24.04.2017

Kein Reformationsspiel im Surbtal

Von Andreas C. Müller

Während für den Pfarreileiter Gregor Domanski weltliches Theater in der Kirche ein «No Go» ist, sieht Kirchenrechtler Urs Brosi da durchaus Ermessensspielraum. Verschiedene Gläubige hingegen rätseln und fragen sich, wie konservativ ihre Pfarrei geworden ist.

Gallus Ottiger, seines Zeichens Katholik, Landschaftsgärtner und Theaterregisseur ist im Surbtal bekannt wie ein bunter Hund. 2010 hat er mit sechs Gelichgesinnten die Freilichtbühne Surbtal ins Leben gerufen und mit dieser bereits zwei grosse sowie mehrere kleinere Theaterproduktionen realisiert. Die als Verein organisierte Theatergruppe zählt zurzeit rund 80 Aktivmitglieder.

Pfarrer macht Haushälterin Antrag in der Kirche

Für 2017 hätte es anlässlich des Reformationsjubiläums ein Reformationsspiel in den Kirchen Lengnau, Endingen und Tegerfelden geben sollen. «Mein Stück hätte gezeigt, wie sich die Kirche im Zuge der Reformation verändert hat, und das Kircheninnere hätte dafür die ideale Kulisse abgegeben», erklärt der passionierte Theaterregisseur. «Beispielsweise für eine Messe, wie sie vor 500 Jahren zelebriert wurde. Aber auch für Veränderungen, wie sie im Zuge der Reformation Einzug gehalten haben.» In Gallus Ottigers Stück war auch ein Pfarrer vorgesehen, der sich nach etlichem Ringen zum neuen Glauben bekennen sollte, auf Deutsch predigt und schliesslich seiner Haushälterin einen Heiratsantrag macht.

Das alles war den Verantwortlichen in den Pfarreien Lengnau und Endingen zu gewagt: Von den Kirchenpflegen und von der Pfarreileitung, Gregor Domanski, wurde die Aufführung im Kirchenraum abgelehnt. «Gallus Ottiger hat sich vorgestellt, dass die Schauspieler am Altar quasi eine Messe lesen. Das geht nicht», erklärt der Lengnauer Kirchenpflegepräsident Mario Schönenberger. Und Gregor Domanski machte im Gespräch mit Horizonte geltend: «Es ist ausdrücklich verboten, Sakralräume für weltliches Theater und andere Veranstaltungen zu verwenden.» Man habe Herrn Ottiger stattdessen den abtrennbaren Gemeinderaum zur Benützung angeboten.

«Vom Kirchenrecht her ist Offenheit gegeben»

In der Tat besagt das Kirchenrecht (can. 1210 Codex Iuris Canonici), dass «an einem heiligen Ort darf nur das zugelassen werden darf, was der Ausübung oder Förderung von Gottesdienst, Frömmigkeit und Gottesverehrung dient». Zudem «ist das verboten, was mit der Heiligkeit des Ortes unvereinbar ist. Der Ordinarius kann aber im Einzelfall einen anderen, der Heiligkeit des Ortes nicht entgegenstehenden Gebrauch gestatten.»

«Vom Kirchenrecht her ist da eine gewisse Offenheit gegeben», erklärt der Thurgauer Kirchenrechtler Urs Brosi. «Man darf nicht vergessen, dass Kirchen früher auch für Gemeindeversammlungen genutzt wurden.» Alles, was sich in der Toleranzzone zwischen Verkündigungsauftrag und Unvereinbarkeit bewegt, «muss allerdings vom Ordinarius, also vom Bischof oder von dessen Bischofsvikar geprüft werden.» Faktisch sei es in der Schweiz aber so, dass solche Dinge vor Ort von den Gemeindeleitenden entschieden würden.

Pfarreileitung: «Das Stück ist provozierend»

«Konzerte mit rassistischen Liedern gehen nicht», erklärt Urs Brosi. Aber darüber hinaus sei es schwierig abzuschätzen, was als unvereinbar gilt. Auch für das von der Freilichtbühne beabsichtigte Theaterprojekt sieht Urs Brosi kein Problem, sofern dieses nicht auf Kosten der künstlerischen Freiheit Religion verunglimpft oder aus der reinen Lust an der Provokation Grenzen auslotet.

Doch genau diesen Sachverhalt sahen die Gemeindeverantwortlichen im Falle des geplanten Surbtaler Reformationsspiels als erfüllt an. Gregor Domanski bezeichnete gegenüber Horizonte den Inhalt des geplanten Stücks als «provozierend» und meinte: «Unsere frommen Gläubigen könnten durch so etwas überrascht werden. Aus diesem Grund konnte ich das nicht zulassen.»

Auch der reformierte Pfarrer will nicht

Bei der Freilichtbühne Surbtal reagierte man entsprechend enttäuscht. Erst recht, als auch von Seiten der Reformierten eine Absage kam. Pfarrer Bernhard Wintzer erklärte gegenüber Horizonte, er selber hätte eine solche Idee an und für sich als sehr reizvoll empfunden. Nur sei es schade, dass Gallus Ottiger im Januar bereits mit dem fertigen Stück an die Kirchgemeinden herangetreten sei. Es wäre wichtig gewesen, wenn er bereits vorher das Gespräch gesucht hätte. In diesem Fall hätte man gemeinsam sicher einen Weg finden können, der für alle gangbar gewesen wäre. So aber gebe es inhaltlich und in ökumenischer Sicht zu viele Probleme, dieses Stück in einer reformierten Kirche im Reformationsjahr aufzuführen.

Verschiedene Sympathisanten der Surbtaler Theaterschaffenden äusserten angesichts dieser Enttäuschung gegenüber Horizonte den Verdacht, dass das Projekt letztlich «an der konservativen Haltung des aktuellen Gemeindeleiters» gescheitert sei. Pfarreimitglieder, die jedoch nicht namentlich erwähnt werden mochten, beklagten gegenüber Horizonte, dass Lengnau früher offener und aktiver gewesen sei. Für Gemeindeleiter Domanski zähle vor allem die Eucharistie, alles andere habe für ihn nicht dieselbe Bedeutung, hiess es beispielsweise.

Vorgänger hätten vermutlich anders gehandelt

Weiter wurde gemutmasst, dass unter Gregor Domanskis Vorgängern Dorothee Hafner und Andreas Wieland das geplante Reformationsspiel durchaus eine Chance gehabt hätte. Darauf angesprochen erklärt Dorothee Hafner: «Ich kenne die Freilichtbühne Surbtal und auch Gallus Ottiger – die machen gute Sachen. Unter mir und bestimmt auch unter Herrn Wieland hätte das Projekt sicher eine Chance bekommen.»

Doch es finden sich auch Stimmen, die das anders sehen. So erklärt beispielsweise Erika Müller aus Lengnau: «Ich habe Verständnis für den Entscheid der Gemeindeverantwortlichen. Man darf doch keine Heilige Messe als Theater in einer Kirche aufführen. Wenn man das in einer Turnhalle macht, ist das etwas anderes als in einer geweihten Kirche.»

Theatergruppe bringt neues Stück in einer Scheune

Wie auch immer: Anstelle eines grossen Reformationsspiels realisiert die Freilichtbühne Surbtal dieses Jahr eine kleine Produktion. Gespielt wird nicht in der Kirche, sondern in einer Scheune. Er habe darum etwas völlig Neues konzipieren müssen, erklärt Gallus Ottiger. «Weil die ursprüngliche Idee für die Kirche angelegt war». Doch es liess sich nicht erzwingen. Möglicherweise in Erinnerung an diesen Umstand trägt das neue Stück, das im Herbst in Vogelsang zur Aufführung gelangt, den vielsagenden Titel «Erzwingli».

 

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