25.06.2015

Joseph Thali, JedeR ist Königin. Befreiende Rückgewinnung religiöser Zeichen im Jahreskalender

Von Silvia Maria Berger

Joseph Thali. JedeR ist Königin. Befreiende Rückgewinnung religiöser Zeichen im Jahreskalender. ISBN 978-3-033-04876-8. Bezug per Mail zu 20 Franken inkl. Versand: joseph.thali@bluewin.ch oder per SMS 079 303 99 81

Diakon Joseph Thali hat ein Buch vorgelegt, das dazu beiträgt, die Bräuche in der katholischen Kirche neu zu beleben. Ausgangspunkt seiner Überlegungen ist die Beobachtung, dass seit den1990er Jahren die Werbung inflationär mit religiösen Symbolen überflutet wird. Religiös verankerte Figuren werden zu Lockvögeln für gewinnmaximierende Geschäfte eingesetzt. So wurde uns der christliche Kalender geraubt. Dieser Raub, so Joseph Thali, ist die Entwendung der Pausen. «Die Religion des Kapitalismus kennt keine Unterbrechung, keinen Sabbat und keinen Sonntag. Alles ist jederzeit und überall zu haben.» Wie die Rückgewinnung geschehen kann, wird in achtzehn Kapiteln vorgeführt. Da wird keine bloss intellektuelle «Nachdenkerei» zelebriert. Es wird vielmehr von einer vielfach erprobten Praxis erzählt. Faszinierend ist das Strickmuster der Abschnitte zu den Bräuchen. Ein erster Schritt ist die Erinnerung an die eigene Kindheit in katholischem Stammland. Eine kritische Erinnerung, die den Spreu vom Weizen zu unterscheiden vermag. Der zweite Schritt ist eine befreiungstheologische Reflexion auf die Optionen die der jeweilige Brauch in sich trägt. Damit verbunden ist drittens eine biblische Besinnung. Alle diese Erfahrungen und Überlegungen werden im Darstellen der Praxis des jeweiligen Brauches im Horizont unserer Welt umgesetzt. Wahrlich ein Buch für Liturginnen, Liturgen und Liturgiegruppen. Lesenswert ist das 69 Seiten starke Buch aber auch für Menschen auf der Suche nach einer geerdeten Spiritualität, die nicht esoterisch ortlos ist, sondern in den Nöten der Menschen anpackt.

Da geht es etwa um die Bräuche, die mit St.Nikolaus verbunden sind, den Thali als Befreiungstheologen vorstellt. Die Kelten, unsere Vorfahren, glaubten, dass im Winter ein Totenheer und drohende Mächte unterwegs sind. Mit Speisen und anderen Gaben, die sie vor ihre Behausungen legten, hofften sie die Unheils Mächte besänftigen zu können. Im Lauf der Zeit beschenkte man nicht mehr die Toten, sondern die armen Kinder. St.Martin und St.Nikolaus wurden zu Gabenüberbringern. Um Niklaus entwickeln sich aussagestarke Legenden. Niklaus kämpft gegen den Hunger und praktiziert eine andere Ökonomie: Die Güter der Erde sind für alle da und niemand darf verhungern. «eine befreiungstheologische Pastoralpraxis in ihren Handlungsfeldern auf der Seite der ökonomisch Verarmten, der politisch Bevormundeten und ideologisch Ausgegrenzten feiert, betet, unterrichtet und diakonisch handelt.» Die Nikolauslegenden zeigen ein Tun, das sich an paulinischen Kategorien orientiert: «Es gibt nicht mehr Juden und Griechen, nicht Sklaven und Freie, nicht Mann und Frau, denn ihr alle seit «einer» in Jesus Christus.»

In Rothrist, wo Josef Thali als Gemeindeleiter wirkte, wollte die Autopartei einen St.Nikolausumzug durchführen. Nikolaus sollte zur Symbolfigur der rücksichtslosen auf «freie Fahrt» fixierten rechtsbürgerlichen Partei werden. Diesen Raub aber verhinderten die Rothrister. Es wurde um die Kirche ein grosses Nikolausfest gefeiert, dass auch noch 30 Jahre danach jährlich organisiert wird. Nach den Geschichten, die Nikolaus vorträgt, werden alte Nikolauslieder gesungen, die Kinder sagen ihre Reimverse auf. Und dann ziehen alle mit Nikolaus und seinem Esel durch das Dorf. Die Kinder tragen bemalte Glaslaternen mit sich. Mit Kuhglocken und Treicheln vertreiben sie die Dämonen. Zurück auf dem Kirchplatz stehen Tee, Glühwein, Nüsse, Mandarinen und Lebkuchen bereit. Die Kinder können mit Nikolaus reden. Ein Stück Reich Gottes wird spürbar. Nikolaus bleibt ein religiöses Symbol.

Achtzehn Bräuche werden vorgestellt. Jeder mit einem provozierenden Titel überschrieben. Advent ist Widerstand; Palmsonntag: Eselin als Prophetin; Ostern: Finger auf die Wunden legen; Pfingsten: Fingerspitzengefühl für das Leben; Tag der Flüchtlinge: Gott oder Mammon; Allerheiligen: Heiliggesprochene und Heilige.

Grossartig sind die Bilder, die in dieses Buch aufgenommen wurden. Es Sind Bilder von Beat Hofer, Fotos von Ellen Mathys und Objekte von Veronika Kernen Thali.

Das Buch leistet auch der Befreiungstheologie gute Dienste. Es zeigt, dass sie nicht einfach abstrakte Reflexion ist, sondern auch frommem Leben neue Kraft vermitteln. Deutlich wird auch, dass Befreiungstheologie nicht Destruktion von Tradition und Vertrautem ist, sondern eine gläubige Kreativität freisetzt, die Menschen ermutigt im aufrechten Gang ihr Leben mit andern zu gestalten.  xp

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