23.02.2017

«Interreligiöse Treffen sind zu versöhnlich»

Von Andreas C. Müller

Nach den Polizei-Einsätzen gegen Islamisten in Winterthur und im Tessin diskutiert die Schweiz wieder über den Islam. Jasmin El Sonbati, Begründerin von «Offene Moschee Schweiz», Halit Duran vom Verband Aargauer Muslime und Myroslava Rap, Fachfrau für Integration und Interreligiöses Handeln bei der Römisch-Katholischen Landeskirche Aargau, setzen im Kampf gegen Extremismus auf eine innerislamische Debatte, Alternativen zu den bestehenden islamischen Vereinen  sowie auf einen interreligiösen Dialog, der sich nicht im Austausch von Nettigkeiten erschöpft.

Über den Islam wird in der Schweiz nach wie vor kontrovers diskutiert. Frau El Sonbati, in ihrem aktuellen Buch fragen Sie: Gehört der Islam zur Schweiz?
Jasmin El Sonbati:
Die Muslime in ihrer Heterogenität haben einen Platz in der Schweiz, ganz klar.
Myroslava Rap: Muslime sind seit Jahrzehnten Teil der Schweizer Gesellschaft. Wir müssen aber schauen, wie wir das Zusammenleben mit ihnen gestalten.

Hierfür wird ja auch interreligiöser Dialog gepflegt. Mit Erfolg?
Halit Duran:
Ich finde den interreligiösen Dialog eine wichtige Sache. Im Aargau gibt es zwei Stammtische in Aarau und Baden, interreligiöse Gebete und Anlässe. Schade nur, dass sich so wenige beteiligen.
Jasmin El Sonbati: Mir sind diese interreligiösen Veranstaltungen manchmal zu versöhnlich. Was nicht heisst, dass es das nicht braucht.
Myroslava Rap: Wahrscheinlich trauen sich die Leute da zu wenig, zu streiten. Man muss zuerst Vertrauen aufbauen, bevor kontroverse Themen angesprochen werden.

Reibungspunkte gibt es derweil genug: Beispielsweise der Schwimmunterricht oder die «Handschlagdebatte»
Halit Duran:
Gerade die Sache mit dem «Handschlag« war für mich etwas weit hergeholt. Es war sicherlich eine Respektlosigkeit. Wären es nicht islamische Jugendliche gewesen, dann wäre das aber wohl nicht so in den Medien aufgebauscht worden.
Jasmin El Sonbati: Sicherlich muss man unterschieden, geht es um Erwachsene oder Jugendliche, die ja erst noch sozialisiert werden müssen. Aber grundlegende Kulturtechniken wie das Grüssen muss man in der Schule einfordern – unabhängig von der Religionspraxis.

Aber der Vater der Jugendlichen, die in Therwil ihrer Lehrerin die Hand nicht mehr reichen wollten, ist Iman in einer umstrittenen Basler Moschee.
Jasmin El Sonbati:
In besagter Faysal-Moschee verwendet der Imam für die Frauen noch nicht einmal das Femininum. Hinzu kommt, dass es da ein Potenzial bei diesen arabophonen Imamen gibt, extreme Positionen zu vertreten, das mich beunruhigt. Und das kommt auch in den Predigten zum Ausdruck.

Auch der Aarburger Imam stand in der Kritik
Halit Duran:
In der Schweiz organisieren sich die Muslime nach ihrer ethnischen Zugehörigkeit. Gerade aufgrund dieser schwingt mehr oder weniger Nationalismus mit. So hat beispielsweise der säkulare Kemalismus viele Türken zu Ultranationalisten gemacht. Bei den Albanern verhält es sich ähnlich.
Jasmin El Sonbai: Ein Imam sollte aber nicht entsprechende Predigten halten.
Halit Duran: Letztlich ist das Problem aber auch, was der Adressat einer Predigt verstehen will.
Jasmin El Sonbati: Aber der Imam hat da schon eine Verantwortung über die Inhalte seiner Predigten. Er muss die Gesellschaft, in der er lebt, also die schweizerische, im Auge behalten. Nationalistische oder gar islamistische Inhalte sind völlig Fehl am Platz.

Warum beschäftigt sich die Schweizer Öffentlichkeit denn nur mit radikalen Muslimen?
Myroslava Rap:
Genau das habe ich auch einmal mit Bekannten diskutiert. Und dann meinte jemand: «Weil die anderen niemanden töten»
Halit Duran: In weiten Teilen der islamischen Welt sehen die Menschen das anders. Dort gelten die Christen als die Aggressoren, die Krieg gebracht und ganze Länder kolonisiert haben.

Aber es gibt islamistische Terroranschläge und radikale Muslime, die das gutheissen. Auch in der Schweiz nehmen die Menschen das wahr.
Jasmin El Sonbati:
Das ist richtig, und das dürfen wir nicht verharmlosen. Gerade in Deutschland gibt es mittlerweile mehrere Tausend Salafisten – davon sind einige Hundert gewaltbereit. Umso mehr braucht es eine kritische Herangehensweise an den Koran.
Halit Duran: Das geschieht doch schon. Und die islamischen Autoritäten haben alle Terroranschläge stets verurteilt.

Richtig. Sie weisen auch darauf hin, dass die Leute, die solche Anschläge verüben, im Grunde keine Muslime seien.
Myroslava Rap:
Genau das hat mir ein Imam auch schon gesagt. Aber so einfach geht das doch nicht, zumal sich diese Leute ja selbst als Muslime verstehen.
Halit Duran: Wir verurteilen Anschläge und Gewalt. Sich davon distanzieren zu müssen, das lehne ich ab, weil wir nicht Teil davon sind.
Jasmin El Sonbati: Man kann den Islam aber auffassen, um gestützt auf ihn Gewalt zu verüben. Da können wir uns nicht reinwachen. Wir müssen akzeptieren, dass sich solche Leute auf dieselben Quellen beziehen wie wir und daraus eine fehlgeleitete Interpretation ableiten.

Gibt es darüber eine innerislamische Debatte?
Jasmin El-Sonbati:
Ja, die gibt es. Im Moment ist es so: Wir haben einen sogenannten islamischen Staat…
Halit Duran: Ja, sogenannt. Dieser selbsternannte «islamische Staat» hat nicht das Recht, die Vertretung von Islam und Muslimen zu beanspruchen.
Jasmin El Sobati: … und ich kenne arabische Moscheen, da höre ich Predigten, die mich beunruhigen. Da wird zu Parallelgesellschaften aufgerufen.
Halit Duran: Diese Vorwürfe zu Gewaltaufrufen kann ich nicht nachvollziehen – zumindest für den Aargau. Seit Jahren werden alle Freitagspredigten auch auf Deutsch auf den Webseiten veröffentlicht. Man kann das nachprüfen. Ich besuche zudem regelmäßig die Predigten und kann keine der Vorwürfe bestätigen.

Im Grunde erstaunlich angesichts der grossen Vielfalt islamischen Lebens.
Myroslava Rap:
Ich wünsche mir, dass diese Vielfalt spürbarer wird – und viele andere bestimmt auch. Man kennt den «Islamischen Zentralrat» als sehr konservative Gruppierung. Es gilt aber, andere Richtungen des Islam besser sichtbar zu machen.
Halit Duran: Es gibt auch nicht zu jeder Schattierung einen islamischen Verein. Als in den 1970er und 1990er Jahren viele Muslime in die Schweiz kamen, besannen sie sich auf ihre religiösen Wurzeln. Das betraf auch Menschen, die in ihrer Heimat nicht unbedingt religiös waren. So entstanden viele islamische Vereine. Mittlerweile sind die Übergänge fliessender. Es gibt viele, die nicht in die Moschee gehen, Alkohol trinken, aber doch auch Muslime sind….
Jasmin El Sonbati: Nur etwa fünf Prozent der Muslime sind an eine Moschee gebunden. Viele suchen auch nach Alternativen zu den bestehenden Vereinen. Da gibt es verschiedene Initiativen, zum Beispiel die «Offene Moschee». Männer, Frauen und Kinder können dort gemeinsam beten – auch unter weiblicher Leitung.

Und was bedeutet Vielfalt für den interreligiösen Dialog? Frau Rap, seitens der Römisch-Katholischen Landeskirche Aargau haben sie ja den Auftrag, dahingehend aktiv zu werden.
Myroslava Rap:
Ich erachte es als wichtig, Begegnungsmöglichkeiten zwischen den Religionen zu schaffen und Vernetzungsarbeit zu leisten. Zudem muss man beachten, dass die anderen Religionsgemeinschaften nicht über die gleichen personellen oder finanziellen Ressourcen für den Dialog verfügen. Darum soll die Landeskirche aktiv auf andere zugehen. Beide Seiten müssen aber am Dialog interessiert sein.
Halit Duran: Auf kommunaler Ebene gibt es schon viele gute Ansätze – beispielsweise in Döttingen oder Nussbaumen. Es sind leider nur eine Hand voll Leute und vor allem Frauen. Schön wäre, wenn die Kirchgemeinden dort, wo es muslimische Vereine und Moscheen hat, aktiver den Kontakt suchen würden. Leider haben manche Seelsorger da noch Vorbehalte. Dasselbe gilt selbstverständlich auch für die muslimische Seite. Dabei haben wir viel Verbindendes: Die gemeinsamen Propheten und Bücher beispielsweise.
Jasmin El Sonbati: Und ich wünsche mir, dass ich einmal in eine katholische Kirche eingeladen werde, um eine Predigt zu halten. Zudem bin ich noch immer der Ansicht, dass das Wissen über Religion fehlt. Gerade bei Jugendlichen. Ein guter Ansatz wären Podiumsveranstaltungen an Schulen. Nicht, um Jugendliche zu bekehren, sondern damit sie verschiedene Religionsvertreter kennen lernen können.

 

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