20.07.2015

Mein Geschenk an die Schweiz

Von Andreas C. Müller

Die Schweiz vergreist. Gemäss namhaften Ökonomen dürfte unserem Land die Zuwanderung helfen, den aufgebauten Wohlstand zu halten. In Aarau zeigen Flüchtlinge im Rahmen einer Ausstellung, was sie können und bereit sind, einzubringen.

Raqueal Andemeskel ist seit drei Jahren in der Schweiz. Die 18-Jährige wohnt mit ihren Geschwistern in einer Asylunterkunft in Kölliken. Am 20. Juni 2015 übersetzt sie an der Vernissage zur Ausstellung «Mein Geschenk an die Schweiz – Flüchtlinge zeigen ihre Ressourcen» in Aarau für andere von Deutsch auf Tigrinya und Arabisch. Die junge Eritreerin ist motiviert. Umso mehr, als sie vor ein paar Wochen endlich einen positiven Bescheid auf ihr Asylgesuch erhalten hat. Das ermöglicht es ihr, in der Schweiz ihren Berufswunsch zu verfolgen. «Eigentlich wollte ich schon immer Ärztin werden», erklärt Raqueal Andemeskel in nahezu fliessendem Deutsch. «Das wird nicht gehen, aber ich habe gute Chancen, im Gesundheitswesen Fuss zu fassen. Ab August werde ich die Kantonale Schule für Berufsbildung besuchen und meine Ausbildung zur Assistentin für Gesundheit und Soziales beginnen.» Nach ihrem Erfolgsrezept gefragt, meint Raqueal Andemeskel: «Ich habe stets etwas gemacht, seit ich hier bin. Nicht einfach auf meinen Asylentscheid gewartet. Ich besuchte Deutschkurse, ging ins Basketball- und Volleyballtraining, knüpfte Kontakte. Auch, um möglichst schnell die Sprache zu lernen und Anschluss zu finden.»

Einsatz und Ausdauer
Gemäss Wirtschaftsexperten und Zukunftsauguren sind Menschen wie Raqueal Andemeskel die künftigen Stützen unserer Gesellschaft, während sich Herr und Frau Schweizer aufs Altenteil zurückziehen. Die zum internationalen Flüchtlingstag im Aarauer Pfarrhaus lancierte Ausstellung «Mein Geschenk an die Schweiz» zeigt anhand von Kurzporträts, was Flüchtlinge aus ihren Herkunftsländern an Ressourcen mitbringen, welche Motivation und Wünsche sie mitbringen. «Eure Situation ist schwierig. Umso wichtiger, dass ihr nicht vergesst, was ihr könnt», mahnt Rahel Wunderli. Sie hat die Ausstellung im Rahmen des «projektbbb – Asyl mit Bildung, Begegnung und Beschäftigung» zusammen mit Freiwilligen auf die Beine gestellt. Hinter dem Projekt, das seit mehr als zwei Jahren Asylsuchende über gemeinsame Aktivitäten mit Schweizerinnen und Schweizern in Kontakt bringt, steht der Verein Netzwerk Asyl Aargau. Gegen 50 Personen haben sich zur Vernissage nach Aarau eingefunden. «Hier in der Schweiz brauchen wir Leute, die sich aktiv beteiligen. Ihr müsst aber hartnäckig und ausdauernd sein», fährt Rahel Wunderli fort. Dann appelliert sie an die Einheimischen: «Die Leute hier, die können etwas. Schaut her!»

Die Jungen im Vorteil
Ein Rundgang durch die Ausstellung sowie verschiedene Gespräche machen deutlich: Nicht alle haben so gute Karten, sich in der Schweiz eine Existenz aufzubauen wie Raqueal Andemeskel. Jugendliche wie der 18-jährige Mohammad Hinnawi könnten es am ehesten schaffen. Junge Leute finden rasch Anschluss, lernen die Sprache schnell. Seit einem Jahr ist der Syrer in der Schweiz und kann sich bereits auf Deutsch verständigen. Dank einem positiven Asylgesuch kann sich Mohammad Hinnawi für eine Lehrstelle bewerben. Versuchen will er es als Maschinenmechaniker. Sein Onkel Ayman sowie dessen Landsmann Nozad haben es da schon schwieriger. Die beiden sind bereits über 50 Jahre alt. Dieser führte in der Heimat zwei Geschäfte, jener war Anwalt. Mit der Integration in der Schweiz hapert es, beide warten noch auf ihren Asylbescheid, tun sich schwer mit Deutsch.

Den Menschen sehen
«Die Ausstellung in Aarau soll dazu beitragen, dass wir Flüchtlinge nicht länger auf ihren Status als Flüchtlinge reduzieren», meint Rolf Geiser, Initiator des «projektbbb». Es gehe primär um Menschen, nicht um Arbeitskräfte. Ein illusorisches Ziel in einem Land wie der Schweiz, in dem sich die Mehrheit über Arbeit, Leistung und Status definiert? «Nicht unbedingt», glaubt Rolf Geiser. Den Job auf Lebenszeit gebe es nicht mehr. In den letzten Jahren habe es in der Arbeitswelt Veränderungen gegeben, die zu einem Umdenken geführt hätten. «Wir definieren uns daher stärker über das, was uns als Menschen ausmacht, was wir in unserer Freizeit tun. Entsprechend sollten wir auch in einem Flüchtling den liebenden Vater erkennen oder den lebenshungrigen, jungen Mann. Und wenn eine Frau aus Eritrea bei uns die Chance bekommt, sich in der Pfadi mit Kindern zu engagieren, so kann ihr das bei der Jobsuche vielleicht eine Türe öffnen und fehlende Zertifikate kompensieren.»

Hohe Hürden für Flüchtlinge
Der Weg in die Erwerbsarbeit ist für Asylsuchende in der Schweiz lang und steinig. «Wenn Personen in der Schweiz Asyl beantragen, erhalten sie ein Dach über dem Kopf, eine Krankenversicherung und etwas Geld. Zehn Franken am Tag, um sich Essen und Kleider leisten zu können», erklärt Rahel Wunderli. «Die Menschen sind vorerst in Sicherheit und ihre grundlegendsten Bedürfnisse gedeckt.» Für ein aktives und erfülltes Leben reiche das jedoch nicht. «Theoretisch kann ein Flüchtling ab dem dritten Monat seines Aufenthalts eine Arbeit annehmen», weiss Rolf Geiser. Der Arbeitgeber muss dann aber nachweisen können, dass er die Stelle nicht an jemanden mit einem besseren Aufenthaltsstatus vergeben kann, was de facto unwahrscheinlich ist.» Die «vorläufig Aufgenommenen», also jene, die aus unterschiedlichen Gründen nicht zurückgeschickt werden können, dürften zwar Arbeit suchen, aber auch hier erschweren bürokratische Hürden meist das Interesse der Arbeitgeber. Chancen auf dem Arbeitsmarkt habe eigentlich nur, wer definitiv in der Schweiz bleiben könne, meint Rolf Geiser. Wobei es dann immer noch schwer genug sei. Nebst der Sprachhürde blieben oft hohe Anforderungen an die Qualifikation. «Menschen, die in ihren Herkunftsländern als Ärzte, Lehrer oder Anwälte gewirkt haben, arbeiten hier allenfalls als Reinigungsfachkräfte oder Taxifahrer.» Deshalb wolle man die Flüchtlinge darin bestärken, sich ihrer Fähigkeiten und Begabungen bewusst zu bleiben, meint Rahel Wunderli. Wichtig sei es auch, sich mit der Frage auseinanderzusetzen, wie man trotz eingeschränkter Handlungsmöglichkeiten an dieser Gesellschaft partizipieren könne.

Eine Zukunft für die Kinder
Sri Subajini stammt aus Sri Lanka. In ihrer Heimat erwarb die mittlerweile 37-Jährige innert drei Jahren die Ausbildung zur Pflegefachfrau und liess sich hernach zur Hebamme ausbilden. Als Geburtshelferin kann Sri Subajini 6 Jahre Berufserfahrung ausweisen. Bis zu ihrer Flucht arbeitete die Tamilin 4 Jahre als diplomierte Lehrperson für Pflegepersonal. Ob sie in der Schweiz je auf einem dieser angestammten Berufe wird arbeiten können, wird sich zeigen. Seit zweieinhalb Jahren wartet Sri Subajini bereits auf ihren Asylbescheid. Während dieser Zeit ist sie nicht untätig geblieben. Sie lernte häkeln und stricken, trat einem Chor sowie einer Turngruppe bei, lernte Deutsch. Gerne möchte sich die motivierte Frau mehr in der Schweizer Gesellschaft integrieren, sich einbringen, etwas zurückgeben. Damit ist sie nicht allein, wie die Wortmeldungen der an der Vernissage zur Ausstellung «Mein Geschenk an die Schweiz» anwesenden Flüchtlinge zeigen. Die Menschen wollen arbeiten dürfen, einen Beruf lernen. Und vor allem wollen sie, dass ihre Kinder in der Schweiz etwas lernen und eine gesicherte Zukunft haben. «Die Freude und der Stolz am Schenken», das «Sich-Einbringen-Wollen» sei auch in den Porträts der Ausstellung spürbar, beschreibt es Rahel Wunderli.

 

Die Ausstellung

20 Porträts von Asylsuchenden und anerkannten Flüchtlingen. Texte und Bilder über den Wunsch, die eigenen Fähigkeiten und Begabungen einzubringen.

Kath. Pfarrhaus Aarau

Laurenzenvorstadt 80

Noch bis am 7. August 2015

Mo 17-22 Uhr, Di-Fr 8-22 Uhr

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