24.07.2014

Ostern im Sommer

Von Horizonte Aargau

Im Gegensatz zu früheren Aufführungen wagt die zeitgenössische Adaption von Paul Steinmann und Barbara Schlumpf einen verspielten und mutigen Umgang mit dem 700 Jahre alten Stück, das im 19. Jahrhundert als Handschrift in einem Bibeleinband entdeckt wurde.

«Für all das Böse in der Welt sind wir selber gut genug, da brauchen wir keinen Teufel für», meint eine der bleich geschminkten Figuren auf der einem Spiegel nachempfundenen Bühne im Klosterhof von Muri. «Es ginge den Leuten aber besser, wenn es den Teufel und eine Hölle gebe», entgegnet ihr eine andere. Es wird die Aufführung des Osterspiels geprobt. Assistentin Tina versucht mit der Truppe einen Durchlauf, weil der Regisseur einmal mehr abwesend ist. Immer wieder muss sie ihre Leute zusammenstauchen, weil diese nur allzu gern die Sache auf die leichte Schulter nehmen und selbstironisch ihre Rollen reflektieren. Eine verwirrte ältere Frau stört zudem immer wieder die Proben. Vor etlichen Jahren spielte sie selbst bei einer Aufführung des Osterspiels mit. Das Treiben der Akteure auf der Bühne weckt in ihr Erinnerungen an die nicht gelebte Liebe mit dem Jesusdarsteller seinerzeit.

Farbige Totentanz-Welt
Die traditionelle Aufführung eines mittelalterlichen Erbauungsspiels mit seinen salbungsvollen, mittelhochdeutschen Phrasen findet heute kaum noch ein Publikum. Das scheint auch Autor Paul Steinmann und Co-Regisseurin Barbara Schlumpf bewusst gewesen zu sein. Im 21. Jahrhundert ist der Glaube Privatsache, eine Möglichkeit. Die Kirchen gelten als achtbare Sozialwerke, die jedoch mit Missbrauchsskandalen viel Kredit verspielt haben. Jährlich wiederkehrende Statistiken über Kirchenaustritte sprechen eine klare Sprache: Der konfessionell christliche Glaube ist im Verdunsten begriffen. Gott, Hölle, Fegefeuer und Auferstehung sind für die meisten Menschen nur noch abstrakte Begriffe. Dem muss sich auch das Osterspiel stellen.«Für die Schule brauche ich keinen Gott», meint die Darstellerin der Maria von Magdala, eine junge Teenagerin. In Doc Martens-Schuhen beweint sie Jesus, der in einem Container beigesetzt wurde. Pilatus, der von einem Knaben gespielt wird, ist froh darüber, dass er dank des Theaterspiels länger auf bleiben kann. Seine Soldaten «bewachen» mit Rechen und Harken das «Grab». Jesus fehlt genauso wie der Regisseur, eine «arme Seele» springt als Ersatz ein. Das skurril-unterhaltsame Probenchaos, untermalt von lüpfiger Klezmermusik einer Live-Band, weiss zu unterhalten und kontrastiert die Welt der Erinnerungen von Sophie, der alten Frau aus der «Pflegi». Ihre Erinnerungen ans «eigene Osterspiel», an die Liebe zu «ihrem Ernst» gewinnen schliesslich die Oberhand. Die Probe verwandelt sich in eine farbige Totentanz-Traumwelt, in welcher Sophie als das erlebt, was sie gelebt und gerne gelebt hätte.

Gelungene Premiere
Nachdem in den Tagen zuvor anhaltende Niederschläge den Aargau mehr als gut durchtränkt hatten, zeigte Petrus für die Premiere des Osterspiels Muri ein Einsehen und bescherte den 41 Darstellenden und 120 freiwilligen Helfern vor der bis auf den letzten Platz gefüllten Tribüne einen Traumstart. Die knapp 100-minütige Aufführung erntete begeisterten Applaus. Der verspielte Umgang im ersten Teil des Stückes vermochte zu packen, unterhielt mit Witz und gelungenen Bildern. Dank dem Einsatz von Mikrofonen waren die Darstellerinnen und Darsteller bestens zu verstehen. Der zweite Teil forderte die Zuschauer. Der rote Faden verlor sich in einer Traumwelt, bot dafür aber Raum für freie Interpretation und zeigte mutig arrangierte Bilder unter Einbezug verschiedener Figuren-Ensembles. Noch bis am 30. August wird das Osterspiel in Muri jeweils am Mittwoch, Freitag und Samstag aufgeführt. Horizonte begleitet seine Leserinnen und Leser am 30. Juli sowie am 6. August im Rahmen einer speziellen Leseraktion.

Andreas C. Müller

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