18.07.2016

Keine Wohnungen an anerkannte Flüchtlinge?

Von kath.ch/abu

Der Gemeinderat der 1000-Seelen-Gemeinde Rekingen ruft Vermieter dazu auf, keine Wohnungen an anerkannte Flüchtlinge zu vermieten. Während das Netzwerk Asyl Aarau den Aufruf für «unfair und voreilig» hält, rufen Kirchenvertreter zu einer differenzierten Betrachtung der Gesamtsituation auf.

Für Raimund Obrist, römisch-katholischer Pfarradministrator in der Verenapfarrei Zurzach AG, stellt sich in diesem Zusammenhang die grundlegende Frage: «Sind wir bereit, nicht nur über Gastfreundschaft zu reden, sondern jemandem, der an Leib und Leben bedroht ist, eine Chance zu geben?» Er beruft sich dabei auf die Werke der Barmherzigkeit: «Als Christen können wir uns nicht einfach herausreden, wir seien nicht zuständig für Asylsuchende». Was das im konkreten Fall des Aufrufs des Gemeinderates von Rekingen bedeutet, kann Raimund Obrist derzeit dennoch nicht sagen, da er weder die betroffenen Asylsuchenden noch die konkreten Umstände näher kenne. Rekingen gehört zur Verenapfarrei Zurzach.

Nicht auf dem Buckel der Flüchtlinge

Ein gewisses Verständnis für die Gemeinde zeigt Luc Humbel, Präsident der römisch-katholischen Landeskirche Aargau: «Rekingen ist übermässig belastet. Hier wäre mehr Solidarität von anderen Gemeinden gefordert». Als konkretes Beispiel nennt Luc Humbel Oberwil-Lieli. Im Dorf von Gemeindeammann und SVP-Nationalrat Andreas Glarner wurde diesen Frühling entschieden, dass die reiche Gemeinde keine Flüchtlinge aufnimmt, sondern dem Kanton einen Ersatzbetrag bezahlt.

Entsprechend findet Luc Humbel, dass das Problem politisch gelöst werden müsse «und nicht auf dem Buckel der Flüchtlinge.» Anerkannten Flüchtlingen eine gute Integration zu verweigern, sei «nicht nur falsch, sondern verwerflich.»

Für eine differenzierte Betrachtungsweise plädiert auch Christoph Weber, Kirchenratspräsident der evangelisch-reformierten Landeskirche Aargau. Einerseits sei der Aufruf des Gemeinderats ein «fragwürdiges Zeichen». Wenn man aber genauer hinschaue, müsse man auch die Verhältnismässigkeit sehen: Die Gemeinde Rekingen habe 943 Einwohner, den zweithöchsten Steuerfuss des Kantons und beherberge in einer kantonalen Asylunterkunft 143 Flüchtlinge. Christoph Weber zeigt Verständnis dafür, «dass somit bei der Gemeindebehörde und bei der Bevölkerung die Befürchtung vorhanden ist, bei der Integration der Flüchtlinge und der Finanzierung von Sozialfällen am Ende alleine gelassen zu werden».

Hilferuf der Gemeinde

Wie bereits Renate Gautschy, Präsidentin der Aargauer Gemeindeammänner, gegenüber der «Aargauer Zeitung» (14. Juli) sagte, sieht auch Christoph Weber in dem Aufruf des Gemeinderats einen Hilferuf der Gemeinde. Diesen gelte es in einem grösseren Kontext zu betrachten: «Wie kommt es zur Unterbringung von Flüchtlingen in den einzelnen Gemeinden? Wie finanziert man die Sozialhilfe? Welche Integrationsmassnahmen können ergriffen werden?», fragt der Pfarrer und Kirchenratspräsident. Zur Frage nach der Unterbringung von Flüchtlingen verweist auch Christoph Weber auf das Beispiel Oberwil-Lieli.  Eine solche Praxis der Ersatzzahlung gelte es zu hinterfragen, gerade mit Blick auf kleinere und ärmere Gemeinden wie Rekingen.

Bei den Integrationsmassnahmen seien Bund und Kanton gefordert, denn ohne Arbeit sei eine Integration der Flüchtlinge nicht möglich. «Die administrativen Hürden, um anerkannte Flüchtlinge einstellen zu dürfen, sind jedoch immer noch zu hoch, wie ich aus der Erfahrung einer Kirchgemeinde, die Flüchtlinge zur Unterstützung eines Sakristans einstellte, weiss.» Man könne der kleinen Gemeinde Rekingen nicht vorwerfen, sie habe etwas gegen Flüchtlinge. Das Problem müsse vielmehr in diesem Gesamtkontext betrachtet werden.

«Unfair und voreilig»

Patrizia Bertschi, Präsidentin vom Verein Netzwerk Asyl Aargau, findet diesen Aufruf an die Bevölkerung «sehr bedenklich, unfair und voreilig», wie die «Aargauer Zeitung» (14. Juli) berichtet. Die jungen Männer, die als Flüchtlinge anerkannt sind, würden wahrscheinlich für den Rest ihres Lebens in der Schweiz bleiben. «Also müssen wir sie nach Kräften unterstützen, den rechten Weg in die finanzielle Selbstständigkeit zu finden.» Patrizia Bertschi schlägt laut Zeitung vor, dass Gewerbler ihnen beispielsweise ein Arbeitspraktikum anbieten könnten.» Wie Christoph Weber sieht aber auch Patrizia Bertschi bei der Arbeitsintegration den Kanton in der Pflicht.

Der Gemeinderat von Rekingen ruft im aktuellen Mitteilungsblatt Eigentümer von Liegenschaften dazu auf, «künftig von Mietverträgen mit Asylanten Status ‹B› abzusehen». Sieben ehemalige Bewohner der Asylunterkunft in Rekingen hätten kürzlich den Status ‹B› erhalten und wollten sich in Rekingen niederlassen. «Der humanitäre Gedanke hinter der Wohnungsvermietung ist lobenswert. Diese Personen leben aber von der materiellen Hilfe.» Nach den ersten fünf Jahren, in denen der Kanton für die Sozialhilfe aufkommt, wird die Gemeinde dafür zuständig, falls die Betroffenen weiterhin Sozialhilfe beziehen. Dies bedeute für Rekingen «den finanziellen Ruin», so der Gemeinderat.

Die beiden Landeskirchen des Kantons Aargau hatten im vergangenen September an einem «Aufstand für Anstand» in Aarau teilgenommen, einer von 62 Organisationen getragenen Demonstration gegen Fremdenfeindlichkeit. Vertreter der Landeskirchen trugen Transparente mit, die mit Bibelzitaten zur Aufnahme von Bedürftigen aufriefen.

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