in einigen Pastoralräumen nachgefragt und ein paar starke Antworten bekommen.


Immer wieder tauchen sie auf, die Geschichten von Priestern und Seelsorgern, die sich ins Burnout manövriert haben. Solche Geschichten erstaunen nicht, denn es ist ein offenes Geheimnis, dass sich in der Kirche immer weniger Priester und Seelsorger um immer mehr Menschen und immer komplexer werdende Aufgaben kümmern müssen. Andreas Stüdli ist einer von ihnen. Er ist der Pfarrer im Pastoralraum Zurzach-Studenland, verantwortlich für fünf Pfarreien mit rund 4’500 Katholiken. Er und seine beiden Amtskollegen, Thomas Zimmermann und Roland Häfliger, haben auf die Anfrage von Horizonte reagiert und über ihre Freuden, aber auch Nöte als verantwortliche Priester in einem Pastoralraum gesprochen.

«Man muss darüber sprechen»

Pastoralraumpfarrer Andreas Stüdli sagt: «Wenn es nur noch um den Systemerhalt geht und Seelsorge keinen Platz mehr hat, dann höre ich auf.» | © Christian Breitschmid

Andreas Stüdli ist einer, der die Dinge beim Namen nennt: «Ja, ich kenne Seelsorger, auch hier im Bistum Basel, die ein Burnout erlitten haben. Dafür gibt es viele Gründe. Einer liegt sicher darin, dass viele meiner Kollegen sich nicht getrauen, ihre Sorgen und Nöte zu benennen. Wenn man nicht darüber sprechen kann, dann läuft man doch ins Burnout.» Und zu besprechen gäbe es einiges. Zum Beispiel, wie ein Priester allein, an Heiligabend, fünf Messen an fünf verschiedenen Orten feiern soll. Pfarrer Stüdli stehen zwar noch ein Pfarreiseelsorger und, je nach Verfügbarkeit, auch mal eine Aushilfe zur Seite, aber: «Das Volkskirchendenken muss aufhören. Es geht nicht mehr, dass jeder Ort seinen eigenen Seelsorger hat. Die Menschen verlangen aber, dass es immer noch so läuft wie vor 50 Jahren. Sie bezahlen ja schliesslich Steuern, also bestehen sie auf den Dienstleistungen der Kirche, dann, wenn sie es wollen.»

Die Zeit wäre reif, sagt Andreas Stüdli, um aus der reinen Konsumkirche von heute wieder eine Bekenntniskirche zu machen. Weg von der Steuerzahlermentalität, hin zur bewussten Entscheidung jedes einzelnen Kirchenmitglieds, das sich selbst die Frage stelle und auch beantworten könne: «Warum bin ich hier dabei?» Aus dieser Haltung heraus, davon ist der passionierte Seelsorger überzeugt, könne eine Neuevangelisierung möglich werden: «Dabei kann ich mir gut vorstellen, meinen Lebensunterhalt in einem anderen Beruf zu verdienen und daneben als Arbeiterpriester im Ehrenamt Seelsorger zu sein.» Unter den jetzigen Umständen bestehe für ihn die Gefahr darin, dass für die Seelsorge kein Platz mehr bleibe, wenn man sich weiterhin an alten Strukturen festklammere, nur um das System aufrechtzuerhalten. So arbeitet der Pastoralraumpfarrer, wie er sagt, «von der Hand in den Mund» und bemüht sich, allen Anforderungen gerecht zu werden. Für den seelischen und körperlichen Ausgleich hält er sich an die Tagzeitenliturgie und ist zwischen seinen fünf Pfarreien ausschliesslich per Velo unterwegs.

Aufgaben delegieren können

Pastoralraumpfarrer Thomas Zimmermann sagt zu seiner Work-Life-Balance: «Es liegt an mir, für den nötigen Abstand vom beruflichen Alltag zu sorgen.» | © Felix Wey

Auch Thomas Zimmermann, Pfarrer des Pastoralraums Oberes Freiamt, setzt auf Bewegung, wenn es darum geht, den Kopf frei zu bekommen: «Da ziehe ich einfach die Wanderschuhe an, und auf geht’s!» Viel Zeit dazu bleibt dem verantwortlichen Priester für sechs Pfarreien mit 6’400 Katholiken nicht. Obwohl ihm neben einem Kaplan und einem weiteren mitarbeitenden Priester noch ein Leiter Administration und Organisation zur Seite stehen, fordert ihm die Pastoralraumleitung viel ab: «Die strukturell flächendeckende Versorgung konfrontiert mich mit neuen Fragestellungen», erklärt Thomas Zimmermann diplomatisch. «Immer mehr Akteure sind über sechs Pfarreien einzubinden. Technische Lösungen und Effizienzsteigerungen sind genauso Themen, wie es in jedem KMU der Fall ist.» Die Coronapandemie sorgte für zusätzliche Unruhe: «Plötzlich galt es, von einem Tag auf den anderen, Entscheidungen des Bundes und des Bistums umzusetzen.» In dieser Situation hat ihn Pius Hüsler, sein administrativer und organisatorischer Leiter, enorm entlastet: «Wer sonst hätte all die Informationen, die von aussen auf uns herunterprasselten, verarbeiten und seriös umsetzen können?»

Pfarrer Zimmermann besitzt die Gnade und die Möglichkeit, delegieren zu können. Er bezeichnet das als «vertrauensvolles Loslassen und Übergeben von Aufgaben an die Mitarbeitenden». Auch in und zwischen den Kirchenpflegen seiner Pfarreien und mit den Gruppierungen innerhalb des Pastoralraums funktioniert eine konstruktive und wohlwollende Zusammenarbeit. Dennoch blickt Thomas Zimmermann nicht sorgenfrei in die Zukunft: «Was mir längerfristig zu denken gibt, ist der radikale Wandel der priesterlichen Funktionsrolle. Kann der Priester, wie er heute eingesetzt wird und mehrheitlich auf sich allein gestellt ist, im heutigen Wirken eine ‹ausstrahlungsstarke Berufsidentität›, so Rainer Bucher, bewahren? Wie lebe und arbeite ich in der Gegenwart auf die Zukunft hin? Wie schaffe ich es, mir den Blick auf das ‹Lamm Gottes› vom vielen Oberflächlichen nicht verbauen zu lassen? Es braucht Wachheit und Kraft, um das Wesentliche nicht aus den Augen zu verlieren.»

Chance für neue Formen

Pastoralraumpfarrer Roland Häfliger sagt: «Wenn ich die Uniform ausziehe, dann bin ich der Privatmann Roland Häfliger.» | © Roger Wehrli
Von einem administrativen und organisatorischen Leiter kann Pfarrer Roland Häfliger im Pastoralraum Region Lenzburg nur träumen. Nach den Herausforderungen in seinem Amt befragt, sagt der Verantwortliche für drei Pfarreien mit knapp 13’000 Gläubigen: «Man muss sich nach der Decke strecken. Es geht darum, auf all die dauernden Veränderungen zu reagieren und dafür zu sorgen, dass es trotzdem funktioniert. Gerade durch die Coronapandemie wurde das wieder deutlich. Man muss in jeder Situation flexibel sein. Die Verantwortung ist gross, denn es geht immer darum, dass die Leute zufrieden und alle Aufgaben erfüllt sind. Bei jeder Managementaufgabe ist für mich entscheidend, ob sie dem eigentlichen Auftrag, der Seelsorge, etwas bringt. Solange das stimmt, spiele ich mit – aber ich will dabei nicht draufgehen.» Den zunehmenden Seelsorgermangel sieht er in diesem Zusammenhang «…als möglichen Katalysator für mündige Gläubige und neue Formen.»

Kirchliche Mitarbeiter neigten dazu, so Roland Häfliger, Nabelschau zu betreiben und dabei aus den Augen zu verlieren, dass sie eigentlich für die Gläubigen da sein sollten. Erstinstanzlich gehe es darum, Gottesdienste zu feiern, im grossen wie im kleinen Rahmen. «Dazu kommt die Seelsorge. Die funktioniert heute nicht mehr so, dass der Priester an der Tür klingelt, sondern die Leute melden sich bei ihm, wenn sie etwas wollen. Dann muss es aber sofort passieren.» Der Pastoralraumpfarrer von Lenzburg arbeitet auch in einem kleinen, aber gut eingespielten Team. Dabei trennt er ganz bewusst den Priester vom Privatmann Roland Häfliger: «Es ist zwar schon so: Priester ist man entweder mit Leib und Seele und aus Berufung oder gar nicht. Aber ich definiere mich als Roland Häfliger nicht über das Priestertum. Ich bin ein Uniformträger. Wenn ich die Uniform ausziehe, dann bin ich privat. Natürlich bleibe ich Priester, auch wenn ich den Römerkragen ablege, aber im Gegensatz zu früher trage ich heute in der Freizeit meine Uniform nicht mehr. Ich habe gelernt, mich abzugrenzen.» Auf diese Weise findet er auch den nötigen Ausgleich zum arbeitsamen Berufsalltag. In seinem Freundeskreis ist er nicht «der Priester», auch nicht im Fitnessstudio oder wenn er ein Buch liest, einen Dokumentarfilm schaut oder, wie er es formuliert, sich ganz einfach «der Langeweile hingibt».

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