23.05.2017

Schwester und Kamerad des Augenblicks

Von Andreas C. Müller

Wenn am 31. Juli 2017 das einzige Aargauer Bundesasylzentrum in Bremgarten schliesst, nehmen auch Jaime Armas und Effi Spielmann Abschied. Die beiden arbeiten im Auftrag der Aargauer Landeskirchen als Flüchtlingsseelsorger. Im Interview mit Horizonte blicken die beiden auf ihre Arbeit zurück – zusammen mit Marie-Eve Morf, Effi Spielmanns Vorgängerin.

Was darf man sich unter Seelsorge-Arbeit in einem Bundesasylzentrum vorstellen?
Jaime Armas:
Unsere Aufgabe war in erster Linie Beziehungsarbeit, mit dem Ziel, diese entwurzelten und oftmals traumatisierten Menschen etwas zu stabilisieren und ihnen Orientierung und Sicherheit zu geben.  Während sich die Geflüchteten im Bundesasylzentrum befinden, werden ihre Asylgesuche geprüft. In Bremgarten wurden 98 Prozent der Anträge unter Verweis auf das Dublin-Abkommen abgewiesen (Anmerkung der Redaktion: Rückweisung an den Erstaufnahmestaat). Für uns war immer wichtig, die Menschen auf das vorzubereiten, was sie erwartet.
Effi Spielmann: Nämlich mit grosser Wahrscheinlichkeit ein negativer Bescheid.
Jaime Armas: War einmal ein Vertrauensverhältnis da, haben wir mit ihnen die Situation analysiert und geschaut, was die Leute jetzt machen können.

Was heisst das?
Jaime Armas:
Das bedeutet, dass wir den Menschen trotz allem Mut gemacht und versucht haben, mit ihnen nach Ressourcen zu suchen.

Seelsorge dürften sich die meisten Menschen aber anders vorstellen.
Effi Spielmann:
Unsere Aufgabe war es, diese Entscheide mit den Leuten auszuhalten.
Marie-Eve Morf: Für mich hiess das, Schwester und Kamerad des Augenblicks zu sein. Zuhören und auf sich selber hören – was jetzt im Augenblick wichtig sein kann.
Jaime Armas: Wir haben versucht, den Betroffenen neue Perspektiven aufzuzeigen, ihnen erklärt, dass ein «Nein» im Asylverfahren nicht das Ende des Weges bedeutet.
Effi Spielmann: Und wir haben den Menschen Kontakte in den Erstaufnahmestaaten vermittelt…

Was haben Sie bei Ihrer Arbeit als grösste Herausforderung erlebt?
Marie-Eve Morf:
In verschiedenen Zeitabschnitten den vielen Menschen mit der persönlichen Geschichte und der Geschichte ihres Landes «gerecht» zu werden.
Jaime Armas: Die verschiedenen Kulturen der Menschen.

Was meinen Sie damit?
Jaime Armas:
Wir hatten hier Menschen aus dem Balkan, aus Nigeria, Eritrea, aber auch Romas, Kurden und Menschen aus der Ukraine. Jede Volksgruppe für sich ist etwas Besonderes und hat ihre Eigenschaften.
Effi Spielmann: Von Akademikern bis Analphabeten gab es alles, das machte es auch für die Betroffenen unter sich schwierig.

Bestimmt war auch die Verständigung schwierig. Wie funktionierte das?
Marie-Eve Morf:
Wenn kein Gespräch auf Englisch oder Französisch möglich war, suchten wir unter den Landsleuten Menschen, die übersetzen konnten.
Effi Spielmann: Es gibt auch andere Möglichkeiten der Kommunikation: Nonverbal, über Bilder oder mit Übersetzungs-Apps. Wichtiger als die sprachliche Verständigung ist die Begegnung und die Zuwendung.

Hatten Sie einen Übersetzungsdienst zur Verfügung?
Effi Spielmann:
Einen solchen konnten wir in Anspruch nehmen, wenn wir das brauchten – beispielsweise für ein intensiveres Seelsorgegespräch. Ich habe aber gestaunt, wie die Sprachbarrieren umgangen werden konnten, sobald eine Beziehung bestand. Es kam dann gar nicht mehr darauf an, wie gut man die Sprache konnte…

Was haben Sie als besonders bereichernd und ermutigend erlebt?
Marie-Eve Morf:
Die gemeinsamen Weihnachtsfeiern. Der Besuch des Fests der Begegnung in Muri und die Besuche von Jugendlichen, von Firmlingen und Konfirmanden aus beiden Kirchgemeinden mit ihren Vertrauenspersonen.
Effi Spielmann: Schön ist auch, dass man die Leute nicht aus den Augen verliert, wenn sie weiterziehen mussten.
Jaime Armas: Wir haben schon Einladungen zum Essen erhalten…
Marie-Eve Morf: Und Ehemalige kamen auf Besuch hierher.
Effi Spielmann: Überhaupt waren viele ausgesprochen gastfreundlich. Uns wurde versichert, wir seien in deren Heimat und bei ihren Familien jederzeit willkommene Gäste.

Und was war besonders schmerzlich?
Marie-Eve Morf:
Dass wir uns oft nicht von den Leuten verabschieden konnten und meist nicht wussten, wie ihre nächste Zeit sein wird.
Jaime Armas: Schmerzlich war bestimmt auch, den Menschen in den Gesprächen ihre Träume zerstören zu müssen.

Zu Beginn hatte das Bundesasylzentrum in Bremgarten einen schweren Stand. Wie haben Sie das erlebt?
Marie-Eve Morf:
Ja, da gab es viele Vorurteile und Rassismus – auch bei Kirchenleuten
Jaime Armas: Ich finde es sehr traurig, dass gerade Leute, die in die Kirche gehen, gegen Ausländer sind. Das verstehe ich nicht.

Im Laufe der Zeit verbesserte sich die Stimmung. Inwieweit haben Sie dazu beitragen können?
Jaime Armas:
Mit dem Café Fohlenweid (Horizonte berichtete) haben wir bestimmt dazu beitragen können, dass sich die Stimmung unter der einheimischen Bevölkerung gewandelt hat.
Marie-Eve Morf: Durch das Miteinander und die offene Türe am Mittwochnachmittag in der «Fohlenweid» haben wir eine Kultur der Akzeptanz schaffen können, immer wieder neu. Auch nach gewissen negativen Erfahrungen. Kirchliche und politische Gruppen haben uns eingeladen, damit wir von unserer Arbeit erzählen konnten. Viele Leute haben daraufhin positiv reagiert und wollten sich engagieren. Die Kleidersammlungen und das Miteinanderspielen am Mittwoch waren ein Echo darauf.

Haben Sie auch Freiwillige motivieren können?
Marie-Eve Morf:
Wir hatten zunächst Leute aus der evangelischen Kirchgemeinde hier, die sich engagiert haben, später Freiwillige vom Aargauischen Katholischen Frauenbund AKF, aber auch Konfirmanden und Firmlinge. Es war aber nicht immer einfach, diese Menschen bei der Stange zu halten, zumal der Umgang mit den Flüchtlingen für viele eine Herausforderung darstellte.

Wie beurteilen Sie aufgrund Ihrer Erfahrungen die Schweizer Asylpolitik?
Effi Spielmann:
Im Wesentlichen sind wir über unsere Arbeit ja mit dem Dublin-Verfahren konfrontiert. Wir hatten Leute, die gar nicht mehr wussten, wohin sie denn jetzt sollten. Heim konnten sie nicht, genauso wenig schien eine Rückkehr in die Erstaufnahmeländer vorstellbar. Dort konnten sie auch kein Asyl erwarten und mussten erwarten, sich unter schlimmsten Bedingungen irgendwie durchzuschlagen.
Jaime Armas: Meiner Ansicht nach ist «Dublin» eine gute Ausrede für die Schweiz, um sich aus der Verantwortung zu stehlen. Schauen wir uns doch die Erstaufnahmeländer an: Südöstlich von Österreich existieren keine Menschenrechte für Flüchtlinge. In Ungarn werden die Leute eingesperrt. In anderen Ostblockländern werden Frauen sogar von der Polizei vergewaltigt, weil sie keine Rechte haben.
Marie-Eve Morf: Ich wünsche, dass in der Asylpolitik vermehrt auf die Hintergründe und Zusammenhänge der ganzen Flüchtlingsproblematik geschaut wird.

Nun wird das Bundesasylzentrum geschlossen. Wie geht es für euch und eure Arbeit weiter?
Effi Spielmann:
Es wäre schön, wenn wir unsere Arbeit weiterführen könnten. Das geht jedoch nicht, denn Asylseelsorge ist nur für Bundesasylzentren vorgesehen, nicht für kantonale Asylunterkünfte.
Jaime Armas: Dabei gebe es da durchaus etwas zu tun. Ich habe kantonale Asylunterkünfte besucht – auch Leute, die dort noch auf einen Asylentscheid warten. Diese Leute leben abgelegen, können nichts tun, haben keine Kontakte. Und es gibt niemanden, der zu ihnen schaut. Um diese Leute sorge ich mich und es wäre schön, wenn die Kirche für diese Leute etwas tun könnte.

Da wären nun die Landeskirchen gefordert, oder nicht?
Effi Spielmann:
Die Kirchen anerkennen, dass da ein Bedarf ist, sagen aber: «Es sind uns die Hände gebunden.»

Und was kann die Schweiz tun?
Jaime Armas:
Wir müssen etwas tun. Wir sehen ja schon jetzt, dass es Probleme gibt, wenn man sich nicht kümmert. Zum Beispiel wenn einsame oder verzweifelte Asylsuchende ihren Kummer im Alkohol ertränken. Das wird zu einem sozialen Problem.
Marie-Eve Morf: Wir müssen die Flüchtlinge zur Integration motivieren. Ich kenne einen Eritreer, der zwei Jahre auf seinen Asylentscheid gewartet hat, in dieser Zeit aber Deutsch gelernt hat. Nun kann er eine Lehre machen.
Jaime-Armas: Mir ist wichtig, dass wir als Asylseelsorgende eine Stimme sind für diese Leute.

 

 

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