04.11.2022

Verleihung des 26. AKF-Frauenpreises an Milena Wenger
Sie schenkt Kindern wertvolle Zeit

Von Marie-Christine Andres Schürch

  • Milena Wenger, Gründerin und Geschäftsführerin von «KiZ Kinderzeit» schenkt geflüchteten Kindern unbezahlbare Momente.
  • Seit 2015 organisiert sie zusammen mit freiwilligen Helferinnen und Helfern wöchentliche Veranstaltungen für Kinder und Jugendliche aus Aargauer Asylunterkünften.
  • Für ihr unermüdliches Engagement erhält Milena Wenger heute Freitag, 4. November 2022, den Frauenpreis des Aargauischen Katholischen Frauenbunds AKF.

In einem Badener Café, wo kurz nach Mittag kaum ein Stuhl frei ist, sitzt Milena Wenger an einem kleinen Tisch. Sie wirkt mitten im Trubel entspannt, aber dennoch aufmerksam und voller Energie. Das Stimmengewirr und der rege Betrieb scheinen sie nicht zu stören. Erfrischend direkt und ehrlich erzählt die 39-Jährige von sich und ihrer Arbeit.

«Ich fühle mich privilegiert und dankbar, dass ich in der Schweiz geboren bin und über so viele Möglichkeiten verfüge. Diese Privilegien bringen meiner Meinung nach eine Verantwortung mit sich, sich für diejenigen einzusetzen, die es schwerer haben», sagt Wenger. Bei ihrer Arbeit in der Privatwirtschaft habe sich ihr bald einmal die Sinnfrage gestellt: «Ich wollte nicht länger meine Energie in etwas hineinbuttern, das zwar jemandem Geld einbringt, aber sonst keinen Sinn hat.» Lieber wollte sie mit ihren Talenten etwas Sinnvolles bewirken.

Der AKF-Frauenpreis

Der AKF-Frauenpreis ist eine Auszeichnung zur Förderung und Unterstützung von Institutionen oder Einzelpersonen, die sich für das Wohl von Frauen und Kindern in unserem Kanton einsetzen. Die Preissumme in der Höhe von 20‘000 Franken stammt aus dem Verkaufserlös des Lungensanatoriums Sanitas in Davos, welches 1916 vom Aargauischen Katholischen Frauenbund mitbegründet worden war. Der Frauenbund übergibt diesen Preis zum 26. Mal. 

Der Bedarf ist riesig

Im Herbst 2015 erreichte die Zahl der Menschen, die aus Syrien, dem Irak, aber auch aus Afghanistan oder Afrika nach Europa flüchteten, einen vorläufigen Höhepunkt. Wenger wollte sich im Rahmen eines Freiwilligenprojekts für geflüchtete Kinder einsetzen. Doch sie stellte fest, dass es in diesem Bereich nichts gab. «Es war also ein Angebot, das es wirklich brauchte», sagt sie rückblickend. Um sich ein Bild von der Situation zu machen, besuchte die Rombacherin einige Asylunterkünfte in ihrer Umgebung.

Die Besuche bestätigten ihr, dass die Kinder in den kantonalen Unterkünften riesigen Bedarf an sinnvoller Beschäftigung, Bewegungsmöglichkeiten, geistiger Herausforderung und unbeschwerten Erlebnissen hatten.

Zu Fuss unterwegs

So organisierte Wenger im November 2015 einen ersten Anlass, einen Fussballnachmittag. Von da an entwickelte sich ihr Projekt mit dem Namen «KiZ Kinderzeit» rasch weiter. Im Frühling 2016 hatte sie bereits viele freiwillige Helferinnen und Helfer, und im Juni des gleichen Jahres erhielt Wenger für ihr Engagement den Rotkreuzpreis des Schweizerischen Roten Kreuzes im Kanton Aargau. Im Rahmen des NAB-Awards 2018 erhielt Wenger einen Betrag, der half, das Angebot für die Kinder auszubauen.

Heute bietet KiZ Kinderzeit geflüchteten Kindern regelmässige Treffen, Ferienwochen, ein Lernangebot sowie einen wöchentlichen Jugendtreff an. Die Angebote finden alle in der Region Aarau statt und sind möglichst niederschwellig angelegt. So holen freiwillige Helfer die Kinder in den Asylunterkünften ab. Meistens sind sie mit den Kindergruppen zu Fuss unterwegs. «Der Fussweg hat sich als sehr wertvoll erwiesen», sagt Wenger, «denn beim Gehen ergeben sich oft gute Gespräche, die Kinder haben Bewegung und lernen auch gleich, sich im Strassenverkehr zu bewegen.»

Die Beziehung ist der Schlüssel

Gleichzeitig mit dem Angebot baute Wenger auch den Trägerverein auf. Zu Beginn managte sie Buchhaltung, Freiwilligenkoordination, Spenden- und Sponsorensuche im Alleingang und unentgeltlich. Inzwischen umfasst der Verein vier Vorstandsmitglieder und eine Projektleiterin im 30-Prozent-Pensum. Wenger selbst zog sich dieses Jahr mit einem 20-Prozent-Pensum in die Geschäftsleitung zurück, leitet aber nach wie vor den Jugendtreff «kiz teens» im Aarauer Wenk-Areal.

Damit die geflüchteten Familien in den Asylunterkünften von« KiZ Kinderzeit» profitieren können, geht die Projektleitung monatlich dort vorbei und stellt sich und das Angebot vor. So wird eine Beziehung zu den geflüchteten Menschen geknüpft. «Die Beziehung zu den Kindern und zu ihren Eltern ist der Schlüssel», weiss Wenger aus Erfahrung. Sie selbst verfügt über die Gabe, schnell in Beziehung mit verschiedensten Menschen treten zu können.

Stolpersteine im Alltag erkennen

Der Kontakt zu vielen Familien besteht weiter, nachdem sie aus der Asylunterkunft in ihre eigene Wohnung gezogen sind. So kennt Wenger auch die Stolpersteine, die sich geflüchteten Familien im Alltag stellen, etwa bei der Einschulung der Kinder in die Volksschule. «Manche kennen zum Beispiel das Konzept der Hausaufgaben nicht.» Aus dieser Erfahrung entstand das Angebot «Lern KiZ», wo Kinder zwei Stunden pro Woche von einer Primarlehrerin und ehrenamtlichen Helfern und Helferinnen spielerisch auf die Einschulung vorbereitet werden.

«KiZ Kinderzeit» ist eigentlich eine Plattform, um Zeit zu verschenken», sagt Wenger. Sie ist überzeugt davon, dass ein stärkendes Erlebnis, ein fröhlicher Nachmittag oder ein Moment der Aufmerksamkeit ein Kind prägen und ihm über den Augenblick hinaus Hoffnung und Zuversicht vermitteln können.

Der AKF-Preis kommt zum richtigen Zeitpunkt

Mit ihrer Energie schaffte es Wenger in den vergangenen sieben Jahren stets, das nötige Geld für «KiZ Kinderzeit» aufzutreiben und genügend Freiwillige zu finden. Doch auch wenn es ihr leicht fällt, Gesuche zu schreiben und herumzutelefonieren: der ständige Kampf ums Geld ist aufreibend. Deshalb ist der AKF-Frauenpreis, den sie heute Abend in Empfang nehmen darf, eine grosse Freude für sie. «Eine Anerkennung für meine Arbeit. Diesen Preis musste ich nicht per Gesuch beantragen, ich bekomme ihn einfach und unerwartet geschenkt.»

Der Preis kommt genau zur richtigen Zeit. Denn manchmal, so findet Wenger, unterschätzten Menschen in sozialen Tätigkeiten die Kraft des Geldes. Mit einem Teil des AKF-Preisgeldes plant sie eine längere Reise – einerseits, um beim Surfen am Atlantik wieder Kraft zu tanken, aber auch, um anderen Kraft zu schenken. Wenn alles klappt, wird sie nämlich entlang der Balkanroute Richtung Griechenland die Flüchtlingslager besuchen. Dort möchte sie das Wissen ihrer Ausbildung in «somatic experience» an diejenigen Leute weitergeben, die in den Lagern mit traumatisierten Menschen arbeiten.


Die Sanitas-Stiftung und der AKF-Frauenpreis

Die Preisträgerinnen 2020

Hat Ihnen dieser Artikel gefallen? Abonnieren Sie unseren Newsletter. Er erscheint alternierend zur Printausgabe alle zwei Wochen – immer mit den aktuellsten Horizonte-Geschichten und oftmals spannenden Verlosungen.