07.07.2013

Lampedusa vor dem Papstbesuch

Von Horizonte Aargau

Es riecht nach Teer, modrigen Algen und alter Schmiere. Hölzerne Wracks mit arabischen Schriftzeichen türmen sich zu Dutzenden gleich neben der Hafenbucht von Lampedusa, wo das Weiss der Jollen und Jachten den Ton angibt. Ein Bagger hat die vorderen Kähne zusammengeschoben, um Platz zu schaffen für den nächsten: «Abdallah», Knecht Gottes, liegt auf einem Tieflader. Mit fast 200 Flüchtlingen an Bord ist das Boot aus Libyen am letzten Mittwoch auf der italienischen Insel angekommen. Nicht mehr als ein Rumpf, ein schwacher Diesel, dazwischen ein paar Planken, keine 15 Meter lang und kein Schutz gegen die Sonne. Kaum vorstellbar, unter welchen Bedingungen die Menschen aus Somalia und Eritrea hier tagelang Platz fanden. Wenn Papst Franziskus heute Montag vor Einheimischen, Migranten und Touristen die Messe auf dem Sportplatz feiert, blickt er direkt auf den angrenzenden Friedhof der Flüchtlingsboote.

Knapp 500 Armutsflüchtlinge haben es letzten Mittwoch aus Nordafrika bis zu Europas südlichem Vorposten geschafft, nur wenige Tage vor dem Besuch von Papst Franziskus. Zwei Boote konnte die italienische Marine in der Nacht und am Morgen vor der Insel orten. «Darauf waren auch schwangere Frauen und Kinder ohne Begleitung», sagt Kapitänleutnant Giuseppe Cannarile. «In Tunesien und Libyen warten tausende Flüchtlinge aus ganz Afrika. Immer wenn das Meer ruhig ist, starten die Boote.» Heute Montag wird der junge Offizier am Steuer von Wachboot 269 stehen, auf dem Papst Franziskus bei seinem Kurzbesuch auf der Insel einen Kranz ins Wasser werfen will. Für die vielen, die auf der Flucht umkamen. Seit 1988 wurden Medien zufolge 20 000 Ertrunkene und Verdurstete zwischen Gibraltar und Griechenland gezählt. Plötzliche Unwetter und fehlende Orientierung seien die grösste Gefahr für die völlig überladenen Barken, meint Guiseppe Cannarile. «Die Menschenschmuggler drücken den Leuten einen Kompass in die Hand, ein Handy und die Nummer unserer Leitstelle in Palermo. Dann gnade ihnen Gott.»

Diesel statt Trinkwasser. Wer die Fahrt nach Lampedusa überlebt, kommt ins Auffanglager. Ein «Checkpoint Charlie» im Kalten Krieg zwischen Reich und Arm wurde es genannt, umzäunt und von der Armee bewacht. Unter Bäumen liegen Neuankömmlinge auf Schaumstoff. Nafid, 32, ist vor drei Monaten von Somalia aufgebrochen. Durch Äthiopien und den Sudan reichten ihn die Schlepper weiter, jedes Mal kassierten sie ab. «1000 Dollar hab ich bis Libyen bezahlt. Nach zwei Wochen irgendwo an der Küste bekam ich einen Platz auf dem Boot. Wir fuhren drei Tage.» Rund 200 Kilometer Seestrecke dürften hinter ihm liegen. Das Trinkwasser habe gefehlt, weil sie den knappen Raum für den Diesel brauchten. Ein paar hundert Dollar bleiben ihm noch für Europa, erzählt er. Er versteht ein paar Brocken Englisch und Italienisch, will zu Verwandten in Frankreich und hofft auf irgendeinen Job. Eine Ausbildung nach europäischen Massstäben hat er offenbar nicht. Die Frage nach drohender Abschiebung mag man ihm zwanzig Stunden nach der Landung nicht stellen. Dafür ist er zu erschöpft.

Historischer Augenblick. Dass der Papst sie heute im Hafen treffen will, haben die meisten erst im Lager erfahren. Etliche hier sind Muslime, sogar Menschen aus dem Irak und Pakistan seien darunter, sagen die Carabinieri. Aber auch viele Christen aus Südwestafrika. «Lampedusa ist der Knoten zwischen Nord und Süd. Franziskus kommt, um ihn zu lösen und das Wohlstandsgefälle vor aller Welt anzuklagen. Das wird ein historischer Augenblick für Lampedusa und ganz Europa», glaubt Don Carmelo Petrone, der Sprecher der Erzdiözese Agrigento. Besonders für die 5000 Insulaner, von denen viele den Ansturm auf Lampedusa mit Angst und Argwohn sehen. Denn immer mehr Touristen bleiben weg, während im ersten Halbjahr erstmals seit 2011 wieder mehr Flüchtlinge kamen, über 4000. Die Regierung fliegt sie inzwischen so schnell wie möglich nach Sizilien und aufs Festland aus, noch letzten Mittwoch verliess eine Maschine mit 150 Menschen Lampedusa. Papst Franziskus hat sich einen diskreten Empfang gewünscht. «Trotzdem versinkt die Kommune in Vorbereitungen», berichtet Don Carmelo Petrone. Strassen müssen repariert, Ambulanzen und zusätzliche Fähren organisiert werden. Christoph Schmidt/kipa

 

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