29.06.2014

Katholisch ohne Papst

Von Anne Burgmer

Christkatholisch: Das wird auf Seiten von römisch-katholischen Gläubigen oft mit Fortschritt in Verbindung gebracht; da geht alles, was in der römisch-katholischen Kirche nicht erlaubt ist. Frauen werden zu Priesterinnen geweiht, Priester müssen nicht zwingend zölibatär leben. Lenz Kirchhofer, 30-jähriger christkatholischer Priester in Aarau, gibt auf die Frage nach dem grössten Unterschie zwischen den beiden Konfessionen eine zunächst überraschende Antwort: «Ich würde sagen, es ist die Grösse. Oder besser die Kleinheit der christkatholischen Kirche in der Schweiz, die uns von den beiden anderen Landeskirchen unterscheidet.»

Organisation der Glaubensweitergabe
Je genauer man hinsieht, desto verständlicher wird diese Antwort: Rund 12’000 Christkatholiken leben in der Schweiz. Ihr Bistum entspricht den Grenzen der Eidgenossenschaft, die Gemeinden sind flächemässig gross, die Gläubigen dementsprechend weit verstreut. Für seelsorgliche Hausbesuche ist ein christkatholischer Priester oftmals Stunden unterwegs. Auch die Organisation der Glaubensweitergabe gestaltet sich anders. «Es lohnt sich für uns beispielsweise oft nicht, in jeder Stufe Religionsunterricht anzubieten. Wir fassen mehrere Jahrgänge zusammen, um genügend Schüler in einer Gruppe zu haben. Deswegen findet der Religionsunterricht selten im Rahmen der Primarschule statt, wie bei den anderen beiden grossen christlichen Konfessionen. Meist wird der Unterricht am Mittwochnachmittag oder Samstag durchgeführt», erklärt Lenz Kirchhofer, der auch als Redaktor bei «christkatholisch», dem christkatholischen Kirchenblatt, tätig ist. Wer sich später für ein Studium entscheidet, studiert Theologie an der Fakultät Bern und besucht in den Bereichen Dogmatik, Kirchengeschichte und Liturgik die christkatholischen Schwerpunkte. Es gilt, Synergien zu nutzen.

Theologische Unterschiede
Neben der Grösse sind es bestimmte Auffassungen vom Papst-Amt und den Dogmen, welche die Christkatholiken von den römisch-katholischen Christen unterscheiden. Am deutlichesten: Die Christkatholiken erkennen die Unfehlbarkeit und den Primat des Papstes nicht an. Dieses Verständnis des Papstamtes wurde im Jahre 1870, im Rahmen des Ersten Vatikanischen Konzils, festgelegt. Daraufhin kam es in Deutschland, Österreich und der Schweiz zur Trennung der Christkatholiken von den römisch-katholischen Christen. Im Eingenverständnis der Christkatholiken hielten sie am alten Glauben fest, während die römisch-katholische Kirche diesen veränderte. Die Christkatholiken sind also katholisch ohne Papst. Aussergewöhnlich ist auch, wenn, wie im Fall von Lenz Kirchhofer und seiner Frau Antje, ein Ehepaar zum priesterlichen Dienst geweiht wird. Gleich zwei Kritikpunkte der römisch-katholischen Basis an ihrer Kirche sind somit in der christkatholischen Kirche kein Thema. Römisch-katholische Theologen, die zur Schwesterkirche konvertieren, erleben aber nicht selten im liturgischen Bereich eine Überraschung. «Wir haben das Zweite Vatikanische Konzil und damit auch dessen Liturgiereform nicht mitgemacht. Wir haben in den 1970er-Jahren mit einer Annpassung angefangen, die erst jetzt abgeschlossen ist. Auch, weil vieles dieser Erarbeitung in der Freizeit der Beteiligten passiert. Die Liturgie ist ein Punkt, mit dem wir uns profilieren. Sie ist etwas Heiliges, besonders für ältere und amtserfahrene Priester. Manch römisch-katholischer Theologe, der zu uns konvertiert, stolpert zunächst über den alten Ritus», schmunzelt Lenz Kirchhofer.

Grosses Engagement
Gesamthaft muss sich auch die christkatholische Kirche mit ähnlichen Fragestellungen auseinandersetzen wie die römisch-katholische Kirche in der Schweiz. Immer mehr Menschen fühlen sich keiner Konfession mehr zugehörig oder sind stille Mitglieder, die sich nicht aktiv engagieren. Diejenigen, die beispielsweise in der Kirchenpflege mittun, erlebt Lenz Kirchhofer allerdings als überaus engagiert. Und er gibt zu bedenken: «Selbst wenn jemand nicht an jeden Anlass der Pfarrgemeinde kommt, die Werte und die Moral, die wir als Kirche vermitteln, werden im Alltag gelebt. Das ist statistisch nur schwer messbar, das verstehe ich aber gleichwohl als Engagement für unseren christlichen Glauben.»

Anne Burgmer

Themen Ökumenisch
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