22.08.2013

Sisyphus mit der Sägesse

Von Horizonte Aargau

Thomas Zehnder schraubt am gelben Röhrchen und träufelt sich dann ein paar Tropfen Parapic auf die Haut. Irgendwo im Unterholz muss ihm ein besonders giftiges Tierchen aufgelauert haben, rot und geschwollen ist die Einstichstelle am Hals. Kurz darauf marschiert er aber wieder durch das Weidland Richtung Aareufer. Die Arbeit muss weiter gehen, denn die Zeit läuft ihm und seinen jungen Mitarbeitern davon.

 

Zusammen mit sechs Zivildienstleistenden befreit Thomas Zehnder die Weiden im Brugger Schachen von so genannten «Neophyten». Kleinere Bestände von Goldruten und Berufkraut werden mit samt den Wurzeln gezupft, grössere Goldrutenbestände erledigt das Team mit seinen Sägessen. Goldruten, Sommerflieder, Berufkraut und Robinien sind hier nicht heimisch und verhalten sich invasiv. Sie wachsen und wuchern ungebremst, so dass sie ohne Gegenwehr bald einmal die Weiden am Aareufer eingenommen haben würden. Gebildet aus griechisch «neos» und «phytos» bezeichnet der Begriff ursprünglich Pflanzen, die erst nach der Entdeckung Amerikas bei uns heimisch wurden. Die invasiven Neophyten breiten sich stark und schnell aus und verdrängen dabei die einheimische Flora und wertvollen Lebensraum für Tiere.

 

Tümpel und Teiche gibt es überall

Mit dem Feiern der «SchöpfungsZeit» regt der ökumenische Verein «oeku Kirche und Umwelt» dazu an, solche wertvollen Lebensräume zu entdecken und zu schützen. Die vom 1. September bis 4. Oktober 2013 dauernde «SchöpfungsZeit» ist mit dem Slogan «Tropfen, Pfützen, Gurgelbäche» auf den Lebensraum Gewässer gerichtet. In ihrem Aufruf zum Feiern der SchöpfungsZeit 2013 weist oeku Kirche und Umwelt darauf hin, dass die Vielfalt des Lebens in den Schweizer Gewässern noch immer hoch ist. Sie erwähnt aber auch, dass die Kanalisierung und die intensive Nutzung von Flüssen, Bächen, Seen und deren Uferzonen die Vielfalt des Lebens haben schrumpfen lassen. Nach Ansicht des Bundesamtes für Umwelt BAFU sollten in der Schweiz rund 10‘800 Kilometer Fliessgewässer renaturiert werden. «In jedem Dorf, in jeder Stadt gibt es Pfützen, Tümpel, Teiche, Bäche, Flüsse und Seen, die entdeckt werden wollen. Indem Kirchgemeinden und Pfarreien sich mit Umwelt- und Fischereiorganisationen sowie Wasserversorgern vernetzen, können sie einen Beitrag leisten für lebendige Wasser, wie sie in der Bibel beschrieben werden.», regt der Verein oeku Kirchgemeinden zu eigenen Projekten an.

 

Hunderprozentig draussen im Einsatz

«Beim Mähen der Goldruten handelt es sich um eine Notmassnahme», bemerkt Thomas Zehnder und seine Helfer nicken. «Eigentlich müssten wir die invasiven Pflanzen mit samt der Wurzel ausreissen, nur diese Methode ist wirklich nachhaltig. Weil aber die Zeit drängt, werden sie gemäht, damit sie nicht zum Versamen kommen.» Seit vielen Jahren interessiert sich Thomas Zehnder für Naturschutz und betreibt ihn in seiner Wohngemeinde Frick auch aktiv. «Ursprünglich komme ich beruflich aus einer ganz anderen Ecke», erzählt er. «Nach der Handelsschule war ich über elf Jahre in verschiedenen Positionen für die Landi tätig, danach über 22 Jahre im Rechnungswesen eines Chemieunternehmens.» In den Landi-Zeiten waren Allrounder-Qualitäten und Improvisationstalent gefragt. «Genau diese Fähigkeiten kann ich heute bei der creaNATIRA, einer Tochtergesellschaft der Pro Natura Aargau, voll ausleben. Ich schätze die Arbeit im Feld und komme dabei in wunderbare Schutzgebiete im ganzen Aargau – auch in solche, die für andere verschlossen bleiben.» Das Rüstzeug um seinen Job gut zu machen hat sich Thomas Zehnder über die Jahre durch Neugierde und verschiedene Kurse und Schulungen geholt. Die Zusammenarbeit mit den Zivildienstleistenden, für die er administrativ verantwortlich ist, hält ihn selber jung: «Ich staune oft, wie motiviert die Jungs sind, auch wenn uns die Übermacht der Neophyten manchmal schier zu erschlagen scheint.» Die creaNATIRA betreut die Schutzgebiete der Pro Natura Aargau, führt aber auch im ganzen Kanton Aufträge von Dritten aus. «Im Sommer reichen 100 Prozent Einsatz im Feld nicht, da müssen wir etwas mehr Gas geben», erzählt Thomas Zehnder. Dass dann nach Feierabend zu Hause noch einiges an Schreibarbeit erledigt werden muss, belastet ihn manchmal etwas, wie er mit einem Augenzwinkern zugibt.

 

Grasende und badende Mitarbeiter

Auf einer anderen Weide etwas aareabwärts liegen sechs weitere Mitarbeiter von Thomas Zehnder gemütlich im Gras und lassen sich die Sonne aufs Fell scheinen. Die Wasserbüffel weiden hier und leisten damit ebenfalls ihren Beitrag an den Unterhalt der Schutzgebiete. «Warum nicht die Pflege der Weiden denen überlassen, die sich damit auskennen», witzelt Thomas Zehnder. Die Wasserbüffel fressen nicht nur das Gras, sondern sorgen mit ihren regelmässigen Bädern in den Wasserstellen auch dafür, dass diese nicht verschilfen und so dem bedrohten Laubfrosch und anderen Tieren Raum bieten. «Biodiversität», sagt Thomas Zehnder und deutet auf die Weiden, «ist heute das Zauberwort». Die Zusammenhänge, die das Gleichgewicht in der Tier- und Pflanzenwelt am Wasser bestimmen, sind nicht immer auf den ersten Blick nachvollziehbar. So erklärt Thomas Zehnder, warum es keinen Sinn hat, die Neophyten am Unterlauf eines Flusses zu bekämpfen, wenn weiter oben die Pflanzen stehen bleiben:«Wenn am Aareufer in Solothurn das drüsige Springkraut wächst und die Samen mit dem Wasser bis zu uns gelangen, bei Hochwasser über die Ufer geschwemmt werden und hier wachsen, bringt unsere Arbeit hier wenig.»

 

Nach dem vorangegangenen Regentag haben sich auf dem Kiesplatz zwischen den Weiden Rinnsale und Pfützen gebildet. «Das sind Pioniergewässer, in denen zum Beispiel die Gelbbauchunke laicht», sagt der ausgebildete Exkursionsleiter. Und kaum hat er fertig gesprochen, lässt sich tatsächlich eine Gelbbauchunke vernehmen. Sie wird nach dem Laichen wieder in ihr Jagdgebiet aufbrechen. Die Larven müssen sich schnell entwickeln, weil die Pfützen, in denen sie geboren werden, oft bald austrocknen. So können sich die Kaulquappen vor Fressfeinden schützen, bevor diese ein Laichgewässer besiedeln», erklärt Thomas Zehnder. Leider siedeln sich auch die invasiven Neophyten gerne in Pioniergebieten an. Mit ihrer Sisyphus-Arbeit trägt die Crew von creaNATIRA dazu bei, dass die Biodiversität – und damit pflanzliches und tierisches Leben – in Fülle erhalten bleibt.

Marie-Christine Andres

 

Anlässe zur Feier der Schöpfungszeit 2013

Zur Feier der SchöpfungsZeit 2013 lädt die Ökumenische Kommission «Bewahrung der Schöpfung» der drei Aargauer Landeskirchen zu zwei Anlässen ein:

 

Familiengottesdienst «Wasser-Erleben»

Sonntag, 29. September 2013, 9.30 Uhr in der reformierten Kirche in Rein. 

Zum sinnlichen Erleben von Wasser in Klang, Wort und Nass sind alle herzlich eingeladen, besonders auch die Kinder. Im Anschluss

an die ökumenische Sonntagsfeier steht ein Apéro bereit.

Mitwirkende:  Pfr. Urs Klingler, reformierte Kirchgemeinde Rein, Pfrn. Bettina Rahn-Meier, Ökumen. Kommission Bewahrung

der Schöpfung der drei Aargauer Landeskirchen, Flora Dietiker, Harfe.

 

Anreise: ÖV: mit Bus 374, Bahnhof Brugg, Abfahrt 8.06 Uhr, Ankunft in Rüfenach, Vorderrein: 8.16 Uhr.

Per Auto: Im Kreisel Lauffohr Richtung Rüfenach, Vorderrein.

 

Exkursion in Kleindöttingen, Weerd-Auen

Samstag, 21. September 2013

 

Treffpunkt: Bahnhof Döttingen, 13.45 Uhr. Rückkehr beim Bahnhof Döttingen: ca. 17.10 Uhr. 

Führung durch Paul Abt, grosser Kenner und Fotograf der Tier und Pflanzenwelt am Aare Lauf und Klingnauer Stausee. Auf der Aare-Brücke erhalten wir Informationen über die Geschichte und die ökologischen Folgen des Stausees. Wir bestaunen aareaufwärts in den geschützten Auen und Pfützen im  Weerd die vielfältige Pflanzen- und Tierwelt. Zum abschliessenden Zvieri in Eien sind alle herzlich eingeladen. Auch für Kinder ein Erlebnis. Der Anlass findet ohne Anmeldung und bei jeder Witterung statt.

 

Auskunft: Pfr. Urs Klingler, Ref. Pfarramt Villigen, Tel. 056 284 24 25, Pfrn. Bettina Rahn-Meier, Buchs, Tel. 062 825 01 44

 

 

Verein oeku Kirche und Umwelt

Rund 600 Kirchgemeinden, kirchliche Organisationen und Einzelpersonen sind Mitglieder des Vereins «oeku Kirche und Umwelt», der 1986 gegründet wurde. Heute ist die oeku von der Schweizer Bischofskonferenz (SBK) und dem Schweizerischen Evangelischen Kirchenbund (SEK) als Beratungsorgan für ökologische Fragen anerkannt. Der ökumenische Verein wird von einem ehrenamtlichen Vorstand geführt und verfügt über eine Arbeitsstelle in Bern. Mit dem Lebensraum Gewässer führt die oeku die Themenreihe zu den Lebensräumen weiter, die sie 2011 mit dem Wald begonnen und 2012 mit dem Kulturland fortgesetzt hat. Weitere vorgesehene Lebensräume sind das Siedlungsgebiet (2014) und die Berge (2015). Die Schweizer Kirchen empfehlen, dass der Zeitraum zwischen dem 1. September und 4. Oktober dem Gebet für den Schutz der Schöpfung und der Förderung eines nachhaltigen Lebensstils gewidmet wird.

 

 

 

 

 

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