09.03.2023

Das Wissen über den Klimawandel genügt nicht. Die Klimagespräche helfen, zur Tat zu schreiten.
Nur Nichtstun ist schlimmer

Von Eva Meienberg

  • In den Klimagesprächen von Fastenaktion und Heks lernen die Teilnehmenden ihren ökologischen Fussabdruck zu verkleinern.
  • Die Gesprächsmethode, die in der Deutschschweiz seit 2019 angewendet wird, ist wirksam gemäss einer Studie der Uni Bern.
  • Viele Menschen machen sich Sorgen um das Klima und tun doch nichts. Nicht so die neue Gesprächsgruppe in Aarau. Ein Augenschein.

«Wer bist du und warum bist du da?», fragt der Moderator in die elfköpfige Runde. Ein bisschen erinnert die Situation an eine Selbsthilfegruppe – aber hier geht es nicht um Alkohol oder Gewalt, sondern ums Klima. An vier Abenden werden diese Teilnehmerinnen und Teilnehmer über das Klima und ihr Verhalten sprechen. Die Klimagespräche im Bullingerhaus Aarau werden moderiert von Markus von Allmen und Stephan Degen Balmer.

Verschiedene Beweggründe

Die Mehrheit in dieser Runde ist älter als 50 Jahre. Als Boomer würden jugendliche Klimabewegte sie bezeichnen, und damit Menschen meinen, die sich nicht um den Klimawandel scheren. Weit gefehlt. Marianna etwa hat neulich während eines Skirennens am Fernsehen realisiert, dass der Gletscher ihrer Kindheit weggeschmolzen ist. Der Schock sitzt tief. Jetzt muss sie etwas tun. Gertraud, die ein sehr bewusstes Leben führt, ihr Brot selbst bäckt und sich auch beruflich um Biodiversität kümmert, will hier lernen, mit Menschen zu sprechen, die ohne Skrupel in den Flieger steigen, um Ferien auf den Malediven zu machen.

Peter sieht eine düstere Zukunft für kommende Generationen. Sein Leben lang hat er sich für Nachhaltigkeit eingesetzt. In der Entwicklungshilfe in Südamerika und Afrika, aber auch als Maschinenschlosser beim Bau des Kernkraftwerkes Gösgen. Darauf sei er stolz, denn dank Kernkraft habe die Schweiz Unmengen an Kohle gespart.

Auch Karl hat sein Leben in der Industrie verbracht, als Elektromonteur sieht er viel Potenzial für das Klima bei der Elektrizität. Denkt er über die Zukunft nach, sieht er sie nicht rosig. Weil er aber seinem kleinen Enkel etwas Gutes mit auf den Weg geben will, sitzt er hier in der Runde für das Klimagespräch.

Grosse Sorgen ums Klima

Viele Menschen machen sich grosse Sorgen um das Klima. Dennoch sind sie nicht bereit, ihr Verhalten zu ändern. Das ist paradox und menschlich. Unser Gehirn versuche, unangenehme Informationen zu verdrängen, heisst es im Begleitheft zu den Klimagesprächen. «Was nützt es, wenn ich Plastiksäckli mehrmals brauche, wenn in Zukunft in China alle ein Auto fahren werden?» Diese rhetorische Frage ist eines von vielen Beispielen für solche Verdrängungsmechanismen.

Klimagespräche

Die Klimagespräche werden in der Deutschschweiz seit 2019 von den Hilfswerken Fastenaktion und HEKS organisiert. Die Gesprächsmethode wurde in England entwickelt und findet international Anwendung. An vier Abenden beschäftigen sich sechs bis zehn Personen mit dem eigenen Lebensstil in Bezug auf Mobilität, Ernährung, Konsum und die Auswirkungen auf das Klima. Sie suchen gemeinsam konkrete Verbesserungsmöglichkeiten und üben das konstruktive Gespräch mit Menschen, die sich den Klima-Fragen nicht stellen wollen. Die Gespräche werden geleitet von zwei ausgebildete Moderatoren. Hier finden Sie Termine für weitere Gespräche.

Wissen allein bringt keine Veränderung. Das haben die Entwicklerinnen der Methode der Klimagespräche erkannt. Es braucht Unterstützung für einen persönlichen Veränderungsprozess, in dem sich die Einzelnen mit ihren Gewohnheiten und Bequemlichkeiten auseinandersetzen müssen. Dass dieser Prozess ambivalente Gefühle auslöst, wird auch an diesem Abend klar.

Etwas bewirken können

Lähmend wirken dabei etwa Politikerinnen und Politiker, die den Klimawandel leugnen, Parkplätze vollgestellt mit grossen Autos, ignorante Jugendliche, die ihre Kippen unbedacht auf die Strasse schnippen. Die Teilnehmenden machen ihrer Wut Luft. Aber danach geht es in der Gesprächsrunde um die Erfahrungen, die stärken: Begegnungen mit Menschen, die vorbildlich sind, Streifzüge durch die Natur, Erinnerungen an das bescheidene Leben der Eltern und schliesslich um die Erfahrung, etwas bewirken zu können.

Als Vorbereitung haben alle ihren CO2-Fussabdruck berechnet. Nun geht es darum, diesen Wert kontinuierlich zu verbessern. Dazu setzen sich die Teilnehmenden smarte Ziele. Will heissen: spezifisch, messbar, attraktiv, realistisch und terminiert. Als erste Hausaufgabe überprüfen sie das eigene Mobilitätsverhalten. Dazu gibt es im Klima-Tagebuch ein Journal. Die Teilnehmenden notieren während zwei Wochen ihre zurückgelegten Kilometer.

Klimagespräche wirken

Eine Studie der Universität Bern am Zentrum für Nachhaltige Entwicklung und Umwelt CDE hat die Auswirkungen der Klimagespräche untersucht. Tatsächlich schafften es die Teilnehmenden, ihren ökologischen Fussabdruck signifikant zu verkleinern, was vor allem auf den Verzicht auf Flugreisen zurückzuführen ist. Ebenso engagierten sich die Teilnehmenden stärker für den politischen Klimaschutz und ihr Alltagsverhalten war umweltfreundlicher. Der Untersuchungszeitraum der Studie betrug allerdings nur fünf Monate und basierte auf den Selbstaussagen der Teilnehmenden. Wie nachhaltig die Verhaltensänderungen waren ist nicht bekannt.

Der Abend endet nach einer Schlussrunde pünktlich um 21 Uhr. Den einen gings zu schnell, die anderen sind dankbar, in einer Gruppe von Gleichgesinnten zu sein. Alle sind froh, etwas tun zu können. Simon äussert einen offensichtlich von der Corona-Pandemie geprägten Wunsch, den wohl alle unterstützen würden: «Wir müssen mit unserem Verhalten ansteckender sein.»

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