29.06.2016

Mit Blasen, leichten Herzen und einem Rucksack voller Wünsche

Von Vera Rüttimann

Seit dem 2. Mai marschierte eine Gruppe unter dem Motto «Für eine Kirche mit den Frauen» von St. Gallen nach Rom. Darunter auch Irene Gassmann, Priorin des Klosters Fahr. Vorgestern Dienstag, am 28. Juni 2016, erreichte die Gruppe ihr Ziel und erfuhr, dass Papst Franziskus der Pilgergruppe definitiv keine Audienz gewähren werde. Die Journalistin und Fotografin Vera Rüttimann hat die Frauen auf Ihrem letzten Teilstück von Casperia nach Rom begleitet.

Es ist vier Uhr morgens in Casperia. Der Himmel über dem malerischen Dorf in der Provinz Rieti in der italienischen Region Latium ist noch dunkel. Schweigend wird am grossen Holztisch des Hotels das Frühstück eingenommen, Proviant in die Rucksäcke verpackt. Die Wanderschuhe werden geschürt, damit es vor der grossen Hitze losgehen kann. Alles geschieht routiniert, denn das Kernteam mit den Gastpilgerinnen hat von St. Gallen her kommend schon 1 000 Kilometer in den Beinen. In den vergangenen acht Wochen wurden verschneite Pässe überstiegen, sumpfige Wiesen überquert und auf engen Strassen Autos ausgewichen. Mit Siena, Assisi und Greccio boten aber auch malerische Städtchen willkommene Rastmöglichkeiten.

Leiden für eine stärkere Stellung der Frau in der Kirche

Allein um den touristischen Aspekt geht es den Frauen jedoch nicht. Das zeigen ihre Körper. Die meisten plagen schmerzende Blasen an den Füssen, die Beine sind von Dornen zerkratzt, die Glieder wirken ausgezehrt. Die Pilgerinnen nehmen die Schmerzen auf sich, weil sie für ein besonderes Anliegen unterwegs sind: Für eine stärkere Stellung der Frauen in der Kirche – für eine geschwisterliche und dialogische Kirche.

Priorin Irene in Wanderhosen und T-Shirt

Blasen plagen auch Irene Gassmann. Die Priorin des Klosters Fahr läuft seit Assisi mit. Für die Ordensfrau, die für einmal wie ihre Mitpilgerinnen in Wanderhosen und T-Shirt den Weg unter ihre Füsse nimmt, ist dies eine ganz und gar ungewöhnliche Erfahrung. Noch nie war sie pilgern und noch nie ist sie so weit marschiert. Die Strapazen habe sie unterschätzt, erklärt Irene Gassmann. Auch das Gefühl, vollkommen aus ihrem geregelten Alltag als Ordensfrau heraus katapultiert zu werden. Wie die anderen schlief Irene Gassmann in den letzten Wochen oftmals auf der Isomatte in Pfarrheimen. Wie die anderen Frauen hat die Priorin für ihre Anstrengungen, die sie auf sich nimmt, triftige Gründe: «Ich bin hier dabei, weil ich diese Kirche gern habe. Ich bin ein Teil von ihr. Ich leide aber auch an ihr, gerade, weil die Frauen bei der Gestaltung von der Kirche in vielen Dingen ausgeschlossen sind.» Dann zitiert die Ordensfrau einen Pater, den die Gruppe in seiner Einsiedelei besucht hatte. Seine Aussage, so Irene Gassmann, gebe ihr Kraft: «Eine Pilgerin muss drei Sachen haben: Ausdauer, Geduld und Entschiedenheit. Das ist genau das, was wir für dieses Projekt brauchen.»

Ein Professor als «lebendes GPS»

Auf dem Weg zum nächsten Dorf, Laboro, geht es vorbei an halb verfallenen Kirchen, Pinien und einfachen Landhäusern. Oft ist nur das Atmen der Pilger, das Zirpen der Grillen und das Klackern der Wanderstöcke zu hören. Besonders, wenn in der Gruppe bewusst geschwiegen wird und manch einer in sich hineinhorcht und sich fragt, wo er gerade steht in seinem Leben – oder mit diesem Projekt. Franz Mali, der die Wandergruppe wie ein «lebendes GPS» anführt, findet jeweils stets den richtigen Weg. Selbst wenn dieser durch Brombeersträucher geht. Der Professor für Patristik, das ist die Geschichte der Alten Kirche und der christlich-orientalischen Sprachen, an der Theologischen Fakultät Fribourg war mit Hildegard Aepli und Esther Rüthemann schon in Jerusalem und bringt einen reichen Erfahrungsschatz mit sich.

Das Kernteam erlebt in diesen Tagen immer wieder auch Diskussionen um die Zielausrichtung in der Gruppe mit. Nicht alle sind einverstanden mit einem umsichtigen Dialog, der mit den Kirchenoberen über die Rolle der Frau in der Kirche angestrebt werden soll. Es gibt welche, die jetzt und sofort das Frauenpriestertum einfordern möchten.

Unterwegs in einem «Energiefeld»

Hindernisse gibt es auch auf der Strasse. Irene Gassmann erlebt an diesem Morgen mit, wie Mariette, eine Mitpilgerin, im Asphalt ein grosses Loch übersieht, unglücklich stürzt und sich den Unterarm bricht. Per Zufall fährt gleich nebenan eine Polizeistreife vorbei, die eine Ambulanz aufbietet. Erschüttert bilden die Pilgerinnen einen Kreis um die Mittsechzigerin, die von St. Gallen bis hierhin gelaufen war. Auch in diesem Moment zeigt sich der besondere Zusammenhalt der Frauen untereinander. Eine Gemeinschaft ist da gewachsen. Alle halten sich an den Händen, singen gemeinsam und sprechen sich Mut zu.

Lea Stocker, die perfekt italienisch spricht, begleitet Mariette in den Spital. Irene Gassmann nimmt die weiteren Strapazen auf sich, weil sie merkt, dass in diesem Projekt Kraft steckt. Sie sagt: «Ich habe das noch selten so erlebt, wie im Zusammenhang mit diesem Projekt. Es ist auch die Kraft der Menschen, die gegenseitig stärkt. Das ist für mich auch Kirche.» Das gemeinsame Gehen erlebt die Aargauerin wie ein «Unterwegs-Sein in einem Energiefeld».

Stiller Einzug in die Papst-Stadt

Das letzte Teilstück nach Rom geht über weite Strecken dem Tiber entlang. Es ist 33 Grad. Die Sonne brennt. Um 14 Uhr erreicht die Gruppe endlich die Engelsburg. Die Pilgerinnen – seit Laboro sind 40 Frauen des Schweizerischen Katholischen Frauenbundes SKF mit dabei – laufen die Via della Conciliazione hinunter, die schnurgerade auf den Petersdom zuführt. Mit dabei ist auch Mariette, die nun mit eingegipstem Arm mitläuft. «Aufgeben war für mich nie eine Option», sagt die Westschweizerin.

Symbol für den Weg der Frauen in der Kirche

Der Einmarsch auf dieser Prachtallee geschieht still. Auf dem Petersplatz warten keine Medienleute. Die Journalisten reisen erst zum grossen Anlass am 2. Juli an, um sich alle zu einer Messe mit Bischof Markus Büchel im Petersdom treffen. Irene Gassmann sagt über die Ankunft in Rom: «Dieses Projekt ist ein Zeichen. Dass wir hier nicht mit Glocken und Fanfaren empfange worden sind, zeigt symbolisch den Weg für uns Frauen in der Kirche, der manchmal steinig und hart ist. Wenn Frauen in der Kirche jedoch nicht so ausdauernd wären, wüsste ich nicht, wo die Kirche stehen würde.»

Mit einem Sack voller Anliegen nach Rom

Der Tag endet mit einer Andacht in der Kirche Kirche Santa Maria della Pietà auf dem Campo Santo Teutonico im Vatikan. Zuerst müssen die Pilger durch die Sicherheitsschleusen, um in das Innere des Vatikans zu gelangen. Aufmerksam registrieren die Schweizergardisten und die Monsignori in ihren schwarzen Soutanen die Schilder, die an den Rücksäcken der Pilgerinnen angebracht sind. «Für eine Kirche mit den Frauen», steht da. Als die Frauen sich in die Bänke setzen, erfasst sie die ganze Erschöpfung.

Neben den Rucksäcken wird auch ein roter Beutel vor den Altar gelegt. Darin sind die eingesammelten Anliegen und Wünsche, die Frauen am Gottesdienst in der St. Galler Kathedrale am 2. Mai den Rom-Pilgerinnen mit auf den Weg gaben. Hildegard Aepli, die Mitinitiatorin dieses Projektes sagt: «Die Briefe wurden in den letzten zwei Monaten Tag für Tag mitgetragen und diejenigen, die die Anliegen jeweils in ihrem Rucksack trugen, hatten besondere Tage, weil sie auch die Sorgen, Nöte und Wünsche der Frauen mittrugen.»

Der Papst kommt nicht

Am Samstag, 2. Juli, findet in Rom der Pilgertag statt, an dem das Anliegen des Projekts feierlich der Kirchenführung übergeben wird. Lange wurde darüber spekuliert, ob Papst Franziskus eventuell nicht doch eine Audienz gewähren würde. Am 28. Juni, am Abend der Ankunft der Pilgerinnen, erreicht das Kernteam auf dem Dach ihres Hotels beim Apéro eine Nachricht aus dem Staatssekretariat des Vatikans: Der Papst wisse um das Projekt «Kirche mit den Frauen», er nehme aber in den Sommermonaten keine offiziellen Termine wahr. Die Gruppe ist darüber nicht bedrückt. Allein der innere Weg nach Rom, so Franz Mali, sei fruchtbar. Und für Priorin Irene Gassmann ist das Projekt «Kirche mit den Frauen» jetzt schon «ein Abbild dafür, wie die Kirche sein könnte.»

Hat Ihnen dieser Artikel gefallen? Abonnieren Sie unseren Newsletter. Er erscheint alternierend zur Printausgabe alle zwei Wochen – immer mit den aktuellsten Horizonte-Geschichten und oftmals spannenden Verlosungen.