12.03.2014

«Kommt, es reicht! Es reicht für alle!»

Von Horizonte Aargau

Über zwei Tausend Personen reisten am Sonntag, 9. März, nach St. Gallen, um ihrem Unmut über die Zustände im Bistum Chur Ausdruck zu verleihen. Die Teilnehmer zogen vom Bahnhof zum Klosterplatz, wo ein sichtlich bewegter Markus Büchel, Präsident der Schweizer Bischofskonferenz (SBK), die Forderung nach einem Administrator für das Bistum Chur entgegennahm.

«Es ist wieder kalt geworden im Bistum Chur, sehr kalt», sagt eine Stimme aus dem Off. Eine schmale Gestalt, in rotes Tuch gehüllt, steht auf der Bühne. Sie spricht nicht, steht nur starr da, stellvertretend für Seelsorgerinnen und Seelsorger aus dem Bistum Chur, die fürchten, bei einer öffentlichen Meinungsäusserung ihre Stelle zu verlieren. Stellvertretend für viele werden einige Aussagen von Katholiken aus dem Bistum Chur verlesen: «Ich bin schwul. Ohne Beziehung, seit Jahren. Ich arbeite im Bistum Chur. Man nötigte mich, zu kündigen.» – «Ich wünsche mir einen Bischof, der akzeptiert, dass es in der Schweiz Kantonalkirchen gibt mit ihren eigenen Befugnissen. Ich habe ihn nicht.» Hintergrund der Demonstration sind der schwelende Konflikt zwischen den Katholiken des Bistums Chur mit Bischof Vitus Huonder. Dessen Verlautbarungen, die sich unter anderem gegen die staatskirchenrechtlichen Struktur in der Schweiz und auch gegen den «Genderismus» richten, hatten für grosses Unverständnis an der Basis gesorgt. Gleiches galt für Äusserungen zur Kommunionspende an Menschen in «irregulären» Lebens- und Beziehungssituationen. Daraufhin hatten sich unter Federführung des SKF rund zehn katholische Verbände zu einem Bündnis «Es reicht» zusammengeschlossen.

Schlagabtausch im Vorfeld
In den Wochen vor der Kundgebung wurde die Allianz der katholischen Verbände von konservativen katholischen Gruppierungen teils scharf und mit kriegerischer Rhetorik angegeriffen. Es wurde zudem von besorgten Katholiken eine Gebetsinitiative für Bischof Vitus Huonder und den Frieden im Bistum Chur lanciert. Der Eidgenössische Bund Junger Katholiken rief zu einer Gegenveranstaltung auf. Diese wurde jedoch auf ausdrücklichen Wunsch von Bischof Vitus Huonder abgesagt. Zwar wurden auch innerhalb der Allianz-Verbände einzelne kritische Stimmen laut, dennoch mobilisierte das Bündnis zahlreiche Menschen aus dem Bistum Chur, aus der Ost- und Innerschweiz und sogar aus Genf. Das bunt gemischte Publikum zog demonstrierend durch die Sankt Galler Innenstadt.

Verbandsinterne Diskussion über das «k»
Weil er durch die Veranstaltung die Gefahr der Polarisierung der Kirche in der Schweiz sah, veröffentlichte der emeritierte Pfarrer Max Syfrig am 7. März 2014 in der «Katholischen Wochenzeitung», ansässig in Baden, einen offenen Brief an den Frauenbund. Er weist in seinem Schreiben darauf hin, dass Bischof Huonders Äusserungen zu «Genderismus und Sexualität» nur der katholischen Lehre entsprechen. Max Syfrig hinterfragt ausserdem die Neu-Definition des Begriffs «katholisch» durch den SKF. Diese orientiere sich nicht an der Bibel und dem Konzil, sondern an der feministischen Theologie. Auf Nachfragen erläuterte Max Syfrig, dass die feministische Theologie zwar viel Gutes und Notwendiges gebracht habe, in vielen Fragen jedoch nicht einheitlich sei und in manchen Punkten vom katholischen Glauben der Kirche abweiche. Hintergrund ist die verbandsinterne Diskussion um den Begriff «katholisch», der von vielen Mitgliedern als teilweise hinderlich erfahren wird. Das «k» zu streichen komme jedoch nicht in Frage, denn «das ‚katholisch‘ ist ein fester Bestandteil unseres Selbstverständnisses, durch das wir uns auch von anderen Frauenverbänden abheben», erläuterte Kathrin Winzeler, Kommunikationsbeauftrage des SKF, im Gespräch mit Horizonte. Als Ergebnis der Auseinandersetzung mit dem «k», veröffentlichte der Verband einen Flyer, der den Frauen in den Ortsvereinen als Handreichung dienen soll. Diesen verschickte der SKF an die Bischöfe und andere katholische Verbände mit dem Ziel, eine offene Diskussion über das «katholisch» anzustossen. «Diese Diskussion ist wegen der Kundgebung in Sankt Gallen etwas in den Hintergrund geraten. Die Ereignisse haben sich fast überschlagen», erklärt Kathrin Winzeler. Max Syfrig sieht in der Faltkarte des SKF einige Beispiele, die vom verunsicherten Glauben des SKF Zeugnis geben.

Büchel sichtlich berührt
Während die Demonstranten am Sonntag mit bewegenden Worten ihr Unverständnis ausdrückten, stand Markus Büchel, Präsident der SBK und Adressat der Veranstaltung, still am Rande der Menge. Später begab er sich aufs Podium, um von Rosmarie Koller-Schmid, Präsidentin des SKF, den Brief entgegenzunehmen, in welchem die Organisatoren ihre Forderungen formulieren: Die Einsetzung eines Administrators für das Bistum Chur, «der das Vertrauen der Mehrheit der Gläubigen geniesst», ein kirchliches Denken, «das keinerlei Ausgrenzung und Diskriminierung von Menschen duldet», sowie einen Umgang mit den Resultaten der Familienumfrage, der «ermutigende Konsequenzen für die Betroffenen nach sich zieht.» Bischof Markus Büchel hielt in seiner Rede sichtlich bewegt fest, wie schwierig es sei, eine Sprache zu finden, die nicht verletze. Begegnung und ehrlicher Dialog, dies sei der Weg, zu dem Papst Franziskus immer wieder ermahne. «Möge es uns gelingen, Brücken zu bauen und nicht Brücken niederzureissen.» In diesem Geist nehme er die Botschaft zu Handen der SBK entgegen.

Wie es weiter geht
Die Kundgebung berühre ihn sehr, sagte Büchel im Anschluss an die Kundgebung gegenüber Medien. Die Veranstaltung zeige, dass sich viele Menschen um die Kirche kümmerten. Er wollte sich nicht dazu äussern, wie realistisch die Forderungen seien. Rosmarie Koller-Schmid zeigte sich sehr glücklich über die Veranstaltung und dankbar, dass Markus Büchel die Forderungen entgegengenommen Es habe. Der Dialog solle auf jeden Fall weitergeführt werden. Es bleibe abzuwarten ob eine Einladung in die SBK ausgesprochen werde. Derweil verteidigte Guiseppe Gracia, Sprecher des Bistums Chur, Bischof Vitus Huonder. Der Bischof vertrete eine normale katholische Position, die ausserhalb der Schweiz nicht auffallen würde. Er werde auch nicht vor den Medien auftreten, da es nicht um seine Person, sondern um die Sache ginge. Der Kirchenhistoriker und Redaktionsleiter der Schweizerischen Kirchenzeitung, Urban Fink, geht davon aus, dass der Auftritt der Menschen am vergangenen Sonntag ein Ausdruck von Unzufriedenheit unter anderem darüber war, dass sie nicht angehört werden. Es bestehe eine «grosse Kluft» zwischen dem Bischof von Chur einerseits und dem Kirchenvolk andererseits. Die Situation im Bistum sei heute «schlimmer» als zu Zeiten von Bischof Haas. Diesem setzte der Vatikan 1993 zwei Bischöfe zur Seite, was die Lage beruhigte.    kipa/aj

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