24.01.2019

Riehen: Priester verpasst Chance zur Resozialisierung

Von Anne Burgmer

  • Am 14. Januar 2019 eskalierte in Riehen, Basel Stadt, die Situation um die Wahl eines vorbestraften Priesters zum Pfarrer, der früher auch im Aargau tätig gewesen war. Nachdem zunächst nur davon die Rede gewesen war, dass der Geistliche an einer früheren Pfarrstelle im Thurgau einem Jugendlichen die Füsse massiert hatte, wurde schliesslich ein weiter gehender Übergriff öffentlich.
  • Der Basler Bischof Felix Gmür hatte die Wahl zum Kandidaten zunächst unter bestimmten Bedingungen akzeptiert. Nach Bekanntwerden des vollen Umfangs der Verfehlungen lud Felix Gmür gestern zu einer Medienkonferenz, um sich kritischen Fragen zu stellen.

 

In einem sind sich alle Gesprächspartner einig: Es ist gut, dass die Sache jetzt rausgekommen ist. Ausgestanden ist die Krise jedoch nicht. «Wir hatten die Hoffnung, dass die Menschen in der Pfarrei jetzt, nachdem Stefan Küng seine Kandidatur zurückgezogen hat, von ihren Emotionen runterkommen. Doch das ist nicht der Fall», sagt Pfarreimitglied Robert Müller aus Riehen, der seinen richtigen Namen nicht veröffentlicht sehen will.

Verärgerung und Enttäuschung in Basel und Riehen

Mit dem Wunsch nach Anonymität ist Robert Müller nicht allein. Auch Susanne Meier heisst eigentlich anders. Sie ist schockiert über die Vorgänge in ihrer Pfarrei und findet kaum Worte: «Erst durch die Unterschriftensammlung erfuhr ich, dass Stefan Küng diese Fussmassagen gemacht hatte. Von daher fand ich es gut, dass eine Urnenwahl erwirkt werden sollte (Anmerkung der Redaktion: ohne eine ausreichende Anzahl Unterschriften wäre der Kandidat in Riehen still gewählt worden). Wenn viele für Herrn Küng gestimmt hätten, dann hätte das geheissen, dass er Rückhalt in der Gemeinde hat. Er hat – so meine Wahrnehmung – sich für die Menschen interessiert und das kam gut an».

An einem Informationsabend sollten die Pfarreimitglieder die Möglichkeit bekommen, Fragen an Stefan Küng zu richten. Eingeladen hatte der Priester selber. Mit ihm standen Pastoralraumpfarrer Stefan Kemmler, der Präsident der Pfarrwahlkommission, Stefan Suter, und Daniel Bachmann, ein langjähriger Weggefährte Stefan Küngs, vor der Versammlung.

Béatrice Bowald, Mitarbeiterin an der Stabsstelle des Pastoralraums Basel Stadt, findet es aus Gründen der Beachtung der Zuständigkeiten der verschiedenen Gremien fragwürdig, dass Stefan Küng selber eingeladen hatte und nicht der Pfarreirat oder die Pfarrwahlkommission. Die Theologin beschreibt den Abend als Wahlveranstaltung mit populistischen Elementen und führt aus: «Die Kritiker Küngs hatten es schwerer, zu Wort zu kommen. Seine Befürworter hatten die Mehrheit der Voten und liessen die kritischen Stimmen teilweise nicht richtig zu Wort kommen. Es gab keine Moderation und die Art und Weise, wie durch Herrn Suter immer wieder betont wurde, dass der Fuss kein Sexualobjekt sei, zog die Strafverfolgungsbehörde ins Lächerliche. Die Frage nach dem Inhalt des Strafbefehls blieb unbeantwortet und es stellte sich heraus, dass einzelne Mitglieder der Pfarrwahlkommission nicht über den Strafbefehl orientiert waren».

Susanne Meier formuliert es so: «Die vier Männer vorne haben wunderbar zusammen funktioniert und ich hatte den Eindruck, ein System zu erleben, das von Vertuschung lebt. Jetzt, nach dem Bekanntwerden des Strafbefehls, ist die Intransparenz des als Aufklärung gedachten Informationsabends noch weniger zu fassen».

Der Basler Bischof in Erklärungsnot

Die Basellandschaftliche Zeitung hatte von der Staatsanwaltschaft Thurgau den Strafbefehl erhalten und berichtet, dass Stephan Küng sich in einem Fall eines ernstzunehmenderen Übergriffs schuldig gemacht hatte. Damit war klar: Stephan Küng war unwählbar geworden. Es stellte sich die Frage, warum Bischof Felix Gmür, aktuell Präsident der Schweizer Bischofskonferenz SBK, trotz Kenntnis des Strafbefehls, eine solche Kandidatur bestätigt hatte – besonders mit Blick auf die Nulltoleranzlinie der Römisch-Katholischen Kirche.

Angesichts der Entwicklung lud Felix Gmür gestern, Mittwoch 23. Januar, in Solothurn zur Medienkonferenz. Dort erklärte er sein Vorgehen. Er habe nach langer Prüfung und auf Grundlage verschiedener Gutachten, die den Priester als unbedenklich einstufen, im Juli 2018 dem Vorschlag der Pfarrwahlkommission in Riehen im Sinne der Resozialisierung unter verschiedenen Bedingungen zugestimmt: Stefan Küng sollte erstens vollständige Transparenz schaffen, zweitens sollte seine Wahl demokratisch ablaufen, drittens sollte er supervisorische Begleitung annehmen und viertens keine Kinder- und Jugendarbeit mehr machen. Diese Bedingungen wurden Stefan Küng und dem Präsidenten der Pfarrwahlkommission in einem Gespräch mitgeteilt.

Der Bischof wusste alles, musste aber schweigen

«Mir war von Anfang an klar, dass eine berufliche Wiedereingliederung nur über Transparenz möglich wäre. Soweit es mir die Gesetze des Persönlichkeits- und Opferschutzes erlaubten, kommunizierte ich alles, was ich wusste. Bis zur Offenlegung des Strafbefehls durch den Thurgauer Staatsanwalt war Küng die einzige Person, die über den Inhalt hätte Auskunft geben dürfen. Das hat er jedoch nicht getan», sagte Felix Gmür.

Auf Nachfragen nach weiteren Möglichkeiten, Einfluss auf die Wahl zu nehmen, stellte Felix Gmür klar, dass er als Teil der pastoralen Seite des dualen Systems der Katholischen Kirche Schweiz nicht in die Prozesse der staatskirchenrechtlichen Seite eingreifen dürfe: «Diese Abläufe habe ich zu respektieren», so der Bischof von Basel.

Über Intransparenz gestolpert

Im Fall von Stefan Küng geschah die Wahl durch die Kommission ohne Konsultation des Bischofs – ein Vorgehen, das auch in Riehen hinterfragt wird. Raingard Lötscher-Booz, Delegierte der Synodenfraktion im Pfarreirat, sagt ebenfalls, dass Stefan Küng weniger über seine Vergangenheit als über seine Intransparenzen von seinem ersten Auftreten im Jahr 2015 bis hin zum Infoabend gestolpert sei. Von den Bedingungen des Bischofs für die Ernennung nach erfolgter Wahl habe sie aus der Zeitung erfahren. Sie bringt noch einen weiteren Aspekt ins Spiel: «Unabhängig von der Vergangenheit eines Priesters steht für mich auch die Frage im Raum, ob ein Kandidat vom Leitungsstil und den administrativen Kompetenzen her für eine Pfarrei geeignet ist. Es wäre durchaus vorstellbar gewesen, dass Stefan Küng als priesterlicher Mitarbeiter tätig ist, doch für die Leitung einer Pfarrei ist mehr nötig als gute Gottesdienste».

Resultat: Eine «verwundete» Pfarrei

Wie es in Riehen nun nach dem Rückzug der Kandidatur durch Stefan Küng weitergeht, ist offen. «Das Klima in der Pfarrei ist vergiftet und die Leute sind nur noch erschöpft. Die Sache kostet unendlich viel Energie und ist seit Wochen dauernd Thema bis an den Mittagstisch», sagt Robert Müller. Susanne Meier bezeichnet sich selber als eher inaktives Pfarreimitglied, doch «wenn Vertreter vor Ort vor allem ihre eigenen Bedürfnisse versuchen durchzubringen, anstatt die gesamte Pfarrgemeinde im Blick zu haben, fällt es mir noch schwerer, mich in Riehen kirchlich beheimatet zu fühlen.»

Der Bischof liess an der Medienkonferenz offen, wie genau er mit der Pfarrgemeinde, die er als verwundet bezeichnete, in Kontakt treten will. Zunächst trifft er die Seelsorgerinnen und Seelsorger des Pastoralraums Basel Stadt zu einer Aussprache. Für eine seelsorgliche Tätigkeit Stefan Küngs sieht er in seinem Bistum keinen Weg; dass der Priester keine Transparenz geschaffen habe, sei eine Katastrophe. Für die Zukunft habe der Fall Riehen gezeigt, so Felix Gmür, «dass es sinnvoll ist, mit den Präsidenten der Kantonalkirchen zu besprechen, wie der Umgang mit Strafanzeigen von kirchlichen Angestellten in solchen Fällen sein soll.»

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