27.08.2015

Schweizer Unternehmen in der Pflicht

Von Andreas C. Müller

Die kirchlichen Hilfswerke Fastenopfer und Brot für alle sammeln für die Konzernverantwortungs-Initiative. Das Volksbegehren wird auch die Ökumenische Kampagne 2016 prägen. Im Schatten der am Pranger stehenden internationalen Grosskonzerne haben aber auch Schweizer KMU Nachhilfe nötig in Sachen Integrität und Ethik.

Dass international tätige Grosskonzerne nicht unbedingt aus eigenem Antrieb darum besorgt sind, beim Abbau von Rohstoffen zur Umwelt Sorge zu tragen, sichere Arbeitsbedingungen und die Rechte der ortsansässigen Bevölkerung zu garantieren, ist mittlerweile bekannt. Investigativ tätige Journalisten und Mitarbeitende von Nichtregierungsorganisationen haben diesbezüglich in den vergangenen Jahren verschiedene Missstände aufgedeckt. In der Schweiz haben Unternehmen wie der Rohstoffgigant Glencore ihren Hauptsitz. Glencore, den die kirchlichen Hilfswerke Fastenopfer und Brot für alle unlängst mit einer sorgfältig recherchierten Studie an den Pranger stellten, ist nur einer von vielen. Laut CVP-Nationalrätin Lucrezia Meier-Schatz, seit 2006 Präsidentin des Stiftungsforums von Fastenopfer, ging aufgrund dieser Enthüllungen ein Ruck durch die Politik. Die Aussenpolitische Kommission des Nationalrats forderte in einer Motion die gesetzliche Verankerung von Sorgfaltsprüfungspflichten bezüglich Menschenrechten und Umwelt für Unternehmen. Der auf Prävention ausgerichtete Vorschlag fand breite Unterstützung bei Wirtschaft und Politik. Gleichwohl wurde der Vorstoss im März 2015 verworfen. Daraufhin lancierte im April 2015 eine Phalanx aus 66 Nichtregierungsorganisationen, darunter auch das katholische Hilfswerk Fastenopfer, die Konzernverantwortungs-Initiative. Diese will globale Konzerne einem zwingenden Regelwerk unterstellen, wenn es um die Durchsetzung von Menschenrechten geht. Verstösst ein Unternehmen dagegen, soll es künftig haften. Bis zum jetzigen Zeitpunkt haben die Initianten gegen 50 000 Unterschriften zusammen.

Nach Glencore nun Vitol im Fadenkreuz
Die kirchlichen Hilfswerke, das wurde an einer Medienkonferenz am vergangenen Montag, 24. August 2015, deutlich, wollen sich nicht als Trittbrettfahrer im Engagement anderer sonnen, sondern als Vorreiter unter den Initianten Akzente setzen. Eine Studie über die Aktivitäten von Vitol, eines der grössten Schweizer Unternehmen im Bereich Rohstoffabbau, soll der Initiative Schubkraft geben und den Druck auf die Unternehmen verstärken. Nach Aussagen von John Capel, Direktor der Bench Mark Foundation in Johannesburg, einer Partnerorganisation von Brot für alle, sorgt der durch Vitol in Südafrika betriebene Kohle-Abbau für Landschaftsschäden und gesundheitliche Probleme bei den Beschäftigten. «Es braucht eine öffentliche Diskussion darüber, wie Konzerne sich verhalten sollen», erklärte Beat Dietschy, Zentralsekretär von Brot für alle, an besagter Medienkonferenz in Bern. Umso mehr, als die Schweiz mittlerweile zum Dreh- und Angelpunkt der Rohstoffbranche geworden sei. Die zu Beginn dieser Woche veröffentlichte Vitol-Studie soll die Diskussion befeuern und einen ähnlichen Effekt haben wie seinerzeit die Enthüllungen zu Glencore. Weiter haben sich die kirchlichen Hilfswerke Fastenopfer und Brot für alle zum aktiven Unterschriftensammeln verpflichtet.

Ökumenische Kampagne 2016 im Fahrwasser der Initiative
Auch die Ökumenische Kampagne 2016 wird sich am Thema Konzernverantwortung und Sorgfaltspflicht für Unternehmen orientieren, wie Urs Walter, Kommunikationsverantwortlicher beim reformierten Hilfswerk Brot für alle gegenüber Horizonte am Rande der Medienkonferenz vom 24. August in Bern erklärte. Fastenopfer werde aller Voraussicht nach mit einem weiteren Beispiel aus Burkina Faso die Verstrickung von Schweizer Grossunternehmen in fragwürdige Geschäftspraktiken aufzeigen. Ferner will man in den Kirchgemeinden für die Initiative werben. Gut möglich, dass dies zu einer neuerlichen Kontroverse in Kirchenkreisen führt, nachdem bereits die Kritik am Fleischkonsum im Rahmen der Ökumenischen Kampagne 2015 nicht vorbehaltlos goutiert wurde. Umstritten ist in Kirchenkreisen nämlich eindeutig politisches Engagement von kirchlichen Körperschaften und kirchennahen Institutionen.

Schweizer haben keine Staublungen, dafür psychische Probleme
Der aufmerksame Beobachter mag sich vielleicht daran stören, dass bei all dem Engagement gegenüber den Geschäftspraktiken der Grosskonzerne möglicherweise vergessen geht, wie es um die Arbeitsbedingungen in der Schweiz bestellt ist. Viele Angestellte bangen um ihren Arbeitsplatz – insbesondere angesichts der Frankenstärke. Hinzu kommen Berichte über schlecht bezahlte Praktika ohne Perspektiven in Kindertagesstätten und Tankstellenshops. Diese Themen könnten an einer Werbeveranstaltung für die Konzernverantwortungs-Initiative leicht vergessen gehen, hätten nicht die Verantwortlichen von Fastenopfer in einer Randnotiz auf eine Publikation ihres Direktors Patrick Renz verwiesen. Als Co-Autor von «Integrität im Managementalltag» illustriert der Wirtschaftsethiker an konkreten Fallbeispielen die hierzulande grassierenden Probleme und zeigt Lösungen für Unternehmen auf. Wer sich im Bekanntenkreis umhört, stösst nämlich rasch einmal auf schockierende Berichte über Mobbing, Diskriminierung oder fragwürdige Geschäftspraktiken. Die Beispiele zeigen: In der Schweiz holt man sich beim Arbeiten zwar keine Staublunge, doch die Zunahme an psychischen Erkrankungen wie Burn-out oder Depression sollte zu denken geben.

Strampeln im Hamsterrad
Patrick Renz und seine Mitautoren sind nicht die ersten, die im Vorzeigeland Schweiz den Finger in eine unliebsame Wunde legen. Thomas Wallimann-Sasaki, Leiter des Sozialinstituts der Katholischen Arbeiterbewegung KAB und seines Zeichens ebenfalls Wirtschaftsethiker, hat bereits 2013 untersucht, wie es um die Integrität von Schweizer Betrieben bestellt ist. Das Resultat stimmt nachdenklich, zeigt aber auch, was «gute» Unternehmen ausmacht. «Generell klagen viele Arbeitnehmende über Stress und Druck am Arbeitsplatz. Viele sind unzufrieden.» Ursache für diesen Missstand ist nach Ansicht des Leiters des KAB-Sozialinstituts unser Arbeits- und Wirtschaftssystem. «Ein System, das auf Wettbewerb aufbaut und vom Konkurrenzkampf lebt, trägt letztlich den Verdrängungskampf auch auf die individuelle Ebene hinab.» In diesem Sinne werde auch die aktuelle Frankenstärke von vielen Unternehmen dankbar verwendet, um neoliberale Ansätze konsequent umzusetzen, kritisiert Thomas Wallimann Sasaki.

Gute Unternehmen kommunizieren anders
Es geht aber auch anders. Claudia Mennen leitet mit der Propstei Wislikofen ein Bildungs- und Seminarhotel im Aargau mit 25 Angestellten. Dass Hotellerie und Gastronomie harte Branchen sind, ist bekannt. Gleichwohl gelingt der Propstei, die sich als Bildungshaus der Römisch-Katholischen Landeskirche Aargau auch klar an christlichen Werten orientiert, was manch andere Betriebe in diesem Sektor nicht schaffen. Kaum Personalfluktuation sowie ein angenehmes Arbeitsklima. «Uns ist der gegenseitige Respekt im Umgang sehr wichtig», betont Claudia Mennen. Alle Mitarbeitenden unterschreiben eine kleine Ethikkonfession, in der Regeln für den Umgang untereinander festgehalten, aber auch Schritte bei Problemen definiert sind. Zwei unabhängige Ombudspersonen sind in solchen Situationen Ansprechpartner. «Wir haben bestimmt den Vorteil, dass wir ein kleiner Betrieb sind und es bei uns fast schon familiär zu und her geht», führt Claudia Mennen weiter aus. Die Grösse allein hat für ein produktives und konstruktives Arbeitsklima allerdings nur sekundäre Bedeutung, weiss Thomas Wallimann-Sasaki. «Gute Unternehmen kalkulieren genauso hart wie alle anderen Betriebe, kommunizieren jedoch anders», bringt es der Leiter des KAB-Sozialinstituts auf den Punkt. «Gepflegt wird ein Stil, der die Menschen Ernst nimmt, der auch zulässt, dass Ängste angesprochen werden können.»

Kirchennahe Betriebe nicht per se besser
Und die christlichen Werte? Sind kirchennahe Betriebe per se besser? «Viele meinen, es reiche schon, wenn man sich irgendwie für die Kirche einsetze oder für sie arbeite», erklärt Thomas Wallimann-Sasaki. Zudem wüssten viele Leitungspersonen in kirchlichen Institutionen und kirchennahen Betrieben gar nicht, was «christlich» in konkreten Geschäftssituationen heissen könnte. Das Christliche werde zu oft auf «gut gemeint» reduziert. Über die Prinzipien der christlichen Soziallehre seien die wenigsten informiert. Wichtig sei darum nebst einer klaren ethischen Positionierung eines Betriebs, dass sich Führungspersonen bewusst mit ihren Wertvorstellungen auseinandersetzten und diese immer wieder in ihre Entscheide einbezögen. Und solche Werthaltungen müssten nicht zwingend christlich sein, sondern sollten einfach das Wohl des Menschen im Auge haben.

Initiative soll Staat gegenüber Wirtschaft stärken
Lenkt also die Konzernverantwortungs-Initiative allzu vorschnell und unbedarft den Blick ins Ausland? Gibt es nicht vor Ort genug in Sachen Sorgfaltspflicht, Betriebsverantwortung und Arbeitsethik zu tun? Dem widerspricht Wirtschaftsethiker Thomas Wallimann-Sasaki. «Die Konzernverantwortungs-Initiative berücksichtigt, dass die Staaten gegenüber Konzernen mehr und mehr an Macht verlieren und von diesen gegeneinander ausgespielt werden.» Die Initiative sei ein Versuch, den Staaten und damit der Politik ihre Gestaltungshoheit gegenüber der Wirtschaft in Erinnerung zu rufen. «Ganz im Sinne der christlichen Sozialethik: Die Wirtschaft muss für die Menschen da sein, nicht umgekehrt.» Und da man nicht davon ausgehe, dass die UNO das Problem mit der Schaffung eines eigens geschaffenen Gerichtshofes lösen werde, sei man nun in der Schweiz aktiv geworden. «Die Schweiz ist ein Dreh- und Angelpunkt für internationale Konzerne und kann in dieser Frage eine wichtige Vorreiterrolle übernehmen.» Eine derartige Forderung stehe schon zu lange im Raum, meint auch die Aargauer EVP-Politikerin und Ständeratskandidatin Liliane Studer. «Insbesondere, zumal 50 Prozent aller Umweltbelastung, die von inländischem Konsum verursacht wird, im Ausland anfällt. Schwellen- und Entwicklungsländerländer sind zudem den Rahmenbedingungen der Konzerne ausgeliefert. Da haben wir, gerade als Profiteure, eine Verantwortung zu tragen und menschwürdige Standards einzufordern.»

CVP in ihrer Haltung (noch) nicht greifbar
Von Seiten der Gegner der Konzernverantwortungs-Initiative, namentlich FDP, SVP, aber auch Teilen aus der CVP, wird geltend gemacht, dass derartige Einschränkungen dem Werkplatz Schweiz schadeten und letztlich dazu führten, dass Unternehmen vermehrt ihren Firmensitz ins Ausland verlegen könnten. Mit diesen Argumenten wurde auch die bereits erwähnte Motion der Aussenpolitischen Kommission des Nationalrats im März 2015 abgewiesen, nachdem sie zunächst per Stichentscheid mit 91 zu 90 Stimmen angenommen worden war. Die Kehrtwende brachte ein Rückkommensantrag der CVP. Ruth Humbel, Aargauer CVP-Ständeratskandidatin, blieb auf Anfrage, wie sie den zur Konzernverantwortungs-Initiaitve stehe, die Anwort schuldig. Humbels Kantonalpartei liess via deren Geschäftsführerin Susan Diethelm verlauten: «Die CVP äussert sich nicht zu Volksinitiaitven, die noch im Sammelstadium sind.»

Schweiz bleibt als Werkplatz interessant
Thomas Wallimann-Sasaki glaubt überdies nicht, dass bei Annahme der Initiative international tätige Firmen der Schweiz den Rücken kehren könnten. «Die Schweiz wird als Wirtschaftsstandort interessant bleiben. Bei uns kann ein CEO sich ohne Bodyguard frei bewegen, unser Land bietet soziale Sicherheit und eine sehr gute Infrastruktur. Auch die steuerliche Situation ist im Vergleich für Unternehmen sehr zuvorkommend.»

Weitere Informationen: www.konzern-initiative.ch

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