09.09.2013

Moralisch gut handeln in einer Welt ohne Gott?

Von Horizonte Aargau

In einer Zeit der allgemeinen Sinnkrise stelle die Gottesfrage eine wesentliche Herausforderung dar, meint die Theologin Martina Bär. «Der Glaube an Gott ist schon aus moralischen Gründen unbedingt sinnvoll», sagt sie. Zum Thema «Sinn durch Gott?» organisiert die Fakultät am 12. und 13. September 2013 eine öffentliche Tagung. Ein Interview mit der Oberassistentin am Lehrstuhl für Pastoraltheologie an der Universität Luzern.

 

 

«Sinn durch Gott?» lautet das Thema einer interdisziplinären Tagung, die demnächst an der Theologischen Fakultät der Universität Luzern stattfindet. Was hat Sie dazu bewogen, sich näher mit der Sinnfrage auseinanderzusetzen?  

Martina Bär: Die Frage nach dem Sinn ist ein Thema, das die Menschen zutiefst umtreibt. So erstaunt es auch nicht, dass die Menschen bereits in alltäglichen Situationen mit der Sinnfrage konfrontiert werden können. Nicht selten sind im Gespräch unter Menschen Aussagen zu hören wie etwa: «Das finde ich sinnvoll» oder «Das macht doch keinen Sinn». Für die Theologie geht die Auseinandersetzung mit der Sinnfrage noch einen Schritt weiter: Hier wird die Frage nach dem Sinn mit der Frage nach Gott in Verbindung gebracht…

 

In den vergangenen Jahren gab es empirische Studien im europäischen Kontext, die zum Schluss kommen, dass derzeit so etwas wie eine «Sinnkrise» grassiert. Wie zeigt sich das?  

Wir können feststellen, dass eine explizite Religiosität, bei der Menschen Gott als sinnstiftend erleben, in unserem Kontext immer weniger verbreitet ist. So skizziert beispielsweise die deutsche Psychologin Tatjana Schnell in einer Studie zur Sinnstiftung durch Gott das Bild einer «areligiösen und wenig spirituellen Gesellschaft», die dennoch an klaren Werten festhält.

 

Haben Sie Erklärungen für diese Entwicklung? 

Einer der Auslöser für diese Entwicklung war bereits das neue Denken in der Zeit der Aufklärung: Immanuel Kant war der erste Philosoph, der darauf hingewiesen hat, dass wir die Existenz Gottes nicht mit der Vernunft nachweisen können. Damit hat er eine grössere Lawine ausgelöst, die bis auf den heutigen Tag ihre Spuren hinterlassen hat. Denn über Jahrhunderte hinweg war es üblich, die Sinnfrage mit Gott in Verbindung zu bringen: Für die meisten Menschen galt Gott als die sinnstiftende Instanz ihres Lebens und die Vorsehung Gottes war denn auch wegleitend für die Ausgestaltung ihrer Lebensziele. Dieses Konzept ist heute aber für viele Menschen offenbar nicht mehr tragfähig.

 

Im Zeitalter von Evolution und Quantenphysik scheinen so genannte «Gottesbeweise», wie sie einst von Thomas Aquin entwickelt wurden, nicht mehr plausibel zu sein… 

Im Gegenteil: Die Frage der Gottesbeweise ist heute durchaus en vogue! Wir erleben derzeit eine neue Auseinandersetzung mit der Gottesbeweise-Frage in den Geisteswissenschaften. Deshalb wird sich an unserer Tagung ja auch der Münsteraner Theologieprofessor Klaus Müller in seinem Vortrag zum Thema «Laboratorium der Sinnproduktion – Gottesbeweise theologisch gesehen» explizit mit diesem Thema auseinandersetzen. Meines Erachtens ist die Position, wie sie einst der Philosoph Immanuel Kant dargelegt hat, immer noch sehr aufschlussreich.

 

Inwiefern? 

Auch wenn man die Existenz Gottes nicht mit der Vernunft untermauern kann, so drängt sich dennoch folgende Schlussfolgerung auf: Es ist aus moralischen Gründen notwendig, das Dasein Gottes anzunehmen. Denn ohne dieses «höchste Gut» ist wenig einsichtig, warum ich moralisch gut handeln soll.

 

In einer «Gesellschaft ohne Gott» wächst möglicherweise auch der Trend zum Hedonismus. Das wird ja auch in den berühmten Freidenker-Plakaten deutlich, welche die Botschaft vermitteln: «Da ist wahrscheinlich kein Gott, also sorg dich nicht und geniess das Leben.» Welches sind die Konsequenzen eines solchen Sinnkonzeptes?  

Ich meine, dass die Idee von der Glücksmaximierung nur bedingt tragfähig ist – vor allem dann, wenn Menschen in ihrem Leben mit konkreten Leiderfahrungen konfrontiert werden. Auch der verbereitete Wunsch nach Selbstverwirklichung hat oftmals seine Grenzen, wie auch Psychotherapeuten wie beispielsweise Alain Ehrenberg feststellen müssen, die im Zeitalter des «erschöpften Selbsts» nicht wenige sinnentleerte, depressive oder resignierte Menschen zu behandeln haben.

 

Das Lustprinzip ist aus Ihrer Sicht also nicht die geeignete Lösung, um das Sinn-Vakuum zu füllen?  

Nein. Denn all die Glücksversprechungen unserer Gesellschaft, die uns etwa beruflichen Erfolg und Familienglück als Sinnkonzept vermitteln, haben einen wesentlichen Nachteil: Sie gehen immer davon aus dass wir letztlich alles selber leisten müssen. Da erstaunt es nicht, wenn Menschen unter diesem enormen Leistungsdruck in einen Zustand der Erschöpfung hinein steuern.

 

Kann hier der Glaube an Gott Abhilfe schaffen?  

Ich bin überzeugt davon, dass die Theologie hier einen wichtigen Beitrag leisten kann. Ich denke dabei an eine Theologie, die Gott als einen freien und liebenden Gott voraussetzt. Ein solcher Gott will, dass seine Geschöpfe frei sind und auch im Diesseits ein Leben in Fülle haben. Ein solches Gottesbild hat angesichts der aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen und ihren Sinnstiftungskonzepten zweifellos inhaltlich etwas beizutragen.   Benno Bühlmann, kipa

 

 

Hinweis: «Sinn durch Gott?»

Zum Thema «Sinn durch Gott?» findet diese Woche – am Donnerstag, 12. und Freitag, 13. September 2013 – an der Theologischen Fakultät der Hochschule Luzern eine öffentliche Tagung statt, an der sich namhafte Referenten aus dem In- und Ausland aus theologischer und philosophischer Sicht mit der Sinnfrage auseinandersetzen. Die Tagung versucht eine theologische Neuerschliessung der Sinnfrage durch Gott in interdisziplinärer Gestalt. Im Programm sind unter anderem Vorträge von Klaus-Peter Jörns (München), Eberhard Tiefensee (Erfurt), Klaus Müller (Münster) und Claus-Peter März (Erfurt) vorgesehen.

Weitere Informationen auf: www.unilu.ch/deu/pastoraltheologie_63114.html

 

Taugt Gott heute noch als sinnstiftende Instanz? Oder ist der Mensch allein für den Sinn seines Lebens verantwortlich? Ihre Meinung interessiert uns.

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