21.09.2017

«Keine schlafenden Hunde wecken»

Von Anne Burgmer

Im Mai machte das Bistum Basel bekannt: Es gibt einen Arbeitskreis (AK) Regenbogenpastoral.  Horizonte fragte gleichgeschlechtlich Liebende nach ihren Erfahrungen in der Kirche und erfuhr teils Unerwartetes.

Maria ist 54, sie lebt in Basel. Kurz vor Redaktionsschluss meldet sie sich noch – als einzige der angeschriebenen Frauen. In knappen Worten erzählt sie ihre Biographie: «Ich bin in einer normalen CVP-geprägten Familie aufgewachsen. Meine Mutter war sehr katholisch, mein Vater moderat katholisch. Ich bin früh von zu Hause weg und für die Ausbildung vom Land nach Basel gegangen». Sie erlebte die klassische katholische Sakramenten-Abfolge: Taufe, Erstkommunion, Firmung.

Mitte ihrer Zwanziger-Jahre hat sie ihr coming out, sie liebt Frauen. «Aus der Kirche ausgetreten bin ich 2005», erinnert sich Maria und setzt hinzu: «Ich war schon kirchenferner, doch im Vorfeld zur Abstimmung über das Partnerschaftsgesetz hat die Kirche sich so weltfremd und inhuman positioniert, dass es mir gereicht hat».

Enthaltsamkeit oder Heimlichkeit

Die 49-jährige Susanne Andrea Birke, Theologin und Initiantin des AK Regenbogenpastoral, sitzt an einem Café-Tisch im Zürcher Niederdorf. Um eine Einschätzung zum geringen Rücklauf bei den angeschriebenen Gesprächspartnerinnen gebeten, erklärt sie: «Es gibt wenig römisch-katholische Lesben und die, die es gibt, äussern sich kaum öffentlich. Wenn sie kämpferisch sind, treten sie oft aus der Kirche aus und kirchliche Angestellte halten sich zu Recht zurück». Es sei als Frau schon grundsätzlich nicht einfach, Teil der katholischen Kirche zu sein und es werde nicht einfacher, wenn man lesbisch sei und lebe. «Mit der aktuellen Personalpolitik müsste ich wohl mit dem Verlust meiner Missio rechnen, wenn ich eine Beziehung leben würde – es sei denn, ich würde mich damit verstecken», sagt Susanne Andrea Birke.

Gleichgeschlechtlich liebenden Menschen, die in der Kirche arbeiten wollen, bleiben Enthaltsamkeit oder Heimlichkeit.

Überraschende Antwort

Diese «Wahlmöglichkeit» finden Alberto,  47, und Ivo, 53 traurig. Die zwei Männer sitzen an einem Stubentisch im Baselland. Alberto hat lange Zeit im Aargau als Sakristan gearbeitet, war Mitglied und zwei Jahre Präsident des Aargauer Sakristanenverbandes. Ivo ist seit seiner Ministrantenzeit im Pfarreileben aktiv und engagierte sich bei Adamim, dem Verein schwuler Seelsorger in der Schweiz, einem Austauschforum für schwule Männer im kirchlichen Dienst. «Das Leid, welches existiert, weil Männer im Kirchendienst ihre Liebe zum eigenen Geschlecht nicht leben oder nicht mal offen sagen dürfen, ist gross», erklärt Ivo.

Er selber und auch Alberto gehen transparent mit ihrer sexuellen Orientierung um. «Wenn mich jemand fragt, streite ich es nicht ab», sagen beide. Die Antwort auf die Frage, ob sie in ihren Kirchgemeinden je Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung erfahren hätten, überrascht. Sie überlegen einen Moment und schütteln dann den Kopf. «Nein. Ich habe nie etwas erlebt, wo ich mich wegen meiner sexuellen Orientierung diskriminiert fühlte. Im Gegenteil, ich habe erlebt, dass Menschen zu mir kamen und sagten, dass sie sich informiert hätten und jetzt besser Bescheid wüssten», erinnert sich Ivo.

«Als die Frage im Vorstand diskutiert wurde, ob ich Präsident werden wollte, gab es einmal eine Diskussion darüber. Ich hatte alle Karten auf den Tisch gelegt, damit sie wissen, wen sie anfragen. Ein Vorstandsmitglied äusserte Bedenken und dass es ja nicht natürlich sei. Andere aus dem Vorstand haben dann für mich gesprochen und erklärt, dass diese Haltung sozusagen ins Archiv gehört», erzählt Alberto.

Lehre hat mit Leben wenig zu tun

In dieser Formulierung wird ein Graben deutlich, mit dem sich Katholiken konfrontiert sehen: Einerseits gibt es die offizielle Position der katholischen Kirche, die als Norm den heterosexuellen Menschen im Blick hat. Andererseits stellt für immer mehr Menschen in der Gesellschaft (auch im römisch-katholischen Milieu) das Thema Homosexualität ein immer geringeres Problem dar. Homosexualität wird als eine Spielart der menschlichen Sexualität verstanden. Eine repräsentative Umfrage von Pink Cross zu LGBT-Themen (LGBT steht für Lesbisch, Gay (schwul), Bisexuell, Transsexuell) im Jahr 2016 zeigt zum Beispiel, dass rund zwei Drittel der Befragten die Öffnung der Zivilehe auch für gleichgeschlechtliche Paare mit «Ja» oder «eher Ja» befürworten.

Der Graben zwischen Lebensrealität und Lehre ist ein Grund, warum auch kirchenintern kritische Anfragen an den AK Regenbogenpastoral herangetragen werden. «Wir wurden gefragt, ob die Einrichtung des AKs nicht eine positive Stigmatisierung darstelle», erklärt Susanne Andrea Birke. Die Theologin kann diese Frage nachvollziehen und vertritt gleichzeitig eine andere Position: «Natürlich sollte das Ziel sein, dass alle Menschen als Geschöpfe Gottes die gleiche Pastoral empfangen. Doch von dem Ideal, dass tatsächlich alle Menschen in der Kirche unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung wertschätzend und gerecht behandelt werden, sind wir noch weit entfernt. Dass das Thema Homosexualität in den Pfarreien vor Ort kein Thema ist, heisst nicht automatisch, dass alles gut ist».

Seelsorgende als Vorbild

Die Aussagen zweier Seelsorger aus verschiedenen Regionen im Aargau, die nicht namentlich genannt werden wollen, verdeutlichen die Barrieren, die beim Thema existieren.

«Kollegen und Kolleginnen überlegen je nach Kontext sehr genau, ob sie sachliche Kritik am AK Regenbogenpastoral äussern. Sie haben Bedenken, weil sie Gefahr laufen, durch Kolleginnen oder Kollegen oder auch Pfarrgemeindemitglieder schnell in eine konservative oder homophobe Ecke gestellt zu werden, in der sie gar nicht sind», sagt der eine Gesprächspartner.

Der andere formuliert mit Blick auf die Pfarrgemeinde: «Das Thema spreche ich nicht an, wenn es nicht sein muss, da ich nicht weiss, ob ich schlafende Hunde wecke. Wichtig ist, dass ich vorlebe, dass homosexuelle Kirchgemeindemitglieder gleichwillkommen und gleichgeschätzt sind wie alle anderen. Dass es keinen Unterschied macht. Diese Haltung des Seelsorgers strahlt in die Pfarrgemeinde aus.»

Die Haltung des Priesters, der Seelsorgerin oder des Seelsorgers vor Ort macht viel aus. Das bestätigen Ivo und Alberto aus eigener Erfahrung. «Wenn der Priester oder Gemeindeleiter deutlich macht, dass er eine offene Haltung vertritt, hat das Vorbildfunktion für die Mitglieder der Pfarrei. Es entsteht ein offenes Klima, in dem Fragen und eine unbefangene Beschäftigung mit dem Thema möglich werden», sind die beiden Männer überzeugt.

Coming out führte zum Rauswurf

Dennoch stellt sich die Frage, was mit Menschen ist, die aus verschiedenen Gründen Mühe haben mit dem Thema Homosexualität. Domenica Priore, Transfrau und ebenfalls Teil des AK Regenbogenpastoral, formulierte 2016 in einem Interview mit Horizonte eindrücklich: «Unverständnis kann ich akzeptieren, Demütigung nicht»!

Wie eine solche Demütigung in einer christlichen Glaubensgemeinschaft aussehen kann, macht das Beispiel von Thomas Fingerlin deutlich. Der 65-Jährige outete sich nach einem langen Prozess gegenüber seiner Frau und seinen Kindern und auch gegenüber seiner Gemeinde, einer Freikirche im Raum Basel. «Sonntags hatte ich noch die Kinder der Mitgläubigen heimgefahren. Dann habe ich mich geoutet und flog sofort raus. Ich musste alle Schlüssel abgeben. Keine Diskussion, keine Gnade, einfach Ende. Für die Gemeindemitglieder war ich mit meinem Outing automatisch auch ein Pädophiler. Diese Verbindung ist in den Köpfen vieler Menschen fest verankert und das ist fürchterlich», erzählt Thomas Fingerlin an seinem Esstisch.

Weniger Provokation

Heute lebt Thomas Fingerlin seinen Glauben in einer freikirchlichen Gemeinde, die gleichgeschlechtlich Liebende anerkennt und kein Aufhebens um die sexuelle Orientierung macht. Weil Thomas Fingerlin diese Anerkennung wichtig ist, akzeptiert er, dass bekennende Homosexuelle keine Ämter in der Gemeinde bekleiden sollen.

Thomas Fingerlin kann nachvollziehen, dass Mitmenschen dem Thema Homosexualität skeptisch gegenüberstehen. «Ich denke, da sollte sich die Community auch ein bisschen selber an der Nase nehmen – es ist sicher nicht notwendig, immer und immer wieder zu provozieren», sagt Thomas Fingerlin.

Medien in der Pflicht

Ein Statement von Ivo sieht auch die Medien in der Pflicht: «Die Gay Pride in Zürich ist so ein tolles Fest mit so vielfältigen Beispielen für gelebte Homosexualität und die Medien zeigen am Schluss immer dieselben Bilder von schrill gekleideten Schwulen und bestätigen damit Klischees, die nur für einen kleinen Teil der Szene gelten und dem Rest auf die Dauer das Leben nicht einfacher machen».

Das Tomatenbeispiel

Susanne Andrea Birke hat auf die Frage nach den Mitmenschen, die Mühe mit dem Thema Homosexualität haben, ein griffiges Beispiel parat: «Ich mag keine Tomaten. Ich finde sie eklig. Doch ich käme nie auf die Idee, anderen Menschen zu verbieten, Tomaten zu kaufen oder zu essen».

Als Aufgabe des AK Regenbogenpastoral nennt sie als einen Bereich die Sensibilisierung pastoraler Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für das Thema. «Wir wollen an den Dekanatsfortbildungen 2018 unsere Arbeit vorstellen, an der Vorbereitung einer ökumenischen Weiterbildung für Jugendseelsorge und Katechese im Aargau ist der Arbeitskreis schon beteiligt. Dann können Katechetinnen oder Katecheten vor Ort selber Aufklärungsarbeit leisten», beschreibt Susanne Andrea Birke eine Idee des Arbeitskreises.

Es sei wichtig, das Thema unbefangen und offen zu besprechen, um Ängste und Unwissen auf allen Seiten abzubauen. «Der Arbeitskreis ist ein erster Schritt und den sollte man nicht dafür verurteilen, dass er noch nicht das Ziel ist», fasst Susanne Andrea Birke zusammen.

 

Veranstaltungshinweis

Der AK Regenbogenpastoral bietet am 15. Oktober einen Pilgertag im Baselbiet an: Wunderbar geschaffen

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