20.01.2022

Serie «Hebräische Grundbegriffe», Teil 1
Segenssprüche für jede Lebenslage

Von Christiane Faschon

  • Der erste Teil der Serie «Hebräische Grundbegriffe» widmet sich dem Begriff «Barach».
  • «Barach» bedeutet «Segen». Im Judentum ist das Leben durchzogen von Segenssprüchen für jegliche Lebenslagen.
  • Es gibt Sprüche für Geburt, Hochzeit und Tod, aber auch für viele Alltagssituationen. In jüngster Zeit sind sogar Segenssprüche für die Impfung gegen Covid-19 dazugekommen.

Im Judentum ist das ganze Leben von Segenssprüchen durchzogen. Juden und Jüdinnen segnen einander bei der Begrüssung und auch wieder beim Abschied. Kinder werden von ihren Eltern gesegnet, es gibt je einen Se gen für Geburt, Hochzeit und vor dem Tod der Eltern. So hatte auch der Stammvater Jakob für jeden seiner zwölf Söhne einen besonderen Segen (1. Mose 49,28). 

Serie «Hebräische Grundbegriffe»

Die Autorin dieses Beitrags, die Theologin Christiane Faschon, war von 2007 bis 2017 Präsidentin der Gemeinschaft Christlicher Kirchen in der Schweiz AGCK. Horizonte veröffentlicht in loser Folge ihre Artikel über theologische Grundbegriffe.

Die Texte des Alten Testaments wurden ursprünglich auf Hebräisch und wenige auch auf Aramäisch verfasst. Das neue Testament wurde auf Griechisch verfasst. Die Hebräische Bibel wird in jüdischer Tradition als «Tanach» bezeichnet und besteht aus den Teilen Tora (Weisung), Nevi’im (Propheten) und Ketuvim (Schriften). Im 3. Jahrhundert v. Chr. entstand eine Übersetzung der hebräischen Texte ins Griechische, die sogenannte «Septuaginta». Die Legende erzählt, dass diese Übersetzung von 70 Gelehrten angefertigt wurde, die unabhängig voneinander zum gleichen Ergebnis kamen. «Septuaginta» ist lateinisch für «siebzig» und die Übersetzung wird oft mit dem römischen Zahlzeichen «LXX» abgekürzt. In den nächsten Wochen erscheinen weitere Beiträge zu den Begriffen «Emuna – Glauben» und «Zedaka – Spende».

Sternschnuppen und Erdbeben

Es gibt den täglichen Segen über Nahrungsmittel, Getränke, nach dem Gang zur Toilette, der Körperpflege, aber auch beim Anblick eines blühenden Baums. Ebenso bei Gewittern, Kometen, Sternschnuppen, Erdbeben, Vulkanen, beim Anblick berühmter Gelehrter oder wenn man ein Geländer gebaut hat. Weiter bei medizinischen Behandlungen und wenn man aus Gefahr gerettet wurde. Dazu eine Vielfalt anderer Segen zu besonderen Gelegenheiten.

Gebräuchlichere Segenssprüche beginnen alle mit «Gesegnet seiest Du, Herr, unser Gott, König des Universums…». Bei der Begegnung mit einem Freund, den man ein Jahr nicht gesehen hat, kann man ergänzen: «…der Du die Toten belebst.» Beim Anblick eines Regenbogens: «…Der sich des Bundes [mit Noach] erinnert, Seinem Bund treu bleibt und Sein Versprechen hält.» Der berühmteste Segen ist der Aaronitische, der auch in den Kirchen oft gebetet wird (Numeri 6,24-26): Der Herr segne dich und behüte dich; der Herr lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig; der Herr hebe sein Angesicht über dich und gebe dir Frieden. 

Dank für die Impfung

Zur Covid-Impfung werden nun ebenfalls Segenssprüche publiziert. Die Rabbinerin Lisa Gelber aus New York hat gemeinsam mit ihrer Tochter ein Dankgebet zu deren Impfung verfasst. «Heiliger des Lebens und der Liebe, hülle mich in eine warme Umarmung, während ich mich auf meinen Covid-19-Impfstoff vorbereite. Ich danke den Ärzten und Wissenschaftlern, die Schöpfer sind wie Du, sowie den weisen Menschen, die den Impfstoff ge nehmigt haben, und allen, die dafür gesorgt haben, dass er Kindern zugänglich ist.» 

Vers mit hebräischen Buchstaben: Pergament mit einer Arbeit des Toraschreibers Kalman Gavriel Delmoor. | Foto: kna-bild

Forscher sind Partner Gottes

Nach dem Schulchan Aruch, einer wichtigen Zusammenfassung religiöser Vorschriften, soll man vor medizinischen Eingriffen beten: «Möge es Dein Wille sein, Ewiger, mein Gott, dass dieser Vorgang mir Heilung bringt, denn Du bist Heiler, ohne etwas zu verlangen» und danach: «Gelobt sei Derjenige, der die Kranken heilt». Rabbiner halten dieses Gebet auch für eine Impfung geeignet.

Es wurden aber auch Gebete eigens für die Covid-Impfung geschrieben. Die Reformrabbinerinnen Barbara Symons und Doris Dyen aus Pittsburgh haben zu diesem Zweck zwei Segenssprüche zusammengestellt. Einer ist eine Variante des Gebets «der Menschen mit Weisheit formt» aus der Morgenliturgie. Es dankt Gott für das Wunder und die Funktionsfähigkeit des Körpers. Dann wird betont, dass Forscherinnen und Mediziner als Partner Gottes bei der Bekämpfung des Virus‘ arbeiten. Der zweite Segensspruch ist das Schehechejanu, «der uns das Leben gegeben hat».

«Wissen, Weisheit und Ausdauer»

Die modern-orthodoxen Rabbiner Eli Yoggev und Rabbanit Bracha Jaffe aus den USA danken in ihrem Gebet dem Herrn der Welt und «Weisheitsgeber» für den Impfstoff und für «das Wissen, die Weisheit und Ausdauer», mit der Medizinerinnen und Wissenschaftler ihn entwickelt haben. In dem Gebet bittet man auch um die Heilung der Kranken und die Rettung durch den Impfstoff ohne Nebenwirkungen. Alle Menschen sollen noch «viele Jahre lang viel Segen, Licht und Gutes geniessen». Zwei Verse aus Psalm 19 und 36 beenden das Gebet. 

Gott nahe sein

In der Hebräischen Bibel steht der Begriff Barach, brk. Wir übersetzen dies mit «segnen», die Übersetzung ist jedoch nicht ganz korrekt. Barach heisst lebensfördernde Heilskraft / heilschaffende Kraft, grüssen, gratu- lieren, loben. Segnen meint aber in Deutsch, dass etwas von oben nach unten gegeben wird, es drückt ein Gefälle aus. Dies im Gegensatz zum hebräischen Wort. Gott «segnet» Abraham, aber Abraham auch Gott (wir übersetzen das Wort mit «loben»). Segen meint Kraft, Frieden, Schutz und Fürsorge. Gemeinsam sind wir mit Gott, wir sind ihm nah. Wir sind uns so nah, wie wenn wir auf seinen Knien sitzen würden. Das Wort steht für eine innige Beziehung. In jeder Lebenssituation – auch bei der Impfung gegen Covid. 


Weitere Beiträge der Serie «Hebräische Grundbegriffe

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