06.02.2020

Migranten sollen nicht länger eine «Parallelkirche» bilden

Von Christian Breitschmid

  • Die Schweizer Bischofskonferenz hat die Migrantenpastoral zu dem gemacht, was sie heute ist: eine gut funktionierende und mitgliederstarke Parallelkirche neben den schweizerischen Kirchenstrukturen. Doch damit soll nun Schluss sein.
  • Zusammen mit der Römisch-Katholischen Zentralkonferenz hat die Schweizer Bischofskonferenz im Dezember 2017 das «Projekt Gesamtkonzept Migrantenpastoral» lanciert. Es soll ein «zukunftsweisendes gesamtschweizerisches pastorales Konzept für die Migrationspastoral» entwickeln.
  • Die Römisch-Katholische Kirche im Aargau nimmt diesen Auftrag ernst und hat darum ihr eigenes Projekt «Zukunft der Migrationspastoral im Aargau» am 25. Januar mit einer offiziellen Auftaktveranstaltung gestartet.

 

Kaffee und Gipfeli sollten den Einstieg in die Veranstaltung, bei der es um nichts weniger ging als die «Zukunft der Migrationspastoral im Aargau», erleichtern. Doch wie das Schwert des Damokles schwang eine grosse Frage über den Häuptern der 45 Versammlungsteilnehmer: «Was geschieht mit uns?» Vielleicht war die Stimmung deshalb nicht ganz so gelöst, wie sie es sonst ist, wenn die Vertreter der Migrantenseelsorge zusammenkommen.

In gewohnt souveräner Weise begrüsste Kirchenratspräsident Luc Humbel die Gäste, die der Einladung von Landeskirche und Bistum zum Kickoff im Aarauer Bullingerhaus gefolgt waren. Er machte auch gleich klar, dass es beim angedachten Projekt um weit mehr gehe als um die Zukunft der Migrationspastoral: «Es geht um die Zukunft der Kirche.» Die katholische Kirche sehe sich von ihrem Grundverständnis her als eine Gemeinschaft. «Diese Haltung wird durch unsere Eindrittel-Zweidrittel-Kirche nicht abgebildet.» Das Projekt der Schweizer Bischofskonferenz und der Römisch-Katholischen Zentralkonferenz der Schweiz (rkz) habe zwar bestätigt, dass diesbezüglich Handlungsbedarf bestehe, aber national seien keine Rezepte gekommen. «Wir wollten im Aargau nicht mehr länger warten. Wir wollen uns vom Nebeneinander in unserer Kirche verabschieden und zum Miteinander kommen.»

Befürchtungen und Ängste

Auf dem Weg zu diesem neuen Miteinander wird die Römisch-Katholische Kirche im Aargau begleitet von der externen Projektleiterin Regula Kuhn. Sie ist in Kirchen- und Sozialarbeitskreisen keine Unbekannte. Bevor sie sich als Coach und Organisationsberaterin selbstständig machte, war sie Co-Leiterin der Caritas Aargau und, wie Luc Humbel es ausdrückte, «Mutter der Kirchlich Regionalen Sozialdienste». Die erste Aufgabe von Regula Kuhn bestand an diesem Samstagmorgen darin, den Versammlungsteilnehmern klar zu machen, dass noch nichts klar ist: «Wir stehen alle vor einer leeren Leinwand.» Um diese Projektleinwand gleichsam zu bemalen, setzten sich die Anwesenden in kleinen Gruppen an separate Tische und schrieben auf, worauf man bei der Weiterentwicklung des Projekts besonders achten müsse.

Bei der anschliessenden Zusammenfassung der Stichworte auf der Pinwand wurde schnell klar, wo die Befürchtungen und Ängste, vor allem auf Seite der Migrantenseelsorge, liegen. Stichworte wie «Traditionen/Identität», «Sakramentenverständnis», «Kinder, Jugend –Bildungsarbeit» oder «Sensibilisierung der CH-Pfarreien» sowie «Begegnung und Kommunikation auf Augenhöhe» sprechen eine deutliche Sprache. Für das weitere Vorgehen ermahnte die Projektleiterin alle Beteiligten, sich nicht an Defiziten zu orientieren, sondern zielorientiert zu denken.

Entwicklungsgruppe als Herzstück

Das erste konkrete Ziel ist nun die Bildung einer Entwicklungsgruppe, die sich aus je zwei Vertretern der Missionen, der Missionsräte, der Pastoralräume und der Kirchgemeinden zusammensetzen soll. Diese Gruppe ist das eigentliche Herzstück der Projektorganisation. Sie erarbeitet das Konzept zur Integration der Migrationspastoral in bestehende oder neu entstehende Pastoralräume zuhanden des Kirchenrats und der Bistumsregionalleitung. Ihr vorgesetzt ist die Steuergruppe, bestehend aus Kirchenratspräsident Luc Humbel, Kirchenrätin Maria-Pia Scholl, dem Regionalverantwortlichen der Bistumsregion St. Urs, Tobias Fontein, und Projektleiterin Regula Kuhn.

Die Wahlvorschläge für die Vertreter der Missionen und Missionsräte nimmt Maria-Pia Scholl bis 10. März entgegen. Daraus wählt die Kommission für Anderssprachigen-Pastoral am 17. März dann ihre vier Vertreter. Wahlvorschläge für die Vertreter der Pastoralräume nimmt Tobias Fontein, diejenigen für die Kirchgemeinden Luc Humbel entgegen. Eingabeschluss ist der 1. April. Im Mai soll die Entwicklungsgruppe ihre Arbeit aufnehmen und bis im April 2021 ein Konzept vorlegen. Wenn dieses genehmigt ist, folgt die Pilotphase.

«Nicht mit bekannten Bildern denken»

Nach der Startveranstaltung zeigte sich Luc Humbel sehr zuversichtlich: «Es war ein konstruktiver, offener Austausch. Es war wichtig, dass sich alle Beteiligten mit ihren Ansprüchen, Vorstellungen aber auch Ängsten einbringen konnten. Dies ist gut gelungen.» Nach allfälligen Stolpersteinen auf dem weiteren Weg befragt, antwortete der Kirchenratspräsident: «Es ist wichtig, dass alle realisieren, dass sich mit einem solchen Schritt das Bild der gesamten Kirche im Aargau verändern wird. Entsprechend sind auch alle Engagierten aufgefordert, sich einzubringen. Wichtig ist, dass man nicht mit bekannten Bildern denkt es wird hoffentlich ganz anders sein.»

Gerade dieses «ganz anders sein» ist aber das, was bei Daniel Gasic, dem Präsidenten der Kroatenmission, Stirnrunzeln verursacht: «Wir sind eine funktionierende Gemeinschaft. Unsere Mission gibt es seit 25 Jahren. Wir haben 9’000 aktive Mitglieder. Pater Niko hat jeden Sonntag eine volle Kirche. Das Durchschnittsalter unserer Gemeinde ist 37!» Das liege daran, dass in den Missionen ein besonderes Augenmerk auf die religiöse Bildung der Kinder und Jugendlichen gelegt werde, erklärt Daniel Gasic, der mit seiner Frau und den beiden Kindern jeden Sonntag eine bis zwei Messen besucht. «Die Kinder interessieren sich für die Eucharistie und für das, was in der Kirche geschieht. Aber man muss es ihnen richtig beibringen und erklären. Im Schweizer Religionsunterricht malen die Kinder Mandalas aus. Kein Wunder, dass sie dann kaum noch das Vaterunser mitbeten können.»

«Es ist überhaupt keine Sparübung»

Die Angst der Missionsangehörigen ist es, dass ihre Gemeinschaften durch eine Integration in die hiesigen Pastoralräume kaputt gehen, so formuliert es Daniel Gasic. «Das haben mir auch viele Mitglieder der italienischen Mission gesagt.» Sie befürchten, dass durch die neue Organisation sowohl Sprache und Kultur der jeweiligen Missionen als auch deren theologische und Glaubensausrichtung gefährdet würden. Darauf entgegnet Luc Humbel: «Das entspricht nicht unserer Absicht. Sie sind Partner im Prozess und auch in der Umsetzung. Sie müssen diese Bedenken konstruktiv in den Prozess einbringen.» Genau das hat Daniel Gasic vor. Er will sich auf jeden Fall als Mitglied der Entwicklungsgruppe zur Verfügung stellen.

Nach dem Zweiten Weltkrieg hat die Schweizer Bischofskonferenz viel Geld in den Aufbau einer eigenen Migrantenseelsorge gesteckt. 110 Missionen in mehr als 20 verschiedenen Sprachen konnten sich so in den vergangenen 70 Jahren schweizweit etablieren. Nun steckt die Kirche wieder Geld in die Integration der Missionen in die Pastoralraumstrukturen der Schweiz. Zwei parallele Kirchensysteme aus derselben Kasse heraus zu finanzieren, ist, rein ökonomisch betrachtet, unsinnig. Ist das Zukunftsprojekt Migrantenpastoral also eine verkappte Sparübung? Luc Humbel verneint vehement: «Es ist überhaupt keine Sparübung. Es ist eine Frage der Glaubwürdigkeit, ob wir ein Nebeneinander befürworten und trotzdem eine Kirche sein wollen. Für mich entspricht dies nicht meinem Bild von Kirche. Das ist die Motivation im Projekt. Es ist kein Finanzgeschäft sondern ein pastorales.»

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