10.08.2023

Von Nigeria in die Schweiz, vom Berner Oberland ins Untere Freiamt
Ignatius Okoli: «Ist die Motivation da, sind Distanzen kein Problem, wie in Nigeria.»

Von Anouk Hiedl

  • Seit Anfang August ist Ignatius Okoli Leitender Pfarrer im Pastoralraum Unteres Freiamt.
  • Die vergangenen sieben Jahre hat er im Berner Oberland als Leitender Pfarrer verbracht.
  • Seine Fröhlichkeit und sein Humor kommen bei den Menschen an.

Das Interview ist zuerst im Berner «pfarrblatt» erschienen.

Sie haben sieben Jahren im Berner Oberland gearbeitet. Ist Interlaken zu einer Heimat für Sie geworden?

Ignatius Okoli: Sicher, ich fühle mich hier zu Hause. Als ich 2010 fürs Theologiestudium in Rom ankam, war das wirklich ein Schock, vor allem von der Sprache und vom Essen her. Als ich 2016 in Interlaken anfing, war dieser Schock schon kleiner. Ich gehe auf die Leute zu und warte nicht, dass sie zu mir kommen. Dabei merkte ich: Berndeutsch ist eine eigene Sprache. Viele hier sprechen mit Mühe Hochdeutsch. So belegte ich während zwei Jahren einen Kurs – weniger um den Dialekt zu sprechen, als um ihn zu verstehen. Das hat sich gelohnt und mir viele Türen geöffnet. Die Leute hier schliessen langsam Kontakt, doch wenn sie es tun, dann richtig. So ging auch meine Integration langsam, aber tief voran.

Sind Sie in diesen Jahren zu einem Bünzli geworden?
Noch nicht. Aber ich merke, dass es in diese Richtung geht. Ich bin hier zu Hause, integriert und verstehe die Kultur und die Leute besser. So frage ich mich in Anbetracht meiner Wurzeln manchmal: Wer und wo bin ich jetzt? – In der Mitte zwischen Nigeria und dem Berner Oberland, und diese Mischung gefällt mir. Wenn ich in Nigeria bin, merke ich, wo ich Schweizerischer geworden bin. Heute nerve ich mich dort über Verkehrschaos oder Unpünktlichkeit. Hier ist es umgekehrt: Wenn ein Mikrofon nicht funktioniert, ist das für manche eine Katastrophe. Ich finde, man kann damit leben. So kann ich das Gute, das ich an einem Ort finde, auch woanders einbringen.

Ignatius Okoli möchte Gutes, das er an einem Ort findet, auch woanders einbringen. | Foto: Pia Neuenschwander

Welche Ihrer Eigenarten pflegen Sie noch?
Meine Fröhlichkeit und meinen Humor – bei mir viel gelacht! Und morgens singe ich. Bei meiner Predigt an der gestrigen Hochzeit fiel mir plötzlich ein nigerianischer Reggae ein. Weil es passte, habe ich das Lied gleich eingebaut (singt leise «Still searching»). Ich möchte im Alltag und im Gottesdienst dieselbe Person sein. Bei allem, was ich tue, habe ich meinen Stil. Das kommt an.

Wie wird der Glaube im Berner Oberland anders gelebt als in Nigeria?
Die Schweiz ist säkular geprägt, und Religion ist für die meisten Privatsache. Die Menschen hier danken Gott auch für alltägliche, kleine, einfache Sachen, etwa fürs Wetter. In Afrika habe ich nie ans Wetter gedacht. Nigeria ist religiös geprägt, Gott spielt eine grosse Rolle. Man betet für fast alles, für Gesundheit, für die Familie, für Erfolg. Die Menschen sind mehr in der Kirche, es hat auch mehr Freikirchen. Es sind zwei unterschiedliche Systeme. Schönheit hat verschiedene Gesichter.

Inwiefern ist die katholische Kirche in den beiden Ländern unterschiedlich organisiert?
Das lässt sich nicht immer vergleichen. Ich nehme jedes System so, wie es ist und nehme Gutes daraus, um es weiterzugeben. Im dualen System hier sagt die staatskirchenrechtliche Seite vor einer Anstellung ja oder nein zu einer pastoralen Kandidatur. In Nigeria schickt der Bischof einen Priester in eine Pfarrei, und vor Ort sagt man Amen. Hier tragen die Frauen viel zur Kirche bei und arbeiten auch als Gemeinde- oder Regionalverantwortliche. In Nigeria gibt es keinen Priestermangel, und es sind ausschliesslich Männer in Leitungspositionen. Frauen, Jugendliche und Ordensschwestern fühlen sich dadurch nicht ausgeschlossen. Die Möglichkeiten mitzumachen sind gross, es gibt genug zu tun. Sie verlangen dazu keine Leitungsfunktionen, sondern schätzen ihre Teilhabe an der Kirche anders.

Wo ist das Katholische ähnlich?
Im Glauben, in den Gottesdiensten, die unterschiedlich gefeiert werden, und in der karitativen Arbeit. In Nigeria ist die Not wesentlich grösser als hier. Die Kirche springt auch überall dort ein, wo die Regierung versagt. Zudem läuft die synodale Diskussion hier und dort, doch zu unterschiedlichen Fragen.

Brückenbauer zwischen katholischen Welten

Ignatius Okoli, 47, wurde nach seinem Latein-, Philosophie- und Theologiestudium in Awka, Nigeria, zum Priester geweiht. Von 2010 bis 2016 studierte und doktorierte er in Rom. Von 2016 bis Juli 2023 war er Leitender Priester im Berner Oberland und engagierte sich u. a. auch mit den «Swiss Friends of Nigeria». Sein Lebensmotto «Omnia facere in Deo Possum» (Mit Gottes Hilfe kann ich alles) motiviert ihn, keine Angst zu haben und im Leben etwas zu wagen. Das gilt auch für seine neue Stelle im Pastoralraum Unteres Freiamt AG ab August 2023.

Wie sieht es in der Seelsorge aus?
Die ist in beiden Ländern gleich. Ich mache Hausbesuche und spende die Krankensalbung immer so bald wie möglich. Für Gespräche und Beichten sind Tür und Ohr stets offen. In der italienischen Pfarrei Lugo helfe ich vor Ostern und Weihnachten jeweils eine Woche beim Beichthören aus. Die Leute stehen dort dafür Schlange – manchmal sitze ich den ganzen Tag lang ohne Pause im Beichtstuhl.

Sie sind Leitender Priester im grössten Pastoralraum des Bistums Basel. Funktioniert die Zusammenarbeit trotz der Distanzen?
Meiringen und Gstaad trennen zwei Stunden Autofahrt. Wenn das Pastoralraumteam regelmässig an die gemeinsamen Versammlungen und Veranstaltungen kommt, zeigt das, dass die Menschen bereit sind mitzumachen. Alle kommen – trotz der langen Wege. Dass die pastorale Zusammenarbeit funktioniert, ist für mich ein Zeichen grosser Motivation. Dieses Beispiel möchte ich an meinen neuen Wirkungsort mitnehmen. Ist die Motivation da, sind Distanzen kein Problem, wie in Nigeria.

Warum wechseln Sie in den Kanton Aargau?
Ursprünglich war vorgesehen, dass ich nach Nigeria zurückkehre, doch Bischof Felix hat bei meinem Bischof in Nigeria beantragt, mich länger im Bistum Basel behalten zu können. Weil mein Vertrag im Berner Oberland schon dreimal verlängert wurde, habe ich es gewagt, innerhalb des Bistums zu wechseln. Auf den Vorschlag des Bischofs, dem Pastoralraum Unteres Freiamt, bin ich hingefahren und habe mir meinen zukünftigen Arbeitsort dort angeschaut.

Was werden Sie vermissen?
Alles! Die Jungfrauregion, die wöchentlichen Wanderungen auf den Harder, das Wetter, unser tolles Team, die lebendige Pfarrei und den ökumenischen Arbeitskreis. Ich bin traurig, zu gehen. Gleichzeitig bin ich bereit und offen für Neues. Schönheit hat verschiedene Gesichter.

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