15.06.2017

Im Taxi zur Kirche

Von Anne Burgmer

Nicht jeder Mensch ist mobil. Damit die Gläubigen am Wochenende dennoch zur Kirche kommen, können sie mancherorts ein Taxi rufen – die Rechnung zahlt die Kirchgemeinde. Das Beispiel Wildegg.

Blauer Himmel, Sonne, grüne Wiesen. Über allem thront Schloss Wildegg. Die Parkplätze an der Kirche Sankt Antonius sind voll und durch die Hügel schlängeln sich am Wegesrand parkierte Autos. Je später die Besucher des Patroziniums ankommen, umso weiter müssen sie zurücklaufen.

Fahrt durch sechs politische Gemeinden

Im Fall von Frau Bossinger, Frau Schmid oder dem Ehepaar Kehl wird der Weg nicht länger. Sie werden bis fast vor den Eingang der Kirche chauffiert – TAXI steht auf dem Dachschild des schweren silberfarbenen Wagens. Am Steuer sitzt Roman Pletscher vom Taxi Chestenberg. Seit rund zehn Jahren holt er unter anderen die genannten Personen regelmässig von zu Hause ab und fährt sie nach Wildegg zur Kirche. «Wir haben es immer recht lustig miteinander», sagt der 58-jährige reformierter Taxiunternehmer.

Frau Bossinger und Frau Schmid nicken. Es ist eine recht feste Fahrgemeinschaft, die sich da während bis zu zehn Minuten Fahrt den Innenraum des Wagens teilt. «Es hängt immer ein bisschen vom Verkehr ab oder wieviel Baustellen es gibt», erklärt Roman Pletscher. Sechs politische Gemeinden gehören zur Pfarrei – Wildegg, Auenstein, Brunegg, Holderbank, Möriken, Niederlenz, Rupperswil – doch wenn der Gottesdienst mal in Lenzburg ist, fährt das Taxi die Gläubigen auch dorthin. «Das fällt für uns unter Diakonie», wird Sonja Berger später sagen.

Wegen strenger Auflagen: Taxi statt Kleinbus

Sonja Berger, Pfarreisekretärin in Sankt Antonius und deswegen nicht nur am Patrozinium Ansprechpartnerin für alles, erklärt: «Ich bin seit 15 Jahren hier in der Pfarrei tätig und das Taxi gibt es auf jeden Fall ebenso lang». Früher hätte die Pfarrei einen eigenen kleinen Bus gehabt und der Fahrdienst sei privat organisiert gewesen. Doch mit den zunehmenden Vorschriften rund um die Personenbeförderung sei es problematisch geworden.

«Wir haben zunächst jemanden gesucht, der das entsprechende Billet macht und den Fahrdienst weiterführt. Die Kirchgemeinde hätte die Kosten übernommen – doch es meldete sich niemand», erinnert sich Sonja Berger. Die Kirchgemeinde verkaufte also den Bus und schloss einen Deal mit einem lokalen Taxiunternehmer: Kirchgängerinnen und Kirchgänger, die aus unterschiedlichen Gründen nicht mobil sind, können das Kirchentaxi bestellen. Die Kirchgemeinde bezahlt die Rechnung.

Roland Häfliger, Pastoralraumpfarrer, sagt bereits bei der ersten Anfrage: «Wir machen plus, minus nur gute Erfahrungen und unterm Strich kommt uns diese Abmachung kostengünstiger als der Unterhalt des Busses».

Die Wege zum Gottesdienst werden länger

Natürlich ist Sankt Antonius Wildegg nicht die einzige Pfarrgemeinde, die in ihrer Geschichte auf die Idee mit dem Taxidienst gekommen ist. Auch die Pfarrgemeinde Herz Jesu in Lenzburg hat eine Abmachung mit einem Taxiunternehmer und die dritte Pfarrei im Pastoralraum Lenzburg, Sankt Theresia, Seon, arbeitet – ähnlich wie Wildegg das geplant hatte – mit einer Privatperson zusammen. Wer sich bis jeweils freitags meldet, wird gefahren. Diese letzte Variante bietet sich besonders für kleine Pfarreien an. Und wer weiss, in welcher der rund 122 Pfarrgemeinden im Aargau ähnliche Angebote bestehen.

Vor dem Hintergrund der personell bedingten strukturellen Veränderungen der Kirche ist eine Sorge, dass Gottesdienste vor Ort wegfallen und man für den Kirchgang jeweils längere Wege zurücklegen muss; im teils sehr ländlichen Aargau eine Herausforderung für jeden Menschen, der keinen Führerschein und keine Busanbindung hat.

«Nutzt es – es steht euch zu!»

Private Absprachen für Fahrgemeinschaften funktionierten zumindest im Gebiet Wildegg nicht – das sagt nicht nur Sonja Berger, auch Roman Pletscher hat das festgestellt. Vielleicht sei die Hemmschwelle zu hoch, sich regelmässig fest für eine Fahrt zur Kirche zu verpflichten, überlegt Sonja Berger. Die Hemmung, das Taxi zu rufen sei nach den ersten beiden Malen meist weg, erzählt Roman Pletscher.

«Wenn ich von jemandem höre, der Probleme hat zur Kirche zu kommen, weise ich gerne auf den Taxidienst hin. Er wird zwar regelmässig im Pfarrblatt abgedruckt, doch ein persönlicher Hinweis hilft dann nochmals und die Leute haben ja einen Anspruch darauf», sagt Sonja Berger mit einem Lächeln. Eine Einstellung, die Pfarrer Roland Häfliger teilt: «Ich sage oft zu den Leuten: Das Taxi ist für euch da. Damit ihr zur Kirche kommen könnt. Nutzt es – es steht euch zu!»

Fahrgemeinschaften verbinden

Maria Anna und Richard Kehl, 86 und 87 Jahre alt, kamen aufgrund eines entsprechenden Hinweises zum Taxi. «Mein Mann hat vor zwei Jahren das Billet aus gesundheitlichen Gründen abgegeben. Wir wohnen unterhalb vom Schloss in Holderbank und sind nicht mehr so gut zu Fuss, wie auch schon», erzählt Maria Anna Kehl. Sie ist in Luzern aufgewachsen und der sonntägliche Kirchgang ist für sie wie auch für ihren Mann fester Bestandteil des Lebens. «Wir sind dankbar, dass wir mit dem Kirchentaxi die Möglichkeit haben, auch weiterhin zur Kirche zu kommen», sagt Maria Anna Kehl zufrieden. Ihr Mann nickt.

Auf dem Parkplatz macht sich Roman Pletscher zur Abfahrt nach dem Gottesdienst parat. Frau Bossinger und Frau Schmid sitzen bereits bequem im Wagen. Fast von Beginn des Taxiangebotes an fahren sie mit Roman Pletscher mit. Ob er eine besondere Verbindung zu «seinen» Kirchentaxigästen habe, es ihn beispielsweise berühre, wenn einer stürbe? Roman Pletscher überlegt und sagt dann: «Klar entsteht über die Jahre eine gewisse Verbindung. Andererseits geht das Leben diese Wege». Etwas später, er ist für ein Foto aus dem Wagen ausgestiegen, erzählt er noch ein bisschen mehr und man hört deutlich, dass ihm seine Kundinnen und Kunden am Herzen liegen.

Ideenschmiede beim Festessen

Im Innenhof von Sankt Antonius feiert die versammelte Gemeinde derweil bei gutem Essen und einem Glas Wein die Gemeinschaft nach dem Festgottesdienst. Sonja Berger sitzt am Tisch und überlegt, dass «der Taxidienst natürlich ein Kostenpunkt ist, und das können sich Kirchgemeinden, die finanziell weniger gut aufgestellt sind, vielleicht nicht leisten».

Doch sofort wird auch weiter überlegt, was es noch für Möglichkeiten geben könnte: Die Antoniuskasse für diese Zwecke verwenden; ein oder zwei Kollekten im Jahr aufnehmen oder vielleicht auch Patenschaften für Taxifahrten anbieten. Vielleicht auch nochmals in der Pfarrei herumfragen, ob sich Personen für nur je einmal pro Quartal bereit erklären, jemanden zum Gottesdienst zu fahren. «Das», so sagt die Pfarrsekretärin, «würde ich sofort machen.»

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