01.05.2015

Neues Leben kommt ins Haus

Von Marie-Christine Andres Schürch

Die Römisch-Katholische Landeskirche besitzt ein fast leeres Haus. Reto Marthy und Silvia Schifferli von der Sektion «Asyl» des Kantonalen Sozialdiensts sorgen dafür, dass es sich ab sofort mit neuem Leben füllt.

Aarau, Laurenzenvorstadt 71. Ein dreistöckiges Haus, zentrumsnahe, mit hellen Wohnungen. Nach dem Auszug der Kroatischen Mission war für die Römisch-Katholische Landeskirche klar, dass sie für ihr Haus an der Laurenzenvorstadt eine sinnvolle Zwischenlösung finden will. Deshalb stellte sie per 1. März 2015 dem Kantonalen Sozialdienst die oberen drei Stockwerke zur Unterbringung von 15 Asylsuchenden zur Verfügung.

«Wir haben unsere liebe Mühe»
Ausschlaggebend für den Entscheid des Kirchenrates war die grosse Not bei der Suche nach geeignetem Wohnraum. Reto Marty, Gruppenleiter Fachbereich Unterbringung und Betreuung Asylwesen, sagt denn auch: «Wir haben unsere liebe Mühe, Unterkünfte zu finden.» Deshalb sind sie auf Angebote wie jenes der Landeskirche angewiesen. Er hält fest: «Europa ist sensibilisiert für Flüchtlinge von allen Seiten und es ist wertvoll, dass Menschen und Institutionen von sich aus Raum anbieten. Das ist wichtig für uns.» Bereits 2012 hatte Kirchenratspräsident Luc Humbel alle Kirchgemeinden dazu aufgerufen, die Unterbringung von Asylsuchenden in leerstehenden Gebäuden zu prüfen. Die Landeskirche selber konnte dem Kanton damals in Aarburg einen Gruppenraum für die Unterbringung einer Familie zur Verfügung stellen. In der Kirchgemeinde Wohlen ist seither das Pfarrhelferhaus für die Unterbringung von Flüchtlingen an den Kanton vermietet.

Vom Empfangszentrum bis in die Gemeinde-Unterkünfte
Im Haus an der Laurenzenvorstadt 71 gibt es vier Wohnungen. Die Liegenschaft gilt als so genannte «kantonale Unterkunft», von denen es im Aargau etwa 60 gibt. Asylsuchende gelangen in der Schweiz zuerst in eines der Empfangs- und Verfahrenszentren des Bundes, wo sie registriert werden und eine sanitarische Untersuchung durchlaufen. Dann werden die Menschen nach Verteilschlüssel auf die Kantone verteilt. Dort kommen sie ins kantonale Erstaufnahmezentrum. Im Aargau befindet sich dieses in Buchs, Mitarbeiter des kantonalen Sozialdienstes betreuen dort die Asylsuchenden. Vom Erstaufnahmezentrum aus werden die Menschen auf kantonalen Unterkünfte verteilt, die vom kantonalen Sozialdienst betrieben werden. In der Regel erfolgt die Zuweisung in die von den Gemeinden betriebenen Unterkünfte später.

Tante, Mutter und Grossmutter
Wunsch der Verantwortlichen der Landeskirche ist, dass Familien in die Liegenschaft einziehen können. Für Silvia Schifferli, die im Auftrag des Kantons die Bewohner an der Laurenzenvorstadt betreuen wird, ist der Standort dafür ideal: «Unser interner Kindergarten und die Schule sind von hier aus zu Fuss erreichbar, das ist sicher ein Vorteil.» Welche Familien einziehen können, wird Silvia Schifferli in Gesprächen mit dem Gruppenleiter festlegen. Sie ist seit 16 Jahren als Betreuerin in verschiedenen Liegenschaften tätig und in direktem Kontakt mit den Asylsuchenden. Natürlich gebe es manchmal Streit unter den Bewohnern, manchmal auch Lärm, aber nicht häufiger als unter Schweizern auch: «In all den Jahren habe ich nie einen wirklich gravierenden Fall erlebt.» Es sind unendlich vielfältige Geschichten, die Silvia Schifferli bei ihrer Arbeit mitbekommt. Als Betreuerin ist Silvia Schifferli «Tante, Mutter und Grossmutter» für ihre Leute, wie sie erzählt. «Wir Mitarbeiter im Fachbereich ‚Unterbringung und Betreuung’ sind Allrounder», fasst sie zusammen. Manchmal gebe es auch auch Rassismus unter den Asylsuchenden, Ethnien, die sich im Heimatland nicht vertragen und den Konflikt auch hier ausleben. In solchen Fällen bekommt der Betreuer starkes Gewicht. Er vermittelt und es klappt – zwar nicht immer, aber immer wieder.

Manchmal rutscht ein ‚Du‘ heraus
Als Betreuerin erklärt Silvia Schifferli den Asylsuchenden auch all die offiziellen und ungeschriebenen Regeln, die in der Schweiz gelten. Das können in unseren Augen banale Dinge sein, etwa, dass man hier um zwölf Uhr Mittagspause hat und isst. «Wir sagen den Menschen klar, dass sie sich in das Zeitgefüge und die Umgangsformen der Schweiz einfügen müssen.», sagt Silvia Schifferli. «Wir achten auch darauf, dass wir die Leute mit ‚Sie’ ansprechen, der gegenseitige Respekt muss gewährleistet sein. Ich bin für die Leute ‚Frau Silvia’. Auch wenn jemandem ab und zu ein ‚Du’ herausrutscht: grundsätzlich sind wir per Sie.»

Vermietet bis Ende 2016
Das Mietverhältnis zwischen Landeskirche und Kanton ist bis Ende 2016 befristet. Wie die Landeskirche mitteilt, möchte sie in Aarau, wo sich an der Feerstrasse 8 ihr Hauptsitz mit Verwaltung und Generalsekretariat befindet, zusätzliche Büroräumlichkeiten für den Zusammenzug weiterer Fachstellen schaffen. Die Synode hat dazu Ende 2013 einem Kredit für eine Machbarkeitsstudie zur Erweiterung der Verwaltungsliegenschaft an der Feerstrasse 8 in Aarau und parallel zur vertieften Prüfung weiterer Gebäude und Standorte zugestimmt. Bis Ende nächsten Jahres sollte klar sein, wie die Liegenschaft an der Laurenzenvorstadt 71 weiter genutzt wird. Die ersten Asylsuchenden sind inzwischen in der Laurenzenvorstadt 71 eingezogen. Die neuen Bewohner bringen wohl keine prallvollen Zügelkartons mit. Im Gepäck haben sie ihre ganz persönlichen Geschichten, ihre Hoffnungen und Talente. Das Haus füllt sich mit Leben.

 

 

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