24.11.2016

Kunst macht mutig

Von Anne Burgmer

In Olten zeugen Schneereste an Autofenstern davon, dass der Winter Einzug gehalten hat. Der Kirchenjahreswechsel steht bevor und damit auch die Stabübergabe beim Horizonte-Jahreskünstler. Der Fotograf übergibt an einen «Weitergestalter».

Der Tradition gemäss findet das Gespräch im Daheim «des Neuen» statt: Fabian Emch. Er ist 20 Jahre jung und begeisterter Glocken- und Kirchenfan. Er war zwei Jahre Praktikant im Verlag seines Vaters Markus Emch. Heute ist er in der sozialtherapeutischen Einrichtung «Buechehof» im solothurnischen Lostorf beschäftigt und geht weiter zur Schule, um sein Allgemeinwissen zu erweitern. Er wohnt bei seiner Mutter Daniela Baselgia. Fabian Emch ist Teilautist. Deshalb sind die Eltern beim Gespräch dabei. Vertraute Menschen und gewohnte Umgebung helfen Fabian Emch mit neuen Situationen umzugehen.

Virtuelle Collagen

Über dem Sofa hängen Bilder. Kirchenfotos, die Fabian Emch mit kräftigen Farben und verschiedenen Strukturen weitergestaltet hat. Es sind Collagen, doch nicht mit Papier, Schere und Klebstoff, sondern ausgeführt am Computer mit dem Bildbearbeitungs-Programm Photoshop. «Als ich im Verlag vom Vater das Praktikum begonnen habe, habe ich gelernt Fotos damit zu bearbeiten. Daran hatte ich Freude. Und es macht mir Spass, immer weiter herauszufinden, was das Programm kann», erinnert sich Fabian Emch.

Seinen Vater irritierte das wilde Rumgeklicke zunächst, doch dann habe er die Ergebnisse gesehen. «Heute kennt sich Fabian mit dem Programm besser aus als ich», stellt Markus Emch fest. Seit einigen Jahren fotografiert Fabian Emch, der schon im Kleinkindalter dreidimensional zeichnete, ohne dass es ihm jemand beigebracht hätte. «Das Zeichnen habe ich fast aufgegeben. Das Fotografieren gefällt mir besser», stellt Fabian Emch fest.

Fachlicher Austausch

Dass mit dem Jahreskünstler Werner Rolli ein erfahrener Fotograf am Tisch sitzt, nutzt Fabian Emch, für Fragen. Architekturfotografie hat es in sich, die Bilder geraten schnell schief, nicht immer ist das Licht ideal. Werner Rolli nickt: «Ein Stativkopf mit Feinjustierung ist hilfreich und eine Wasserwaage oder ein künstlicher Horizont». Werner Rolli greift nach seiner Kamera, zeigt auf den künstlichen Horizont im Display.

«Das Licht», so erklärt Werner Rolli weiter, «ist letztlich Geschmackssache. Vielleicht versucht man es zu einer anderen Tageszeit nochmal.» Dann zeigt er auf eine Zeichnung, die hinter Fabian Emch hängt: «Hast du dafür ein Foto als Vorlage gehabt?», will Werner Rolli wissen. Fabian Emch schüttelt den Kopf. Er zeichnete es aus der Erinnerung, hat ein teilfotografisches Gedächtnis. Der Autismus bringt es mit sich, dass bestimmte Fähigkeiten stark ausgeprägt sind. Anderes fällt ihm weniger leicht, das sagt er selber.

Glockengeschichten

Ein Gebiet in dem sich Fabian Emch mit schlafwandlerischer Sicherheit bewegt und ein schier unerschöpfliches Wissen abruft, sind Glocken. Er ist Mitglied in der «Gilde der Carillonneure und Campanologen der Schweiz», hat dort Freunde, tauscht sich aus. Auf seinem YouTube-Kanal, präsentiert der «Starrkircher Glockenfan» selbst gefilmte Glockenvideos und pflegt Kontakt zu anderen Glocken-Youtubern. Werner Rolli grinst und sagt: «Wie schön. Ich bin zwar nicht Mitglied im Glockenverein, doch ich habe mal über mehrere Monate den Guss vierer Glocken fotografisch begleitet und gefilmt. Ein spannendes Thema!».

Kunst macht mutig und frei

Auch Fabian Emch hat Ausstellungserfahrung. In der Gemeindeverwaltung von Starrkirch-Will präsentierte er im Sommer seine Bilder erstmals öffentlich, mit grossem Erfolg. «Die Ausstellung wurde verlängert. Ich habe viele gute Rückmeldungen bekommen», sagt Fabian Emch. Diese Erfahrung habe Fabian gut getan, erklärt Markus Emch: «Wenn ihm etwas fremd ist, schliessen sich Barrieren. Und diese Barrieren sind mittlerweile länger offen».

Fabians Kunst, so sind sich Vater und Sohn einig, macht ihn mutig und freier. Sie ist Ausdrucksmittel, wo Schrift oder Sprache vielleicht nicht weiterführen. Die Kamera als Schutzschild? Werner Rolli überlegt einen Moment und sagt dann: «Vielleicht. Zumindest mache ich mit der Kamera in der Hand Sachen, die ich sonst nie machen würde. Irgendwo draufklettern, weil ich genau weiss, dass ich von dort mein Foto so machen kann, wie ich es mir vorstelle».

Passendes Patrozinium

Zeit für die Frage nach dem Rückblick: Wie hat Werner Rolli das Jahr als Horizonte Jahreskünstler erlebt? «Ich komme aus der Pressefotografie. Das heisst, ich bekomme einen klar definierten Auftrag für einen Beitrag. Hier war die Herausforderung, dass ich als Vorgabe nur den jeweils festgelegten Feiertag hatte. Zunächst habe ich mich sehr intensiv mit diesen Tagen auseinandergesetzt, dann überlegt, was kann ich machen. Gleichzeitig bin ich als Fotograf auf Menschen fixiert. Es war ungewohnt, Dinge zu fotografieren – oder ein Themenbild ohne Menschen zu machen. Doch ich bin zufrieden. Ich hatte alle Freiheiten und soweit ich das absehen kann, keine negativen Reaktionen», fasst Werner Rolli seine Erfahrung in Worte. Fabian Emch freut sich auf die Jahreskünstlertätigkeit. Er einen genauen Plan erstellt, welche Kirchen aus dem Aargau er fotografieren und virtuell weitergestalten will. Er erklärt: «Das Patrozinium der Kirche soll zum Fest passen und alle Regionen sollen vertreten sein».

 

Festkunst

Die Jahreskunst hat bei Horizonte eine lange Tradition. Der Künstler oder die Künstlerin setzt sich in der eigenen Ausdrucksform vertieft mit den Hochfesten des Kirchenjahres auseinander und vermittelt den Leserinnen und Lesern seine Sicht auf das Fest. Das kann eine Knacknuss sein. Das Bild wird jeweils mit einem Text ergänzt. Ein Märkli weist die entsprechenden Bilder als Teil der Reihe aus. Malerei, Kalligraphie, Karikatur und Fotografie – die Ausdrucksformen wechseln mit den jeweiligen Kunstschaffenden. Einzelne Frontbilder erzielen breite Resonanz. Teils erreichen die Horizonte-Redaktion auch Fragen nach der Möglichkeit, Kopien oder Originale der Titelwerke zu erwerben. Horizonte vermittelt in einem solchen Fall via redaktion@horizonte-aargau.ch den Kontakt zum Künstler/zur Künstlerin. Im Kirchenjahr 2016/2017 hat sich die Redaktion entschlossen, mit Fabian Emch einem vergleichsweise jungen Künstler die Möglichkeit zu bieten, sein Werk zu zeigen.

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