16.03.2016

«Ist das noch katholisch?»

Von Anne Burgmer

Wenn Bartek Migacz am 12. Juni 2016 in Berikon im Pastoralraum am Mutschellen zum Priester geweiht wird, ist der 30-jährige nicht nur der einzige Weihekandidat aus dem Aargau, er ist der Einzige für das gesamte Bistum Basel in diesem Jahr. Die kirchenliberale Schweiz bedeutet für den gebürtigen Polen eine willkommene Herausforderung.

Eigentlich wollte Bartek Migacz für das Bistum Lublin den Weg zum Priesterberuf beschreiten. «Als ich in Lublin im Seminar eingezogen war, ergab sich aber schnell das Angebot, für ein Jahr Theologiestudium ins Ausland zu gehen», erzählt der grossgewachsene junge Mann.

Heimat und Familie

Aufgewachsen ist Bartek Migacz im kleinen Dorf Muszynka, rund 150 km südlich von Krakau. «Es ist das letzte Dorf vor der Grenze zur Slowakei», sagt er. Nur 400 Einwohner leben dort, jeder kennt jeden. Bartek Migacz ist früh in der Kirche als Ministrant aktiv. Polen – das ist nach wie vor ein katholisches Land. Kinder werden selbstverständlich getauft, gehen regelmässig in den Sonntagsgottesdienst. «Wenn man mal einen Sonntag nicht in der Kirche war, wurde nachgefragt, was los ist. Es gibt schon eine Form von ‹kirchlicher› Sozialkontrolle dort. Das ist weder gut, noch schlecht – es ist einfach so», erklärt Bartek Migacz. Er engagiert sich stark in der Gemeinde. Ministrant, Lektor, Sakristan – irgendwann in der Maturaklasse, taucht der Gedanke auf, Priester zu werden. Nach der Matura, 2005, arbeitet er aber zunächst in verschiedenen Bereichen. «Wir sind eine grosse Familie, ich habe drei Geschwister. Da ging es auch darum, die Eltern zu entlasten», erinnert sich Bartek Migacz zurück.

Deutsch in einem Jahr

Ein Wirtschaftsstudium bricht er ab. «Mein Vater war Polizist. Meine Mutter war Buchhalterin. Bei ihrer Arbeit haben mich die Zahlen immer fasziniert. Doch Wirtschaft hat auch Bereiche, die mir nicht so lagen. Also ging ich 2007 ins Seminar nach Lublin und dann direkt in die Schweiz», sagt Bartek Migacz. Und dann lief es anders als geplant. Heute hört man Bartek Migacz kaum an, dass Deutsch nicht seine Muttersprache ist. Doch als er nach Luzern kam sah es so aus: «Ich hatte keine Chance, mit meinem katastrophalen Deutsch Theologie zu studieren», sagt er mit blitzenden Augen und grinst von einem Ohr zum anderen. «Ich habe dann ein Jahr nur Deutsch gelernt. Erst in einer Gruppe, dann im Privatunterricht. Nach dem folgenden Einführungsjahr, das für Priesterkandidaten verpflichtend ist, entschieden der Regens Thomas Ruckstuhl und ich, dass ich ab 2009 in Luzern für das Bistum Basel Theologie studieren werde.»

Mit neuen Erfahrungen

Das tat er mit Erfolg. 2014 macht er den Master; ohne grössere Zeitverzögerung obwohl er noch ein Auslandssemester in Wien absolviert. «Es war am Anfang trotz des intensiven Sprachjahrs eine Herausforderung. Doch ich bin sehr zufrieden, dass ich es geschafft habe», sagt Bartek Migacz. Ist er ein ehrgeiziger Mensch? Er überlegt lange und sagt dann: «Ich weiss es ehrlich gesagt nicht. Wenn mich etwas wirklich packt und ich es wirklich will, dann wohl schon».

Der Blick zurück zeigt eine zweite Herausforderung. «Die Kirche in der Schweiz ist ganz anders als die in Polen. Als ich meinen ersten Gottesdienst in Luzern besuchte, hielt eine Professorin der Universität die Predigt. Ich habe mich gefragt: ‹ist das noch katholisch›? Es war ein richtiger Schock, denn in Polen gibt es noch so viele Priester, das Laientheologinnen und Laientheologen nicht in pastoralen Bereichen arbeiten. Doch während des Studiums, als ich die Kolleginnen und Kollegen kennenlernte, habe ich gemerkt: Es ist gut so. Es gibt keinen Unterschied in dem, was wir lernen und nachher machen. Der einzige Unterschied liegt in der Weihe.» Dass es vereinzelt Laien gebe, die bewusst versuchten in priesterliche Aufgabenfelder zu gelangen, betrachtet Bartek Migacz kritisch.

Priesterwunsch überwog

Bartek Migacz ist – das sagt er im Gespräch immer wieder – ein Familienmensch. Erzählt er von seinen Eltern, Geschwistern, Nichten und Neffen, strahlen seine Augen. Sie alle wohnen im Heimatdorf. Dank Skype kann er an den Familienfeiern daheim teilhaben. Gab es nie den Wunsch, eine eigene Familie zu gründen? «Ich hatte längere Zeit eine Freundin und natürlich wäre eine Familie schön. Doch der Wunsch, Priester zu werden war stärker. Wenn ich Menschen durch ihr Leben begleiten und ihnen die Sakramente spenden will, geht das einfacher, wenn ich sozusagen Priester-Singel bin», sagt Bartek Migacz. Weil sie bereits Enkel haben und weil es in Polen immer noch eine Ehre ist, wenn ein Sohn Priester wird, hatten seine Eltern mit der Entscheidung kaum zu kämpfen.

Bartek Migacz geht seinen Weg mit Überzeugung. Dass er der einzige Weihekandidat für das Bistum Basel in diesem Jahr ist, löst allerdings gemischte Gefühle aus. «Natürlich werde ich gut begleitet, doch es ist schade, dass ich niemanden habe, der sich mit genau den gleichen Gedanken und Erfahrungen beschäftigt, wie ich im Moment. Alle, mit denen ich sprechen kann, sind entweder schon geweiht oder stehen an einem anderen Punkt im Vorbereitungsprozess», erklärt er. Er freut sich auf die Weihe, trotz der umfangreichen Organisation: «Ich bekomme viel Unterstützung und mag mich jetzt schon bei allen Menschen bedanken, die mir helfen und den Tag mitgestalten werden.»

Hat Ihnen dieser Artikel gefallen? Abonnieren Sie unseren Newsletter. Er erscheint alternierend zur Printausgabe alle zwei Wochen – immer mit den aktuellsten Horizonte-Geschichten und oftmals spannenden Verlosungen.