12.11.2020

Wie sich Seelsorge in der zweiten Corona-Welle behauptet
«Jesus war jemand, der einlädt - nicht abweist»

Von Andreas C. Müller

  • Die engmaschigen Schutzvorgaben von Seiten des Bundes und der Kantone im Zuge der Zweiten Corona-Welle machen den Kirchen schwer zu schaffen. Überall werden Gottesdienste und Anlässe für Familien und Senioren abgesagt.
  • Die Handhabe ist längst nicht einheitlich. Während Seniorenanlässe in den einen Pfarreien abgesagt werden, finden sie andernorts statt.
  • Sorge bereitet vielen Seelsorgenden das anstehende Weihnachtsfest. Vieles wird nicht in gewohnter Art und Weise stattfinden. Manche Seelsorgende befürchten nachhaltigen Schaden.

Erlinsbach folgt strengem Solothurner Regime

Beda Baumgartner, Pfarrer von Erlinsbach. | © Andreas C. Müller

Die Gemeinde Erlinsbach in der Nähe von Aarau besteht aus einem Aargauer und einem Solothurner Teil östlich und westlich des Erzbaches. Zur Pfarrei gehören somit ebenso Aargauer wie Solothurner. Da sich jedoch die Kirche auf Solothurner Boden befindet, gilt für Gottesdienste die strengere «Dreissigerregel». Pfarrer Beda Baumgartner versucht, aus der Situation das Beste zu machen und sagt: «Ich bin froh, dass ich immerhin noch mit dreissig Leuten Gottesdienst feiern kann. Ein Kollege von mir ist Priester im Wallis – da sieht es nochmals ganz anders aus».

Klar: Senioren- und Spielnachmittage finden nicht mehr statt. Und wie andernorts gibt es auch keine Apéros mehr, keinen Chorgesang, in den Gottesdiensten singen wir jedoch weiterhin gemeinsam, jedoch reduziert. Dass sich nun Kirchenmitglieder definitiv verabschieden, wenn nun nicht einmal mehr traditionell Weihnachten und Ostern in der Kirche gefeiert werden kann, hofft Beda Baumgartner nicht.

Es sei ein schöner Zufall, dass vermehrt Samstagabendgottesdienste stattfinden, freut sich der Erlinsbacher Pfarrer. «Die Erstkommunion wurde auf zwei Gottesdienste verteilt und pro Kind konnten zwei Angehörige mitfeiern». Auch am Krippenspiel für Weihnachten will Beda Baumgartner festhalten: «Die Akteure gehören nicht zu den dreissig Personen dazu». Fazit: In Erlinsbach soll es auf jeden Fall ein kirchliches Weihnachten geben.

«Wir haben so manches spannende Projekt für November und Dezember auf Eis legen müssen. Zuerst Vollgas, dann wieder Vollbremsung», sagt Christina Burger, Seelsorgerin in Kleindöttingen und präzisiert dann: «All das, was unsere Arbeit ausmacht, ist beeinträchtigt: Nähe suchen, Begegnung, Beziehung, Gemeinschaft. Das alles fällt weg und gilt nun als Risiko»

«Corona zerstört die Gottesdienstgemeinschaft»

Schweren Herzens habe man bereits alle Senioren- und Spielnachmittage abgesagt, so Christina Burger. Auch das generationenübergreifende Weihnachtsspiel, an dem sich über 50 Personen beteiligen, kann nicht stattfinden. Gerade für ältere Menschen sei es schlimm, dass vieles nicht mehr angeboten werden könne, ist Christina Burger überzeugt. «Diese Menschen verschwinden mehr und mehr in der Einsamkeit.»

Noch deutlichere Worte findet Andreas Wieland, Gemeindeleiter der Pfarreien Herznach, Hornussen und Zeihen. «Es ist eindrücklich, wie Corona die Gottesdienstgemeinschaft zerstört. Aufgrund der Tatsache, dass immer mehr aufgrund der gegenwärtigen Situation abgesagt werden muss, bricht der Kontakt zu immer mehr Menschen ab». Das Seelsorge-Team von Andreas Wieland hat ebenfalls alle Seniorenanlässe abgesagt, und die traditionellen Roratefeiern mit dem allseits beliebten Frühstück könnten auch nicht wie üblich durchgeführt werden. «Advent und Weihnachten werden auf Sparflamme stattfinden, so der Fricktaler Gemeindeleiter.

Aufgrund der Masken lässt sich nur schwer einschätzen, was Menschen empfinden. | © Roger Wehrli

Christina Burger macht die Situation in den Gottesdiensten ebenfalls zu schaffen. «Du siehst ja die Gesichter der Menschen gar nicht mehr, erkennst nicht mehr, wie es ihnen geht oder wie etwas bei ihnen ankommt», so die Seelsorgerin. Gleichwohl versuche man, aus der Situation das Beste zu machen. Mit Anmeldungen für Gottesdienste arbeite man nicht. Das sei nur eine weitere Hemmschwelle, so Christina Burger. Unsere Lektoren machen Begrüssungsdienst vor der Kirche, das komme gut an und schaffe Nähe in der aktuellen Situation. Gerade die älteren Menschen schätzten das sehr, seien doch einige verunsichert und wüssten nicht genau, wie sich verhalten müssten, wenn sie beispielsweise die Maske vergessen hätten.

Böse Reaktionen, wenn es einer zu viel ist

Etwas optimistischer gibt sich Michael Lepke, Leiter des Pastoralraums Siggenthal. «Wir lassen uns von der Situation nicht deprimieren und versuchen einfach, das Beste aus der Situation zu machen» sagt er stellvertretend für sein Team. «Wir feiern schöne und heitere Gottesdienste und versuchen, den Menschen Hoffnung zu vermitteln». Unschön sei nur, dass manche Leute böse reagierten, wenn unvorhergesehen doch mal ein paar Menschen mehr in einem Gottesdienst seien.

«Jesus war jemand, der eingeladen hat, nicht abgewiesen», so Michael Lepke. Aus diesem Grund werde es bei ihm auch sicherlich keine Weihnachtsgottesdienste geben, an denen an der Tür bis 50 gezählt und den nachfolgenden Personen gesagt würde: «Für dich hat es keinen Platz mehr.»

Siggenthal hält an Seniorenanlässen fest

Die Teilnahme am Gottesdienst ist nur noch mit Maske und für maximal 50 Personen möglich. Eine Herausforderung für das anstehende Weihnachtsfest. | © Roger Wehrli

«Wenn das so bleibt, werden wir keine Weihnachtgottesdienste feiern können», schätzt der Gemeindeleiter. In seinem Pastoralraum kommen in manchen dieser Gottesdienste bis zu 450 Personen zusammen. Schon die beliebten Familiengottesdienste, die in der Regel von deutlich mehr als 50 Personen besucht werden, wurden gestrichen. Die Seniorenanlässe fänden aber weitgehend statt – und zwar unter Einhaltung des Sicherheitsabstandes und mit Maskenpflicht. Klar gehören ältere Menschen zur Risikogruppe, aber diese könnten ja selbst entscheiden, ob sie kommen wollten oder nicht, meint Michael Lepke.

Froh ist der Pastoralraumleiter, dass man die Pflegeheime noch besuchen und dort auch Gottesdienste feiern dürfe – wenngleich auch ohne Kommunion. «Der Lockdown mit Besuchsverbot hat klar gezeigt: Viele ältere Menschen haben enorm abgegeben in dieser Zeit.»

Corona wird die Seelsorge verändern

«Auch Christina Burger will die Situation nicht einfach so hinnehmen. «Wir als Seelsorgende sind herausgefordert, Seelsorge neu zu gestalten», sagt sie und ist überzeugt, dass da schon Aufbrüche passieren werden. «Ich sehe noch nicht, wie das geschehen soll, aber: Corona wird die Seelsorge verändern».

Die Herausforderung annehmen will auch Stephan Stadler, Pastoralraumpfarrer in Muri. «Für die kommende Zeit des Advents und der Weihnachtszeit wollen wir ein vielfältiges Angebote anbieten», erklärt er gegenüber Horizonte. So soll es – altersspezifisch und nach Gruppierungen mehrere «kleine Feiern», «Impulse» und «Stationenwege» geben. Angedacht seien auch Impulse, Meditationen und für Familien mit Kindern Geschichten und mit Bastelanleitungen zum Mitnehmen.

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