22.03.2018

«Jesus war der erste Head-Hunter»

Von Remo Wiegand

  • Der kirchliche Personalmarkt ist ausgedünnt. Personalexperten raten der Kirche, Head-Hunter einzusetzen und die Hürden für potentielle Quereinsteiger zu senken.
  • Aber es krankt auch anderswo: Personalexperte Matthias Mölleney beklagt eine fehlende Strategie, das Bistum Basel ärgert sich über das eigenwillige Vorgehen der Kirchgemeinden und letztere bemängeln unklare Stellenprofile.
  • Immerhin: Die 2013 lancierte Kampagne «Chance Kirchenberufe» sorgt für steigende Studierendenzahlen im Bereich Theologie.

 

Die Zahlen sprechen eine klare Sprache: Standen 1983 schweizweit noch knapp 2000 Seelsorger im kirchlichen Dienst, sind es heuer noch rund 1750. Nahezu jede achte Seelsorgestelle ist verschwunden. Zwar konnte der Einbruch der Priesterzahlen durch die grössere Zahl von Laientheologen und -theologinnen zu einem grossen Teil kompensiert werden, doch auch dieses Wachstum stösst nun an Grenzen. Denn neben der traditionell überschaubaren Gruppe heimischer Seelsorger versiegt auch der Zustrom deutscher Laientheologen zusehends. «Im Bistum Basel kommt auf eine Pastoralassistentenstelle meist nur ein Bewerber – wenn überhaupt», schreibt der Personalverantwortliche des Bistums Basel, Fabian Berz.

Neues Personal ist also dringend gesucht. Nicht umsonst läuft seit 2013 die Kampagne «Chance Kirchenberufe»: Einmal jährlich werben Kirchenleute auf Plakaten in öffentlichen Verkehrsmitteln für die verschiedenen Berufe – von der Ordensfrau bis zum Armeeseelsorger. Die Kampagne, die auch mit einer Homepage präsent ist und jährlich 300‘000 Franken kostet, zeitigt durchaus Wirkung: So ist die Zahl der Theologiestudierenden seit 2013 leicht steigend. «Das war ein erklärtes Ziel der Kampagne», sagt Thomas Leist von der Informationsstelle für Kirchliche Berufe (IKB). In absoluten Zahlen: Im Studienjahr 2016-2017 entstiegen den deutschsprachigen theologischen Fakultäten von Luzern, Fribourg und Chur 18 vollausgebildete Theologen.

Schelte am Vorgehen der Kirchgemeinden

Man muss kein Statistiker sein, um zu verstehen, dass dies nicht reicht. Hochglanzplakate genügen nicht, um den personellen Aderlass in der Kirche zu stoppen. Was also gilt es zu tun? Auf der Suche nach möglichen Strategien stösst man auf unterschiedliche Ideen und Tempovorstellungen. Im Personalamt des Bistums Basel verweist man auf eine gewisse Ohnmacht angesichts informeller Arrangements vor Ort: «Manchmal besetzt eine Kirchgemeinde ohne unser Wissen einen Teil einer vakanten Stelle unter der Hand», bedauert Fabian Berz. «Dann bleibt nur noch eine Teilzeitstelle, die für unsere offizielle Kandidatin nicht mehr attraktiv ist.» Ältere Seelsorger würden wiederum gerne die «attraktiven» Teile einer Stelle wie Liturgie oder Heimbesuche über ihrer Pensionierung hinaus behalten und wenig lukrative Rumpfstellen hinterlassen.

An der Basis klingt es ähnlich, nur umgekehrt: Zu viele Stellen, die das Bistum ausschreibe, seien zu unklar definiert. «Die Kirche redet ungern über Kompetenzen. Gerade bei der Leitung von Pastoralräumen sind wir darauf angewiesen, dass die Kompetenzen geklärt sind», sagt Daniel Ric, Kirchenpflegepräsident von Gebenstorf-Turgi. Daniel Ric ist überzeugt: «Wenn die Seelsorger klarer wissen, welchen Verantwortungsbereich sie haben, steigt auch die Zahl der Berufungen.» Ric, der Volkswirtschaftslehre studiert hat und nun den Master-Lehrgang «Wirtschaft – Religion – Politik» absolviert, ist in seiner Kirchgemeinde denn auch hauptsächlich damit beschäftigt, die Stellenprofile zu schärfen und seine Kirchgemeinde als Arbeitgeberin à jour zu bringen. Zugleich gibt Daniel Ric zu: «Vielfach suchen wir selber nach geeigneten Kandidaten.» Die Personalzentrale in Solothurn hat dann das Nachsehen.

«Will denn die Kirche lieber rein und edel sterben?»

Einer, der regelmässig gerufen wird, wenn die Personaldecken dünn werden, ist Matthias Mölleney. Der gläubige Katholik ist Personalexperte mit eigener Firma und war der letzte Personalchef der Swissair. Matthias Mölleney relativiert die Personalkrise der Kirche zunächst: «Mit dem Fachkräftemangel ist die Kirche in guter Gesellschaft.» Dennoch vermisst er eine klare Personalstrategie. Für Matthias Mölleney müsste die Kirche «viel aktiver promoten, dass auch Laien Kaderjobs machen können.» Und: Sie müsste ihre Stellen nicht nur passiv, sondern aktiv bewerben, so wie es in der Wirtschaft Usus sei: «Es wäre sehr sinnvoll, wenn die Kirche mit eigenen Head-Huntern auf Personalsuche ginge», so Matthias Mölleney.

Head-Hunter für die Kirche? «Der Vorschlag ist absurd», findet Thomas Leist. Kaum jemand könne von aussen in einen Kirchenjob hinein gelockt werden, ausserdem wolle man doch nicht in Konkurrenz zu anderen Arbeitgebern treten. Das wiederum versteht Matthias Mölleney nicht. «Ja, will denn die Kirche lieber rein und edel sterben?» Kircheninterne Head-Hunter könnten gezielt nach jenen Berufsleuten in der Lebensmitte forschen, die erfahrungsgemäss öfters den Sprung in einen kirchlichen Beruf wagen, sie könnten Datenbanken von Leuten anlegen, die über Erfahrungen im sozialen Bereich verfügen, passende Weiterbildungen gemacht haben oder in freiwillige Ämter gewählt wurden. «Auch KMUs schreckten vor fünf Jahren noch vor Head-Hunter zurück, heute ist das ein Standardinstrument», so Matthias Mölleney. Und: «Hat denn Jesus seine Leute mit Stelleninseraten gesucht? Nein, er ist zu einem Petrus hingegangen und hat ihm gesagt: Folge mir nach! Jesus war der erste Head-Hunter!»

«Chance Kirchenberufe»: Kein Brückenangebot

Matthias Mölleney appelliert an die Kirchen, die Hürden für Quereinsteiger abzubauen. Er lobt den Ansatz der Reformierten, ein verkürztes Studium für erfahrene Berufsleute anzubieten (siehe Kasten). Katholischerseits fehlt ein vergleichbares Angebot: Der Studiengang des Dritten Bildungswegs (DBW) an der Uni Luzern, der auch Interessenten ohne Matura offenstand, wurde 2015 mangels Studierenden eingestellt. Zwar sind an allen theologischen Fakultäten individuelle Sonderwege für maturalose Bewerber möglich, zwar hat die Uni Luzern ein erfolgreiches Fernstudium aufgebaut, das der geringeren Mobilität von Berufsleuten und Müttern und Vätern entgegenkommt – doch die lange fünfjährige Studiendauer, die zum kirchlichen Dienst berechtigt, bleibt indes unangetastet. Hinter der durchaus erfolgreichen Werbekampagne «Chance Kirchenberufe» wartet also kein Brückenangebot für wechselwillige Quereinsteiger.

Die katholische Kirche betreibt personalpolitisch vorerst eher Introspektion. So sind die Deutschschweizer Bischöfe daran, neue Berufsfelder zu kreieren, zum Beispiel im Bereich Freiwilligenarbeit: Künftig sollen Jugendarbeiter, Katechetinnen oder Sozialarbeiter eine Weiterbildung absolvieren können, um mit bischöflichem Segen Freiwilligengruppen – zum Beispiel eine Frauengemeinschaft – professionell zu begleiten. Die weniger werdenden und oft überarbeiteten Theologen sollen von dieser Aufgabe zusehends entlastet werden. «Es ist sicher sinnvoll, mit einer Reform vorderhand auf Personen zu zielen, die bereits im kirchlichen Bereich tätig sind», erklärt Jörg Schwaratzki, der Geschäftsführer des Bildungsrates der katholischen Kirche in der Deutschschweiz.

Quereinsteiger müssen warten

Die Katholische Kirche rüstet sich also eher defensiv mit kleinen Strukturveränderungen für eine Zeit mit noch weniger Theologen. Eine weitergehende Öffnung kirchlicher Berufe für Quereinsteiger bleibt vorerst Zukunftsmusik. Man könnte das Vorgehen angesichts der kirchlichen Personalsituation mutlos nennen. «Ich würde eher sagen, die Bischöfe sind umsichtig unterwegs», widerspricht Jörg Schwaratzki.

 

Reformierte: «Quest» läuft weiter

An den Universitäten Zürich und Basel schliessen im Sommer dieses Jahres die ersten Absolventen des verkürzten Theologie-Studiums «Quest» ab. Im Herbst 18 fängt dann der zweite Lehrgang an. «Quest» richtet sich an Menschen mit «Lebens- und Berufserfahrung», die einen Quereinstieg in den Pfarrberuf suchen. 34 Studierende hatten 2015 begonnen, heuer nehmen rund 20 Studierende das verkürzte Theologiestudium auf, das ihnen nach 3-4 Jahren den Abschluss einbringt. «Quest» stellt hohe akademische Anforderungen an Quereinsteiger: Interessenten müssen bereits ein Masterstudium abgeschlossen haben: «Damit sind zum Beispiel Lehrer oder Sozialarbeiter nicht zugelassen», sagt «Quest»-Projektleiterin Anne-Marie Helbling. Angesichts einer sich zuspitzenden Nachwuchsproblematik ist nicht ausgeschlossen, dass diese hohe Hürde in Zukunft diskutiert wird.

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