23.04.2020

Mitgefühl macht nicht vor Asylunterkünften Halt

Von Christian Breitschmid

  • Die weltweite Krise, die das Coronavirus ausgelöst hat, ist noch nicht überstanden, auch wenn die ersten Lockerungen der behördlichen Massnahmen bereits angekündigt sind.
  • Durch die Covid-19-Schlagzeilen der vergangenen Wochen sind andere Themen in den medialen Hintergrund gerückt. Dazu gehört auch das ganze Flüchtlingswesen.
  • Darum gelangte der Verein Netzwerk Asyl Aargau mit Forderungen an den Regierungsrat, welche der Kanton aus «unbürokratisch bereitgestellten Mitteln» finanzieren und selbst gegen geltendes Asyl- und Ausländergesetz umsetzen soll.

 

Der Verein Netzwerk Asyl Aargau (VNAA)  zählt in seinem Brief an den Aargauer Regierungsrat vom 23. März 2020 fünf Punkte auf, bezüglich derer er vom Rat «sofortiges Handeln» erwarte. Als erstes sind das finanzielle Mittel zur Einrichtung von WLAN in allen kantonalen Asylunterkünften und das Einrichten von Lernplätzen für Schulkinder mit Laptops und Druckern. Zweitens die Zurverfügungstellung von mehr Wohnraum (Wohnungen, Hotelzimmer, Turnhallen), um Personen besser voneinander trennen zu können als Prävention gegen Ansteckung und zur Verhinderung von Streitigkeiten. Drittens soll die Kantonsregierung gewährleisten, dass Flüchtlinge «spezifische Lebensmittel» aus deren Heimat kaufen können. Der VNAA verlangt zudem mehr Angebote und mehr Betreuung für die Bewohner in den kantonalen Asylunterkünften.  Ebenso sollen die Flüchtlinge über die aktuelle Ausschaffungspraxis orientiert und verfügte Ausschaffungen ausgesetzt werden.

Regierungsrat schätzt «unermüdlichen Einsatz»

«Wir erwarten vom Regierungsrat des Kantons Aargau die oben erwähnten Vorkehrungen sofort umzusetzen und genügend finanzielle und personelle Ressourcen zu sprechen», schreiben VNAA-Präsidentin Patrizia Bertschi und VNAA-Geschäftsstellenleiterin Sandra-Anne Göbelbecker am Ende ihres Briefes. Schon vier Tage später erreichte sie die Antwort von Regierungsrat Jean-Pierre Gallati, Vorsteher des Departements Gesundheit und Soziales, zu dem auch die Unterabteilung Asyl gehört.

Aus der Antwort geht hervor, dass der Regierungsrat den «unermüdlichen Einsatz zugunsten der Asylsuchenden» des VNAA sehr schätzt. Gleichzeitig weist Regierungsrat Gallati darauf hin, dass die Ausstattung der kantonalen Unterkünfte mit WLAN geplant und teilweise bereits umgesetzt sei, und dass die Lehrpersonen an der Umsetzung einer Lösung für die Beschulung ohne Präsenzunterricht arbeiteten.

Beschäftigungsprogramme in Unterkünften

Die weiteren Antworten machen deutlich, dass die Aargauer Regierung die Asylsuchenden keineswegs vergessen, sondern im Gegenteil dafür gesorgt hat, dass die notwendigen Informationen in allen entsprechenden Übersetzungen in den kantonalen Unterkünften aushängen und die Betreuer vor Ort auf Fragen und Anliegen ihrer Schutzbefohlenen reagieren können.

«Wie in der ganzen Schweiz, so zeichnet sich auch hier bei uns eine Entspannung der Lage ab», bestätigt Stephan Müller, Leiter der Sektion Betreuung Asyl im Kantonalen Sozialdienst, die aktuellen Zahlen. «Ich bin froh, dass unser Konzept funktioniert. Oberste Priorität hat dabei immer die Vermittlung der Hygienemassnahmen und der Verhaltensregeln. Wir haben unter anderem eigene Beschäftigungsprogramme in den Unterkünften lanciert, bei denen die Bewohner für die Reinigung und Desinfektion vor Ort sorgen. Zudem bemühen wir uns auch, Beschäftigungen für Familien anzubieten, damit diese eine gewisse Struktur erhalten in dieser Zeit.»

19 Corona-Fälle erfolgreich isoliert

Stephan Müller ist erleichtert, dass trotz der eher engen Platzverhältnisse in den Unterkünften, die Räume effizient genutzt werden können: «Wir haben, wo möglich, Isolationszimmer eingerichtet für den Fall einer Ansteckung. In ein paar Unterkünften konnten wir ganze Stockwerke für eine getrennte Wohnsituation einrichten. Eine Erleichterung war für den Kantonalen Sozialdienst die Eröffnung der Isolierstation im ehemaligen Werkhof Frick vor zwei Wochen. Bisher hatten wir 19 Covid-19-Patienten oder -Verdachtsfälle da. Einige sind bereits wieder gesund. In den vergangenen zehn Tagen wurde von unseren gut 2’300 Klienten niemand mehr positiv getestet.»

Für die Bewohner der kantonalen Unterkünfte seien soziale Kontakte und aktuelle Informationen genauso wichtig wie für alle anderen Menschen, sagt Stephan Müller. Deshalb sei er auch so froh, dass diese Woche mit der WLAN-Installation in sämtlichen Asylunterkünften des Kantons begonnen werde. «Wir empfehlen das auch allen Gemeinden im Kanton, die eigene Asylunterkünfte betreiben, denn mit WLAN und Handy können die Asylsuchenden mit ihren Freunden und Familien in Kontakt bleiben und sich über das aktuelle Geschehen auf dem Laufenden halten. Ausserdem soll die Massnahme die Kommunikation im beruflichen und schulischen Bereich, der zunehmend digital verläuft, ermöglichen.»

«Wir wollen die Verzweiflung klarmachen»

Der VNAA ist mit der Antwort aus Aarau nicht zufrieden. In seiner Replik auf das Schreiben von Regierungsrat Gallati steht unter anderem: «Die Angestellten des Kantonalen Sozialdienstes geben ihr Bestes und arbeiten unter schwierigen Bedingungen. Umso wichtiger ist die Wertschätzung für die Personen vor Ort, umso dringender, dass von Politik und Gesellschaft mehr finanzielle und ideelle Ressourcen zur Verfügung gestellt werden.»

Rolf Geiser, Vorstandsmitglied des VNAA und Geschäftsführer des Vereins Club Asyl Aargau, ist vor allem besorgt wegen der psychischen Belastungen, unter denen die Geflüchteten in den Asylunterkünften leiden: «Wir verteilen regelmässig Nahrungsmittel in den Unterkünften. So habe ich jede Woche Kontakt mit den Bewohnern von etwa zehn Unterkünften. Da bemerkt man die angespannte Lage schon. Angst und Unsicherheit führen zu vermehrtem Alkoholkonsum. Wenn dann noch mehrere Männer auf engem Raum zusammenleben, führt das moralisch zu einer zunehmenden Instabilität. Einige von denen, die auf ihren Asylentscheid warten, haben gehört, dass die Fälle jetzt schneller entschieden werden als vorher. Das drückt natürlich auch auf die Stimmung.»

Diese Unsicherheit macht sich auch im Engagement der Clubmitglieder bemerkbar. Von den gut 30 Flüchtlingen, die dem Verein Club Asyl Aargau angehören, hätten sich zwei Drittel im Laufe der vergangenen Wochen zurückgezogen, berichtet Rolf Geiser. «Die Verzweiflung dieser Menschen versuchen wir dem Grossen Rat und dem Regierungsrat mit ihren Sparübungen klarzumachen.»

Hat Ihnen dieser Artikel gefallen? Abonnieren Sie unseren Newsletter. Er erscheint alternierend zur Printausgabe alle zwei Wochen – immer mit den aktuellsten Horizonte-Geschichten und oftmals spannenden Verlosungen.