27.12.2018

Quo vadis ecclesia?

Von Andreas C. Müller

  • Der Papstbesuch, die Missbrauchsfälle, die Jugendsynode: Es sind die grossen Ereignisse und Themen, die für 2018 für die Römisch-Katholische Kirche in der Schweiz in Erinnerung bleiben.
  • Mehr Mut von Seiten der Kirchenverantwortlichen wünschen sich die einen, mehr positive News die anderen. Horizonte hat mit bekannten kirchlichen Persönlichkeiten über deren Hoffnungen und Erwartungen für das kommende Jahr gesprochen.

 

Und wieder geht für die Römisch-Katholische Kirche in der Schweiz ein ereignisreiches Jahr zu Ende. Es gab Freudvolles, aber auch Trauriges. Zu den Höhepunkten gehörte mit Sicherheit der Besuch von Papst Franziskus in Genf, obgleich diese Visite nicht ohne Nebengeräusche über die Bühne ging. Nicht ordinierte Theologinnen und Theologen hatten nicht das Recht, die Papstmesse zusammen mit den Priestern und Diakonen zu feiern.

Missbrauchsfälle auch 2018 dominantes Thema

Weiter begleiteten uns das ganz Jahr über neuerlich publik gewordene Missbrauchsfälle in der Schweiz und im Ausland durch katholische Priester. Auch im Kanton Aargau outete sich mit Andreas Santoni ein Missbrauchsopfer; seine Geschichte schlug hohe Wellen.

Dabei fing das Jahr vielversprechend an: Mehrere tausend Jugendliche aus ganz Europa kamen nach Basel zum europäischen Taizé-Jugendtreffen. Zahlreiche Aargauer Gemeinden rund um Frick, Brugg, Aarau und Zofingen nahmen Gäste auf. Kurz darauf feierte das Kloster Fahr seinen 888. Geburtstag im Beisein von alt Bundesrätin Doris Leuthard. Und im März war da noch die gewonnene Abstimmung über die Beibehaltung der Radio- und Fernsehempfangsgebühren, deren Abschaffung zur Streichung von Religionssendungen geführt hätte.

Ambivalentes Bild der Jugendsynode in Rom

Nach der Sommerpause gab es im September zunächst den Herbert Haag-Preis für Jungwacht und Blauring Schweiz, dann feierten mehrere hundert Jugendliche zusammen mit Bischof Felix Gmür in Brugg-Windisch das Bistumsjugendtreffen.

Im Spätherbst folgte die Jugendsynode in Rom, die in der Schweiz mit viel Interesse verfolgt wurde. Der Umstand, dass zwar Jugendvertreter aus aller Welt an der Synode konsultiert wurden, in der medialen Berichterstattung aber einmal mehr das Bild vom männerdominierten Altherrenklub transportiert wurde, dämpfte viele Hoffnungen.

Kollektivaustritt nach unglücklichen Aussagen des Papstes

Nach Ablehnung der von der SVP eingebrachten Selbstbestimmungsinitiative dann der nächste Paukenschlag: Sechs innerhalb der katholischen Kirche profilierte Frauen traten im November medienwirksam aus der katholischen Kirche aus. Das Fass zum Überlaufen gebracht hatten unglückliche Äusserungen von Papst Franziskus zum Thema Abtreibungen und Homosexualität. Der befürchtete Nachahmungseffekt in weiten Teilen der weiblichen Kirchenbasis blieb zwar aus, doch über 300 Personen unter der Führung von Jacqueline Keune und Monika Hungerbühler reagierten mit einem öffentlichen Protestschreiben, in welchem sie nachdrücklich die Gleichwertigkeit der Geschlechter innerhalb der katholischen Kirche einforderten.

Was bleibt an der Schwelle zum neuen Jahr in Erinnerung? Horizonte hat bei bekannten Persönlichkeiten aus dem kirchlichen Leben nachgefragt. Wenig erstaunlich: Fast alle erwähnen den Besuch von Papst Franziskus. «Dieser vermochte so viele Leute zu mobilisieren», meint beispielsweise Luc Humbel, Präsident der Römisch-Katholischen Zentralkonferenz RKZ und der Römisch-Katholischen Landeskirche Aargau.

Zweiklassengesellschaft an der Papstmesse in Genf

Auch die Theologin Jacqueline Straub, dieses Jahr von der englischen BBC in die Liste der hundert inspirierendsten und einflussreichsten Frauen für das Jahr 2018 aufgenommen, erklärt: «Ich habe mich sehr gefreut, dass der Papst die Schweiz besuchte.» Auch der Schweizer Zirkuspfarrer Adi Bolzern erwähnt den Papstbesuch, blickt aber auch kritisch auf das Ereignis: «Der Papstbesuch im Juni in der Schweiz hat viele bewegt. Leider gab es auch Ärger, da die nicht geweihten Theologinnen und Theologen nicht mit den Bischöfen, Priestern, Diakonen und dem Papst um den Altar feiern konnten. Dies ist aus meiner Sicht wirklich schade.»

Im Zusammenhang mit dem Papstbesuch wird oft auch an die «ungeschickten Aussagen» erinnert, die dieser im Laufe des Jahres gemacht hat. «Diese schmerzen», bekennt Vroni Peterhans, Oeku-Präsidentin und Vizepräsidentin des Schweizerischen Katholischen Frauenbundes und ergänzt: «Solche Aussagen lassen uns unsicher zurück, ob die katholische Kirche wirklich für alle da sein will, also allumfassend wirken möchte». «Ich hatte ihm (Anmerkungen der Redaktion: Gemeint ist Papst Franziskus) zugetraut, etwas vernünftiger und umsichtiger zu sein mit seinen Aussagen», erklärt der bekannte Sozialethiker und Präsident der bischöflichen Kommission «Justitia et Pax», Thomas Wallimann-Sasaki. «Der Papst hat mit seinen Aussagen Menschen zusätzlich verletzt, die häufig in seelischen Nöten sind und denen mit dem Moralhammer kaum geholfen ist.»

«Kultur des Verschweigens und Vertuschens»

Am zweithäufigsten sind die Missbrauchsfälle ein Thema. «Das hat mich schockiert», räumt Jacqueline Straub ein, die Bekanntheit erlangte, weil sie öffentlichkeitswirksam für ihren Wunsch eintritt, katholische Priesterin zu werden. Namentlich die Kultur des Verschweigens und Vertuschens» rund um das seit Jahren virulente Thema habe sie sehr enttäuscht, bedauert die junge Theologin und Buchautorin aus Muri.

Zu den positiven Ereignissen gehört in der Erinnerung die Jugendsynode. «Das hat mich bewegt», gibt Hildegard Aepli, zu, die als Initiantin des Pilgerprojekts für eine Kirche mit* den Frauen vor zwei Jahren schweizweit bekannt wurde. «Erstmals wurde in einer Vorsynode den Jugendlichen selber Raum für ihre Themen, Fragen und Anliegen geschaffen», sagt sie. «Die Jugendlichen wurden von den Bischöfen der ganzen Welt gehört. Das hat eine Wirkung. Nicht heute und morgen, aber für die Zukunft der Kirche. Davon bin ich überzeugt.»

«Trotz allem: Ich spüre eine tiefe Berufung»

Nicht ganz so oft wie vielleicht erwartet, wird an den Kollektivaustritt der sechs in der Kirche bekannten Frauen erinnert. «Für mich war das ein einschneidendes Ereignis», erklärt Claudia Mennen, Leiterin der Propstei Wislikofen (Seminar- und Bildungszentrum der Römisch-Katholischen Landeskirche Aargau). «Diese haben getan, was ich auch tun würde, spürte ich nicht auch heute noch eine tiefe Berufung, im Rahmen der Kirche tätig zu sein und die Freiräume zu gestalten, die da sind.»

Angesichts der doch in vielerlei Hinsicht bedrückenden Themen wie Missbrauch durch Geistliche und mangelnde Geschlechtergleichberechtigung wünschen sich die meisten Befragten für das kommende Jahr positive, ermutigende Entwicklungen. «Dass sich die Kirche vom Negativ-Image lösen kann und Schlagzeilen macht mit mutigem Vorangehen», bringt es Vroni Peterhans auf den Punkt.

«Meine Kirche hat auch heute noch viel zu bieten»

Mut wünscht sich auch Jacqueline Straub – vor allem von den Bischöfen. «Mut, Neues anzupacken und nicht weiter in den alten Strukturen zu verharren». Mit Blick auf die Situation der Frauen erklärt die junge Theologin: «Ich wünsche mir in Bezug auf die Frauenfrage mehr Dialog, vor allem von Seiten der Kirchenführung in der Schweiz und im Vatikan». «Klare Schritte auf dem Weg zu geteilter Verantwortung und Macht», präzisiert Susanne Andrea Birke, die sich im Aargau als Theologin für Frauen, gleichgeschlechtlich Liebende und die LGBT-Community (Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transgender) einsetzt.

Zirkuspfarrer Adi Bolzern möchte einfach wieder mehr Positives über die Kirche in den Medien lesen. «Ich wünsche mir, dass mehr über das Positive, das Aufbauende und Hoffnungsvolle unserer Kirche gesprochen und geschrieben wird. Meine Kirche hat auch heute noch viel zu bieten», ist er überzeugt. Das glaubt auch RKZ-Präsident Luc Humbel. Er hofft, «dass wieder vermehrt Distanzierte oder gar Abgewandte sich einer glaubwürdigen Kirche zuwenden wollen, weil wir gemeinsam mehr erreichen».

«Machtkämpfe um Realitätsdeutung»

«Viele fragen auch: Wo sind die jungen Leute?» bringt Thomas Thomas Wallimann-Sasaki den Aspekt des fehlenden Nachwuchses ins Spiel. Der Präsident der bischöflichen Kommission «Justitia et Pax» gibt jedoch zu bedenken, dass gerade jene, welche die junge Generation schmerzlich vermissten, oft unfähig seien, mit den jungen Menschen unterwegs zu sein und mit deren Nöten und Fragen offen und ohne Scheuklappen umzugehen.

Sorgen bereiten Thomas Wallimann-Sasaki auch die in der Kirche seit den 1980er-Jahren ausgefochtenen «Machtkämpfe», die «um Realitätsdeutung ringen». Eine Entwicklung, «die zuerst in Chur stattfand und später mit dem Erstarken der SVP auch in der politischen Landschaft ankam.» Man könnte auch sagen: Die zunehmende Polarisierung innerhalb der Gesellschaft färbte auch auf die Kirche ab.

«Reaktionäre Kräfte sind eine Minderheit»

«Für mich ist diese Polarisierung weder gesellschaftlich, noch kirchlich neu», meint Susanne Andrea Birke. «Aber sie wurde mit der zunehmenden Umverteilung von politischer Macht, dem folgenden Rückschlag und dem wachsenden wirtschaftlichen Graben sichtbarer, weil die Auseinandersetzungen härter wurden». Der Wunsch nach Öffnung im Gegensatz zum Bestreben, das Rad zurückzudrehen, seien die beiden aufeinanderprallenden Kräfte.

Das sieht auch Jacqueline Straub so. «Es gibt durchaus einen sehr reformfeindlichen Flügel in der katholischen Kirche, der bei Fragen wie der Gleichberechtigung, der Akzeptanz gegenüber wiederverheirateten Geschiedenen und Homosexuellen enorm auf die Bremse drückt oder gar das Rad zurückdrehen will.» In den Sozialen Medien würden diese Leute aggressiv und plakativ auftreten. «Aber diese Kräfte sind nur eine Minderheit und sollten keinen vom Einsatz für Reformen ab- oder aufhalten», ergänzt die Theologin.

«Es fehlen schlüssige Antworten auf Fragen»

Abhalten lassen will sich auch Vroni Peterhans auf keinen Fall. Als Vizepräsidentin des Schweizerischen Katholischen Frauenbundes SKF beobachte sie, dass sich immer mehr Verbündete für eine Kirche mit und für alle einsetzten. Demgegenüber stünden allerdings jene, «die froh sind um starke, für mich eher starre Leitplanken und Regeln. Schon in der Frühkirche hatten verschiedene Strömungen und Ansichten Platz. Warum nicht auch heute?»

Er stelle keine eigentliche Polarisierung fest, meint RKZ-Präsident Luc Humbel. Es fehlten aber auf pastoraler Seite schlüssige Antworten auf Fragen, welche die Gesellschaft bewegten. Bleibt zu hoffen, dass 2019 Antworten gefunden werden, die eine positive Dynamik in Gang bringen.

 

Hat Ihnen dieser Artikel gefallen? Abonnieren Sie unseren Newsletter. Er erscheint alternierend zur Printausgabe alle zwei Wochen – immer mit den aktuellsten Horizonte-Geschichten und oftmals spannenden Verlosungen.