11.10.2021

Recherchen in Geburts- und Taufregistern bringen Licht in dunkle Gerüchte
Mutterglück im Kloster Gnadenthal

Von Heinrich Briner

  • Ab dem Mittelalter bis zur Aufhebung der Klöster im Aargau lebten im Kloster Gnadenthal Zisterzienserinnen.
  • Im 19. Jahrhundert kamen Gerüchte auf, die Gnadenthaler Nonnen hätten gegen das Keuschheitsgebot verstossen.
  • Der Historiker Heinrich Briner forschte nach und entlarvte die Gerüchte als «Fake-News». Doch stiess er bei seinen Recherchen in den Akten auf zwei Kinder mit Geburtsort Gnadenthal und entdeckte im Taufverzeichnis ein veritables Sakrileg.


Das Leben der Nonnen, abgeschirmt hinter Klostermauern, war schon immer Anlass für wildeste Phantasien. Bussgürtel mit Stacheln aus Eisen sollen sie getragen haben, um sexuelle Versuchungen abzutöten. Man kann Exemplare solcher Züchtigungsinstrumente noch im Museum vor Ort besichtigen. Aber irgendwie nahm man den frommen Frauen ihren religiösen Furor nicht ganz ab.

Propaganda gegen das Kloster

So unterstellte Augustin Keller, der als «Klostermörder» in die Geschichte eingegangen ist, den Nonnen des Klosters Gnadenthal unverhohlen folgenreiche Verfehlungen gegen das Keuschheitsgebot: «Und wenn auf dem Wege des notorischen Gerüchtes aus Gnadenthal zwiefaches Mutterglück und die Fürsorge des Herrn Beichtigers von Wettingen gemeldet wurde, so konnten wir dem Gerüchte keine gerichtlich erhobene Thatsache zu Grunde legen: aber das wissen wir, daß das Gerücht ein allgemeiner Skandal, und dieser Skandal eine wirkliche, konstatierte Thatsache war.» Gnadenthaler Nonnen als gefallene Engel? Das mochte der Propaganda gegen die Klöster dienen, ernst zu nehmen war es nicht. Allein die Formulierung zeigt, dass Keller wohl selbst nicht an das Gerücht geglaubt hat. Nichts von alledem lässt sich belegen. Fake News at it’s best.

Lockere Klausur?

Belegt ist allerdings, dass die «Klosterzucht» sogar in der Tagsatzung, dem höchsten Organ der Alten Eidgenossenschaft, mehrmals Thema war. Es ist auch belegt, dass sechs junge Männer aus der Umgebung 1525 in einem nächtlichen «Überfall» in die Klausur eingedrungen sind. Was genau vorgefallen ist, geht aus den fünf Berichten der Tagsatzung nicht hervor. Noch viel mehr bleibt verschlossen, welche Rolle die Nonnen bei dem «Überfall» (mit)gespielt haben.

Zwei Niederkünfte im Gnadenthal verzeichnet

Es scheint dennoch, dass das Kloster Gnadenthal die Wirren der Reformation einigermassen unbeschadet überstanden hat. Belegt ist mit einem Tagsatzungsbericht aus dem Jahr 1532 immerhin der Austritt von zwei Nonnen, die «sich verehelicht haben». Man kennt sie aus dem von Irene Briner implementierten «Szenischen Rundgang», der im Gnadenthal hie und da aufgeführt wird.

Im Gegensatz zu Kellers unsäglich verquerem Fake von den zwei Geburten im Nonnenkloster Gnadenthal lassen sich im Geburts- und im Taufregister der Gemeinde Nesselnbach tatsächlich zwei Niederkünfte in den historischen Gemäuern des Klosters Gnadenthal nachweisen. Die Familie des «Gutsbesitzers» und Unternehmers Eschmann-von Merhart, die zur Zeit der Tabakfabrik im ehemaligen Kloster wohnte, bekam nachweisbar zwei Kinder im Gnadenthal: Am 18. August 1878 wurde Max Eugen Adolf und am 2. März 1881 Franz Ulrich Heinrich geboren. Als Geburtsort ist im Geburtsregister der Gemeinde Nesselnbach für beide «Gnadenthal» eingetragen.

Ein Sakrileg im Taufregister

«in der Klosterkirche in Gnadenthal» steht im Taufregister der reformierten Pfarrei Widen. | Foto: Heinrich Briner
Die Suche nach den Einträgen im Taufregister sorgte allerdings für eine Überraschung: Die Kinder wurden nicht katholisch, sondern reformiert getauft. Im reformierten Taufregister ist zudem deutlich hervorgehoben: Die Taufe wurde in der geweihten Klosterkirche vollzogen!

Es ist mit hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass in der damaligen Zeit ein solcher Vorgang als veritables Sakrileg – als ein Vergehen gegen etwas Heiliges – angesehen wurde. Als der Tabakfabrikant 1889 aufgeben musste, lautete der Kommentar jedenfalls: «Es ging ein Aufatmen durch die katholische Volksseele.» Heute sind derartige Haltungen zum Glück überwunden.

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