19.09.2019

«Schön, dass DU da bist» – Der Babykoffer

Von Anne Burgmer

  • Seit Juli 2019 begrüsst die katholische Kirche im Pastoralraum Region Brugg-Windisch alle katholisch gemeldeten Neugeborenen mit einem Willkommenskoffer.
  • Die frischgebackenen Eltern werden angeschrieben und um einen Terminvorschlag gebeten. Dann schaut eine freiwillige Mitarbeiterin der Gruppe Familienvielfalt bei der Familie vorbei. Horizonte begleitete einen Besuch.

 

Ein ruhiges Wohnquartier bei Brugg. Zwischen den Mehrfamilienhäusern spielen Kinder, ein Bronzefrosch spuckt Wasser in seinen Brunnen. Nicole Gabler, in der linken Hand einen packpapierfarbenen Koffer, drückt die Klingel der Familie Huber. Der Koffer ist am Griff mit einer Schleife zugebunden; auf einer der grossen Kofferseiten steht: «Schön, dass DU da bist».

Es geht nicht um eine volle Kirche

Rückblende in den Juni 2018. Brigitta Minich, Theologin und Pfarreiseelsorgerin im Pastoralraum Region Brugg-Windisch, erzählt von einem Paradigmenwechsel mit Blick auf die Pastoral für Familien. Im entstehenden Pastoralraum fand sich eine Gruppe zusammen: die Gruppe Familienvielfalt. Deren Anliegen war (und ist) es: Achtsamkeit für die vielfältigen Formen von Familie pflegen und die vielfältigen Familienformen in der Überzeugung bestärken, dass Gott in ihnen bereits am Werk ist.

Gemeinsam mit Christiane Burgert, Projektleitung Katechese für Kleinkinder und ihre Familien an der Fachstelle Katechese-Medien in Aarau, entwickelte Brigitta Minich mit der Gruppe Familienvielfalt einen Koffer für Familien mit Kindern im Alter von 0 bis 1 Jahr, der den Familien in ihren vielfältigen Formen Beheimatung in der Kirche schenken sollte. Dabei, so erläuterte Christiane Burgert gegenüber Horizonte, solle es nicht darum gehen, dass die Familien dann am nächsten Sonntag in der Kirche sitzen, sondern darum, dass sie Unterstützung durch den Partner Kirche erfahren und erleben könnten.

«Jetzt sehe ich den Koffer endlich»

Jetzt, rund ein Jahr später, steht also Nicole Gabler, besagten Koffer in der Hand, vor dem Mehrfamilienhaus und wartet auf das Summen des Türöffners. Einen Stock höher wird sie wenig später von Désirée Huber, 36 Jahre alt, begrüsst. Gut gelaunt bittet Désirée Huber, die nicht nur diplomierte Pflegefachfrau, sondern auch diplomierte Religionspädagogin ist, die Kofferträgerin herein, offeriert Getränke und setzt sich an den grosszügigen Esstisch, der die Stube mit dem Küchenbereich verbindet.

Mit am Tisch sitzt der fünfjährige Nathanael. Sein kleiner Bruder Jonathan liegt in einem praktischen Hochstuhl. Vier Monate ist Jonathan alt. Während der Knirps aufmerksam den Kopf zur Mutter dreht und strahlt, schleckt der Grosse ein Eis. Da sich Désirée Huber und Nicole Gabler aus der Gruppe Familienvielfalt kennen, sind zwar nicht viele erklärende Worte nötig, doch Desirée Huber freut sich sichtlich, dass auch sie Besuch von den Freiwilligen bekommt. «Jetzt sehe ich den Koffer endlich», sagt sie spontan und lacht.

Auch Ablehnung ist in Ordnung

Insgesamt acht Frauen – von der Seelsorgerin über die Katechetin bis zur freiwillig Engagierten – sind im Besuchsdienst für die Neugeborenen und ihre Eltern und Geschwister tätig. Die Besuche laufen nach einem klaren Protokoll ab: Nachdem der Pfarrgemeinde die Geburt eines als katholisch gemeldeten Kindes mitgeteilt wurde, schreibt eine der Freiwilligen den Eltern eine Karte. Darin wird das Besuchsangebot vorgestellt und erläutert sowie ein Terminvorschlag gemacht; sollte der Terminvorschlag nicht passen, ist eine Handynummer in der Karte notiert und die Bitte, sich dort zu melden.

«Wir wollen offenlassen, wie dieses Treffen abläuft: Das kann bei einem Kaffee zuhause, bei einem Spaziergang, im Kirchenzentrum oder auf einem Spielplatz mit anderen Kindern stattfinden», heisst es auf der entsprechenden Internetseite des Pastoralraums Region Brugg-Windisch. So komme es auch vor, dass ein Besuch abgelehnt werde. «Eine Mutter teilte mir mit, dass sie keinen Anspruch auf den Koffer habe, da sie aus der Kirche ausgetreten sei», beschreibt eine Freiwillige ihre Erfahrung.

Es soll ein echtes Geschenk sein

Am Esstisch der Familie Huber will Nathanael den Koffer nicht mehr nur anschauen. Er will wissen, was darin ist. Gemeinsam öffnen er und seine Mutter den Koffer, Jonathan schaut konzentriert zu: Es passiert etwas. Nacheinander tauchen Schätze aus dem Koffer auf: ein Gebetbuch für Kinder, ein Stoffsäckchen – darin ein Hirte und Holzschafe. Eine CD mit Liedern von Andrew Bond, ein sonnengelbes Nuschi und eine knisternde, dünne weiche Wolke, die fast postwendend im Mund von Jonathan landet. Begeistert kaut er darauf herum, knistert und untersucht sein neues Spielzeug.

Im Deckel des Koffers klebt ein Spiegel, daneben eine Inventarliste mit Erklärungen. Auch die verschiedenen Angebote und nützliche Kontaktadressen sind auf einem Flyer im Koffer enthalten. Zudem ein kleines Fläschchen: «Wiiwasser», ruft Nathanael begeistert und stapelt anschliessend die Holzschafe auf die Hutkrempe des Hirten. Es sei ihnen in der Gruppe Familienvielfalt wichtig gewesen, dass hochwertige Kleinigkeiten in den Koffer kommen, sagt Désirée Huber. Nicole Gabler betonte bereits auf der Hinfahrt im Gespräch: «Wir wollen mit einem echten Geschenk zu den Familien gehen. Mit einem Geschenk, hinter dem wir stehen können.» Desirée Huber sagt nun mehr als zufrieden: «Ach, ist das toll. Es sind so schöne Sachen und sie haben gute Qualität. Ich bin begeistert, was aus einer blossen Idee an einem Tisch geworden ist». Den Schoggistängel als Nervennahrung für die Mütter, ebenfalls Teil des Kofferinhalts, bringt sie schnell in Sicherheit.

Kofferpaten zur Finanzierung?

Die Hochwertigkeit hat ihren Preis. Brigitta Minich verrät, dass man genau schauen müsse, wie der Koffer ins Budget passe. Vielleicht könne man Kofferpaten suchen – es sei im Pastoralraum Region Brugg-Windisch üblich, auch ungewohnte Wege in Betracht zu ziehen. Nicole Gabler ergänzt um einen weiteren Punkt: «Die politischen Gemeinden handhaben die Weitergabe der Daten unterschiedlich. Im Fall von Desirée Huber haben wir von der Geburt ihres Sohnes Ende April erst zur Mitte der Sommerferien erfahren. Es vergeht also manchmal recht viel Zeit, bis wir die Begrüssungskarte losschicken können».

Das Konzept des Babykoffers, der einen Anknüpfungspunkt zwischen der katholischen Kirche und den Familien im Pastoralraum bilden soll, scheint nach den ersten Wochen auf jeden Fall zu funktionieren. Freiwillige erzählen von mehrheitlich guten Erfahrungen im Kontakt mit den teils vollkommen unbekannten Menschen. Selbst wenn eine Mutter kurz vor dem Wiedereintritt ins Berufsleben stehe und deshalb wegen eines Besuchstermins erst abwarten wolle, ergäben sich Gespräche per Mail oder SMS. Auch gäben die Familien Anregungen, was in der Kirche vielleicht noch ansprechender gestaltet werden könnte.

Auf zum nächsten Besuch

Das schöne Wetter hat Nathanael mittlerweile nach draussen gelockt. Baby Jonathan knistert nach wie vor begeistert mit seiner Wolke. Désirée Huber und Nicole Gabler unterhalten sich über verschiedene Themen. Ergibt es Sinn, eine ehrenamtlich Engagierte, die Mitglied der Gruppe Familienvielfalt ist und an der Entstehung des Koffers beteiligt war, ebenfalls zu besuchen?

Désirée Huber wird einen Moment still, denkt nach und sagt dann: «Ich habe mich auf den Besuch sehr gefreut, weil man schon ein bisschen vergisst, wie das ist mit einem Baby. Zudem: Die Sachen helfen mir, auch wenn ich eher aktiv in der Kirche bin. Die Lieder auf der CD bieten Anknüpfungspunkte für Gespräche zum Thema Glauben. Sie vermitteln die Inhalte einfach und für den Alltagsgebrauch. Auch die Gebete – vielleicht hab ich nicht so schnell eines parat, dann kann ich nachschauen.» Nicole Gabler freut sich über die Reaktion und verrät auf dem Weg nach draussen, dass sie die nächste Karte mit Besuchsangebot schon abgeschickt hat.

 

Hier finden Sie nähere Informationen zum Koffer und dem Besuchsdienst im Pastoralraum Region Brugg-Windisch.

In der Fachstelle Katechese und Medien in Aarau können Interessierte den Koffer anschauen und sich für ein eigenes Projekt anregen lassen.

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