16.09.2015

In die Glaubenstiefe gehen

Von Anne Burgmer

Sie ist erfolgreich, provoziert aber auch Kritik: Die Wislikofer Schule für Bibliodrama und Seelsorge ist einzigartig im deutschsprachigen Raum. Ein Tischgespräch über fünfzehn Jahre Ausbildung mit den Verantwortlichen Claudia Mennen, Nico Derksen, Sabine Tscherner, Christoph Gellner und Peter Zürn.

Die Wislikofer Schule für Bibliodrama und Seelsorge wird als besonders bezeichnet. Was ist das Spezielle? Einen Teil legt der Titel nahe: der Übertrag auf die pastorale Praxis, doch was macht sie darüber hinaus besonders?
Claudia Mennen: Es gibt drei grosse verschiedene Ansätze beim Bibliodrama. Einmal der, der aus der Spielpädagogik kommt, aus der Theaterpädagogik. Dann der, der Mass genommen hat am Psychodrama beziehungsweise in diesem Feld verankert ist. Dort geht es wirklich um die Entwicklung des Mensch-Seins im Alltag. Und eben unser Modell, das ursprünglich von Nico Derksen und Franz Andriessen wurde und ein seelsorglich pastorales Anliegen im Blick hat.
Nico Derksen: Für uns ist auch immer Ziel gewesen, dass wir unseren Glauben ja teilen sollen wie Brot. Das kommt zwar in anderen Bibliodrama-Formen in Elementen auch zur Sprache, aber diese anderen Formen wollen meist eher Spielen oder den Text verstehen, Exegese betreiben. Sie setzen andere Akzente und wollen nicht gerne mit uns in Verbindung treten. Wir sagen es ist ein wunderbares Instrument um den Menschen in seiner Tiefe zu erreichen, um Leben und Existenz mit dem Glauben in Verbindung zu bringen. Am Brunnen zu sein und damit sowohl die Bibel und ihre Texte als auch uns mit unseren Lebenserfahrungen in die Mitte zu stellen. Dazu kommt: es ist eine Gruppe. Das heisst aus den vielen «Ichs» kann ein neues Wir entstehen, in dem wir uns gegenseitig bereichern. Und so wie die anderen Bibliodrama-Strömungen in Westeuropa auf diesen Weg reagieren, sind wir einzigartig in dieser Ausrichtung. Und darüber freue ich mich.

Reagieren die anderen Bibliodrama-Strömungen auf das, was die Wislikofer Schule umsetzt?
Claudia Mennen: Sie kritisieren das! (Grosses Gelächter.)

Worin liegt Kritik?
Nico Derksen: Die Kritik, die wir erfahren, hat viel mit der Frage der Leitung zu tun. Unsere Bibliodrama-Leiter sind Seelsorger. Die anderen Strömungen haben da ein Autoritätsproblem. Wir arbeiten mit einem «Ritual» aus elf Schritten. Und innerhalb dieser Schritte entsteht ein Raum, in dem ich Freiheit habe mich zu entfalten. Das heisst aber auch, dass ich mich vielleicht nicht nur im Zusammenspiel mit anderen oder dem Bibeltext, sondern auch im Gegenspiel mit Anderen oder dem Text entwickle. Optimale Freiheit heisst, dass ich mich in diesem Raum entwickeln kann. Augenscheinlich stellen Raum und Leitung eine Begrenzung dar. Doch unser Prinzip ist immer gewesen, dass das nicht heissen kann: laisser faire. Der Seelsorger will Einfluss ausüben, weil er Glauben und Leben in Verbindung bringen will. Das benötigt Leitung in optimaler Freiheit, in Beziehung aber auch in Konfrontation. Das leben wir und das tut uns gut.

Wie ist das Institut für kirchliche Ausbildung (IFOK) mit der Wislikofer Bibliodramaschule verbunden?
Christoph Gellner, (Gesamtleitung IFOK): Es ist die richtige Kooperation für uns, weil es im deutschsprachigen Raum die einzige Bibliodrama-Ausbildung ist, die das Spezifikum der Verbindung von Bibliodrama und Seelsorge lehrt. Ideal für hauptamtliche Seelsorger, weil sie einerseits das Handwerkszeug vermittelt, und andererseits den pastoraltheologischen Hintergrund liefert. Wir würden von uns aus nicht jede x-beliebige Ausbildung anbieten. Doch diese ist wissenschaftlich fundiert, unter anderem durch die Dissertation von Claudia Mennen bei Leo Karrer und wir denken, dass es – auch weil es ein sehr zeitintensives Angebot ist – wirklich ein profiliertes Angebot ist. Nicht alle Teilnehmer absolvieren sie ausschliesslich auf den Beruf hin und haben das dennoch mit im Blick. Für uns hat also die Kooperation immer Sinn ergeben und deshalb haben wir es damals ins Programm aufgenommen.

Die Teilnehmer kommen demnach nicht nur aus dem Aargau, denn das IFOK ist für die Deutschschweiz zuständig.
Christoph Gellner: Die Teilnehmer kommen aus der ganzen Deutschschweiz. Und es war sinnvoll, dass man damals vom Aargau aus auf uns zugekommen ist, mit der Bitte, die Ausbildung ins Programm aufzunehmen.

Die Wislikofer Bibliodramaschule ist also auf das IFOK zugegangen?
Claudia Mennen: Ja genau.

Die Ausbildung dauert zweieinhalb Jahre, der sechste Ausbildungskurs ist beendet, die Ausbildung gibt es also seit rund zwölf Jahren?
Claudia Mennen: Sie läuft seit dem Jahr 2000, das heisst, es sind mittlerweile 15 Jahre. Alle zwei bis drei Jahre beginnt eine neue Ausbildungsgruppe. Die siebte beginnt nächstes Jahr. 2016.

Gibt es eine minimale oder maximale Teilnehmerzahl?
Claudia Mennen: Wir haben eine goldene Teilnehmerzahl. Minimum sind zehn, Maximum zwölf. Das ist die ideale Grösse. Das hatten wir bislang zweimal und das hat sich wirklich bewährt. Zwei Durstausbildung hatten wir auch, da hatten wir nur acht Menschen in der Gruppe und es lief Gefahr, dass die Vielfältigkeit der Kompetenzen und Eindrücke, der Austausch unter der kleinen Gruppe litt. Daraufhin haben wir dann einzelne Module geöffnet.
Christoph Gellner: Acht Teilnehmer gelten bei uns am IFOK als absolute Untergrenze, denn es reicht, wenn jemand krank wird, was durchaus passieren kann, und darunter leidet die Vielfalt so sehr, dass kleinere Gruppen keinen Sinn ergeben.

Wer genau ist das Leitungsteam?
Claudia Mennen: Das sind Sabine Tscherner, Nico Derksen und ich. Wir sind seit Beginn drei Leitungspersonen im Team. Allerdings haben wir für die Ausbildung, die jetzt abgeschlossen ist, unser ganzes Curriculum umgestellt. Wir haben kürzere Module eingeführt, die gezielt auf bestimmte pastorale Vollzüge ausgerichtet sind. Bibliodrama mit Kindern, auch im Rahmen der Schule oder Erstkommunion, dann Kurzformen von Bibliodrama mit Erwachsenen. Da können wir beispielsweise mit Kirchenpflegen, Pfarreiräten oder Besuchsgruppen Impulse setzen. Oder Bibliolog in Bewegung; das ist eine Entwicklung der Wislikofer Schule für Bibliodrama und Seelsorge, mit dem Ziel in einem zeitlich kürzeren Rahmen dennoch existenzielle Erfahrungen mit den Bibeltexten zu machen. Und mit Bibliodrama und Liturgie haben wir jetzt abgeschlossen. Das ist in dieser Form ganz neu, doch die Erfahrungen und die Auswertung geben uns Recht, dass das ein Schritt in die richtige Richtung gewesen ist. Wir haben insofern auch unser Ausbildungsteam erweitert. Peter Zürn für den Bibliolog, Detlef Hecking für Bibliodrama und Kinder und Urs Solèr für Bibliodrama und Liturgie. Wir sind also auch in unserem Ausbildungsteam grösser geworden.
Christoph Gellner: Dadurch – das muss man ganz deutlich sagen – ist das Profil nochmals verschärft worden, was das «und ausmacht. Bibliodrama UND Seelsorge.

Die Übertragsleistung wird also immer dichter und spezialisierter?
Claudia Mennen: Ja.
Christoph Gellner: Genau, für die verschiedenen Felder von Pastoral.

Wird die Ausbildung dadurch den unterschiedlichen Berufsfeldern gerechter? Katechetinnen arbeiten ja anders als Pastoralassistenten oder Spitalseelsorger.
Christoph Gellner: Ja. Ein Modul haben wir zum Beispiel vom IFOK aus nochmals als Einzelmodul angeboten, weil die Nachfrage und die Warteliste so riesig waren. Es ging um Bibliodrama und Seelsorgegespräch und das erwies sich als ein Weg, einen neuen Blick zu gewinnen. Die Warteliste war riesig und jetzt haben wir es selber ausgeschrieben, also auch unser Programm entsprechend geändert. Im Frühjahr können wir es durchführen.

Vorhin war die Rede von zwei Durstkursen: Gibt es etwas in den rund zwölf Jahren Ausbildung, das herausragend schrecklich, oder herausragend gut war?
Claudia Mennen: Der Anfang des jetzigen Bibliodrama-Jahrgangs war besonders, denn es hatte sich erstmals ein Rabbiner angemeldet. Also jemand aus einer anderen Religion, aus unserer älteren Bruderreligion. Das war eine grosse Ehre und sehr berührend. Es fing damit an, dass er eine hebräische Bibel auf den Knien liegen hatte und von hinten blätterte. Er war unglaublich zurückhaltend mit seinem anderen hermeneutischen Zugang zu den Texten und antwortete auf Nachfragen dann aber mit einer Fülle und auf eine Art und Weise, die einen ganz neuen Zugang zum Text eröffnen konnte. Er sass dort mit seiner Kippa und hat trotz der anderen Religion dennoch mit uns Gottesdienst gefeiert. Und sagte wohl: bis hierher kann ich gut mitfeiern und da ist dann eine Grenze. Wir haben sehr bedauert, dass er aus persönlichen Gründen nachher die Ausbildung aufgeben musste. Wir haben sehr viel voneinander gelernt in dieser Zeit und stehen nach wie vor per Mail in Kontakt.
Sabine Tscherner: Er kam aus London, wohlgemerkt.

Wie kam er auf die Wislikofer Ausbildung?
Nico Derksen: Er hat gegoogelt. Es suchte Bibliodrama und Seelsorge und kam dann auf uns. Er hat auch andere Modelle angeschaut, doch wir hatten das, was er wollte.
Claudia Mennen: Genau. Er hat dann auch das Buch gelesen «Geh in das Land, dass ich dir zeigen werde». In dem haben wir schon neuere bibliodramatische Elemente, die wir jetzt anbieten, verarbeitet. Das hat ihn dann zu uns gebracht. Das heisst, die Reflektion dessen was wir machen und die Veröffentlichung in einem Printmedium, dem Buch, hat eine Wirkung.

Gab es Erlebnisse, wo Sie nachher gemerkt haben, da müssen wir etwas ändern oder anpassen?
Alle: Nicht generell.
Sabine Tscherner: Es ist einfach manchmal etwas mühsamer. Weil Menschen das Gespür für sich selber oder für andere nicht, oder noch nicht entwickelt haben. Doch es gab nie eine Kurswoche, wo ich nachher gedacht hätte «Ui, das hätte ich jetzt nicht gebraucht». Das ist letztlich ein Verdienst der Einzelnen, die mit ihren unterschiedlichen Vor- und Glaubenserfahrungen in die Gruppe kommen und sich zur Verfügung stellen. Wo es möglich wird, die unterschiedlichen Tempi aufzufangen. Denn manche brauchen länger als andere, um sich zu finden. Es geht ja nicht darum, dass einfach eine Technik gelernt wird. Dafür bräuchten wir keine Ausbildung von zweieinhalb Jahren. Es geht darum zu einer inneren Haltung zu finden. und da sind die Voraussetzungen ganz unterschiedlich. Persönlich am herausforderndsten fand ich da vielleicht den Kurs, in dem wir zwei wirklich gute Exegeten dabei hatten. Eine Kompetenz, die wertvoll ist. Doch wir mussten einen Weg finden, diese Kompetenz, die einen Reichtum eröffnen kann, für die Gruppe fruchtbar zu machen, ohne dass sich diejenigen, die diese Kompetenz nicht haben, sich inkompetent fühlen.
Nico Derksen: Ich kann mich erinnern, dass wir das in aller Ernsthaftigkeit und dennoch lustvoll ins Spiel mit eingebaut haben und so dann alle mitnehmen konnten.

Haben sich die Teilnehmenden in diesen fünfzehn Jahren verändert?
Sabine Tscherner: Die erste Gruppe, die kam, hat sich wirklich dadurch ausgezeichnet, dass es unheimlich kreative, neugierige, innovative Menschen waren. Engagiert sind sie bis heute. Das ist allerdings vermutlich normal: Wenn eine solche Erstausschreibung läuft, gibt es einfach Menschen, die reagieren auf das Wort NEU und das sind dann oftmals solche Typen. Ansonsten würde ich sagen, die Klientel ist breiter in Bezug auf ihre Herkunftsgeschichten und ihre Ausbildung geworden.
Claudia Mennen: Parallel dazu wie auch in der Kirche die Berufe immer breiter geworden sind. Waren es früher hauptsächlich Theologen, die als Pastoralassistenten tätig waren, haben wir mittlerweile immer mehr Katechetinnen. Interessanterweise waren Spitalseelsorgende immer schon oft mit dabei, die die Verbindung zwischen Erwachsenenbildung und Einzelseelsorge gemacht haben. Dann nehmen immer mal wieder sehr ambitionierte und erfahrene Ehrenamtler teil. Die haben meist in ihrem Hauptberuf Leitungserfahrung gesammelt oder Weiterbildungen besucht. Die gehen allerdings zurück zugunsten der Katechetinnen, was sicher auch mit der gesamten Formodula-Ausbildung zu tun hat. Was wir noch nie hatten, ist einen einzigen Priester.

Gibt es eine Erklärung dafür? Haben die einen zu vollen Terminkalender?
Irgendwer wirft ein: Die brauchen das nicht mehr.

Gut, Bibliodrama ist sicher nicht für jeden Priester was, oder?
Claudia Mennen: Es ist aber auch nicht für jeden Theologen zwingend was.
Nico Derksen: Das finde ich eine freundliche Lesart. Ich bin da etwas kritischer. Ich habe auch in den Niederlanden und in Deutschland Bibliodrama-Ausbildungen durchgeführt und ich habe gemerkt, dass sich Priester im allgemeinen nicht bewusst sind, dass auch sie Lernende sind und sich weiterbilden und weiterschulen müssen/sollten. Wenn sie eine persönliche Entwicklung machen, dann machen sie sie ungern gemeinsam mit Kollegen und Kolleginnen, sondern lieber im Privaten. Ohne das wirklich untersucht zu haben, habe ich den Eindruck gewonnen, dass Angst da eine Rolle spielt.

Ein gutes Stichwort. Was für Voraussetzungen sind für die Ausbildung nötig? Ist psychische Stabilität wichtig, wenn die Ausbildung in die persönliche Tiefe der Teilnehmenden geht?
Claudia Mennen: In der Ausschreibung steht die Formulierung «psychische Belastbarkeit». Ausserdem braucht es die Bereitschaft, im Rahmen des bibliodramatischen Spiels «Offenbar zu werden vor sich und anderen»; um es mal theologisch zu formulieren. Also die Bereitschaft, sich zu zeigen und sich sehen zu lassen, braucht es wirklich.

Wie wird die Stabilität der teilnehmenden Menschen festgestellt?
Christoph Gellner: Die definitive Aufnahme in den Ausbildungskurs gibt es nach dem ersten Modul. Das beinhaltet eine Rückmeldung der Kursleitung, die dann immer noch sagen kann: ‚Wir sehen Sie im Kurs, doch es braucht vielleicht an einigen Stellen noch Entwicklung.‘ Das kann dann ein Lernweg sein. Es geht dann auch darum, dass so der Kurserfolg und die Qualität der Ausbildung gewährleistet werden kann. Die Eignung lässt sich bei dieser Ausbildung auch nicht in einem Eingangsgespräch klären, denn es zeigt sich ja erst im Bibliodrama, ob es wirklich geht. Früher haben wir das Schnuppermodul genannt. Danach wird dann definitiv entschieden.
Sabine Tscherner: Es ist eine Woche Selbsterfahrung, in der es noch nicht um die Methoden geht, sondern darum auch für sich selber zu spüren, ob der Ausbildungsweg ein gangbarer Weg ist.

Wie viele Menschen haben bisher die Wislikofer Bibliodrama Ausbildung absolviert?
Claudia Mennen: Rund 70 Menschen.
Peter Zürn: Vielleicht ist noch spannend: von den 70, die die Ausbildung gemacht haben, sind 50 im Verein Bibliodrama und Seelsorge. Das spricht für die Dauerhaftigkeit und Anbindung an die Ausbildung.
Sabine Tscherner: Und es gibt auch immer wieder Wiederholungstäter, die für Einzeltage, Module oder Wochen zurückkommen.

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