04.02.2023

Tatjana Disteli berichtet von ihren Eindrücken und Erlebnissen an der kontinentalen Synode
Das Tagebuch aus Prag

Von Tatjana Disteli

  • Welche Fragen beschäftigten die Delegierten aus ganz Europa an der Kontinentalsynode?
  • Wie liefen die Sitzungen ab, und wie gelang das gegenseitige Zuhören?
  • Tatjana Disteli, die Generalsekretärin der Römisch-Katholischen Kirche im Aargau, war als Delegierte in Prag und hielt jeden Tag etwas fest, was ihr persönlich aufgefallen ist, was ihr besonders Eindruck gemacht, sie gefreut oder gewundert hat.

Sonntag, 12. Februar 2023

Die Synodale Versammlung in Prag ist zu Ende

«Auch wenn Überraschungen ausblieben: Die meisten dürften Prag verändert verlassen», schreibt Ludwig Ring-Eifel in seiner Zusammenfassung der Synodalen Versammlung in Prag auf kath.ch. Hier sein Text, der den vorläufigen Abschluss des Tagebuchs aus Prag bildet.

Einheit in Verschiedenheit: Wie die Bischöfe in Prag mit den Spannungen umgehen

Unter den knapp 200 Anwesenden waren rund 50 Bischöfe, zudem Priester und Ordensleute, aber auch zahlreiche Laiinnen und Laien. Diese Männer und Frauen kamen aus Bewegungen und Organisationen, die in ihrer Vielfalt einen Teil der unterschiedlichen Strömungen des Katholizismus in Europa abbildeten.

Die Gemeinschaft Sant’Egidio war ebenso dabei wie der deutsche Katholikendachverband ZdK mit seiner Präsidentin Irme Stetter-Karp, das Opus Dei ebenso wie Lebensschützer-Vereine, eine Handvoll Professorinnen und Professoren, die verschiedenen Ausprägungen der «katholischen Aktion» aus südlichen Ländern und viele mehr.

Progressive sind in der Minderheit

Eine herausgehobene Rolle hatte der tschechische Religionsphilosoph Tomas Halik. Er setzte mit einem nachdenklichen Eröffnungsreferat Impulse, die im Laufe der Beratungen immer wieder aufgegriffen und zum Ausgangspunkt weitergehender Überlegungen gemacht wurden. Er ordnete die gegenwärtige Kirchenkrise in den ideengeschichtlichen Rahmen einer Glaubenskrise ein und weitete damit den Horizont der Debatte.

Dennoch wurden häufig auch einfache Krisendiagnosen und Antworten vorgetragen: «Progressive» (in Prag klar in der Minderheit) traten für Änderungen der kirchlichen Lehre und Moral ein, um niemanden aus der Kirche auszuschliessen oder hinauszudrängen.

Erst tagen alle, dann nur noch die Bischöfe

«Konservative» warben für ein Festhalten an Dogmen und Verboten als einzig sinnvoller Reaktion der Kirche auf die Beliebigkeit der postmodernen Welt. Konsens gab es darüber, dass die Kirche – wie vom Papst gefordert – neue Wege der Beratung und einer Beteiligung des «Volkes Gottes» an Entscheidungen finden müsse. Dafür war das Treffen in Prag eine erste Einübung.

Die 39 Bischofskonferenzen in Europa, die in einem «Rat» unter der Abkürzung CCEE mit Sitz in St. Gallen zusammengeschlossen sind, entsandten jeweils ihren Vorsitzenden sowie drei weitere Vertreterinnen und Vertreter. Die 39 Vorsitzenden tagten am Ende zwei Tage lang unter sich, um das zu reflektieren, was in den ersten vier Tagen von Bischöfen, Priestern und Laien gesagt worden war.

Das Fürstentum Liechtenstein war nicht vertreten: Erzbischof Wolfgang Haas lehnt den synodalen Prozess ab. Das Erzbistum Vaduz ist auch nicht Mitglied des CCEE.

Die Sprachen: Italienisch, Englisch, Deutsch

Während im ersten Teil die Plenarsitzungen im Livestream übertragen wurden, war der Abschluss nicht öffentlich. Zuvor hatten auch die Stuhlkreis-Sitzungen der Kleingruppen ohne Medienöffentlichkeitstattgefunden. Ausserdem konnten sich Delegierte online beteiligen – allerdings gelang es kaum, die Versammlung in Prag und die online diskutierenden Teilnehmenden zusammenzubringen.

Schnell zeigte sich, dass die Gruppendynamik der Präsenzversammlung für Online-Teilnehmende uneinholbar war. Das galt für die Gespräche in den Kaffeepausen ebenso wie für die Erfahrung gemeinsamer Gottesdienste und Gebete, von denen viele in Latein gehalten wurden. In den Debatten waren Italienisch und Englisch die am meisten gesprochenen Sprachen – gefolgt von Deutsch.

Intransparenter Redaktionsprozess

Intransparent war der Redaktionsprozess, der nach den Beratungen der ersten vier Tage zu einem gemeinsamen Dokument führen sollte. Ein Team von Expertinnen und Experten versuchte, die Kernpunkte der im Plenum vorgetragenen Ideen in einem Text zu bündeln.

Dieser wurde am Donnerstagmorgen verlesen, dann konnten mündlich und schriftlich Änderungswünsche eingebracht werden. Am Ende der geschlossenen Bischofsberatungen wurde ein kurzer zweiter Text verabschiedet, der als «Botschaft an das Volk Gottes» veröffentlicht werden sollte.

Kein eigener Text zum Thema Missbrauch

Anders als zunächst angekündigt gab es keinen eigenen Text zum Thema Missbrauch. Es war der Belgrader Erzbischof Laszlo Nemet, der eingeräumt hatte, dass es sexuellen Missbrauch Minderjähriger durch Kleriker auch in Osteuropa gab. Doch wegen der Unterdrückung der Kirche im Kommunismus fehlt bis heute ein klares Bild darüber – unter anderem, weil die Geheimpolizei ihre Finger im Spiel hatte und viele Akten später vernichtet wurden. Nicht nur an diesem Punkt wurde in Prag deutlich, dass das Erbe der Diktaturen in Osteuropa bis heute nachwirkt.

In Pressestatements zeigten sich am Ende Bischöfe aus allen Teilen Europas zufrieden mit dem in Prag erlebten Prozess des gegenseitigen Zuhörens – auch wenn die unterschiedlichen Ansätze zur Überwindung der Kirchen- und der Glaubenskrise in Europa nicht in eine gemeinsame Handlungsstrategie mündeten.

«Einheit in Verschiedenheit»

Bei der Versammlung der Weltsynode in Rom im Oktober dürften daher die Bischöfe aus Europa wie gehabt mit sehr unterschiedlichen Akzenten auftreten. Neu ist, dass viele von ihnen nach der Erfahrung von Prag eine «Einheit in Verschiedenheit» eher für möglich halten.

Donnerstag, 9. Februar 2023

Zwischenstand

Kurz vor Tagungsbeginn bat eine junge Französin von KTO um einen Videotermin.

Dann erklang die Glocke: Beginn des Tages.

Der erste Entwurf des Schlussdokuments der Europäischen Synode ist die Bestandsaufnahme aller 39 Länderbeiträge vor Ort und online. Die Fülle der Texte und Aussagen in verschiedensten Sprachen ist enorm. Damit wartete mit der Aufgabe einer vernünftigen Zusammenstellung in ein einziges Dokument eine  Herkulesaufgabe auf das kompetente und redlich arbeitende Redaktionskomitee. Die Expert:innen arbeiteten durch bis morgens um 5 Uhr – und um 7 Uhr standen sie bereits wieder auf. 

Das Komitee zeigt sich verletzlich: In dieser kurzen Zeit hätte die Arbeit noch nicht adäquat beendet werden können. Und der Text sei auch erst in Englisch verfasst worden und nicht ideal übersetzt. Man bitte darum, die Herzen zu öffnen und über diese Mängel hinweg zu sehen, damit der synodale Geist erfahrbar werde.

Ein englischer Priester wurde aufs Podium gebeten, er begann ab 9 Uhr durchgehend bis 11 Uhr, dem Plenum das zur Diskussion stehende Abschlussdokument vorzutragen. Lesen Sie es – es lohnt sich. Und legen Sie dabei nicht jedes Wort wertend auf die Goldwaage, sondern erspüren Sie den synodalen Geist zwischen den Zeilen. Fühlen Sie ihn?

Ich war absolut positiv überrascht. 

Ebenfalls wurde um Zustimmung gebeten, alle Länderbeiträge veröffentlichen zu dürfen.

In der anschliessenden Diskussion meldeten sich einige Bischöfe von östlichen Ländern zu Wort. Ein jüngerer Weihbischof merkte an, dass wohl der Hl. Geist uns alle hierhergeführt hätte, aber die Inhalte der Aussagen seinen nicht immer des Hl. Geistes. Der Teufel schlafe nicht. Man müsse die Sünde beim Namen nennen. Und er bitte darum, dass LGBTQ-Themen sich auf ein Kapitel beschränken.

Ich erinnerte mich zurück an ein gestriges Online-Votum aus einer der englischsprachigen Gruppe: «Wie können wir denen die Sakramente als Zeichen der Liebe Gottes verweigern, die sie am meisten wünschen oder benötigen?»

Auch das Thema der Rolle der Frau wurde von diesen Herren abgelehnt. Präsenz der Frau hingegen sei sehr wichtig. Die Jungfrau Maria hat Christus geboren.

Nachdem die Kluft der verschiedenen Glaubensverständnisse in diesen Tagen zu schrumpfen schien, kamen – angesichts dieses Textes – die Ängste einer Demontage der kirchlichen Lehre wieder zum Vorschein. Einige kluge Menschen ergriffen das Wort, darunter eine deutsche Professorin und ein Neutestamentler. Aus Zeitgründen das letzte Statement abgeben durfte unser Bischof Felix Gmür: Zur Bitte um Konkretion der Spannungen und zu den nächsten Schritte unter Mitwirkung der Jugend und der Frauen für die Versammlung im Oktober in Rom. Da wird das definitive Schlussdokument des Kontinents Europa entstehen.

In den nächsten Tagen werden sich die Bischöfe untereinander über die Erfahrungen dieser besonderen Tage austauschen. Ich bin sehr gespannt, wie es weitergeht.

Nach dem offiziellen Dank für die Präsenz, Arbeit und Mitwirkung in alle Richtungen, hatten viele Delegationen den Wunsch, abschliessende Bilder zu erstellen: Wir begaben uns, wie vereinbart, umgehend zu unseren Luxemburger Freunden, gemeinsam mit Bischof Felix und Kardinal Hollerich. Er sagte langsam und eindringlich zu uns: «Die Schweiz und Luxembourg haben den selben Traum von Kirche!» Und er versicherte, dass er diese Anliegen mit ganzem Herzen und aller Kraft weitertragen werde.

Die Schweizer und die Luxemburger Delegation mit Kardinal Jean-Claude Hollerich. | Foto: zvg
Tatjana Disteli mit Sr. Daniela aus Kiew und Kristina aus Leviv. | Foto: zvg

Ich verabschiedete mich von Schwester Daniela aus Kiew, die sich um Geflüchtete aus dem Osten des Landes kümmert. Ein Herz von einer Frau. Wenn ihr nur nichts geschieht.

Danach war es mir ein Anliegen, mich noch kurz mit Bischof Bänzing und Beate Gilles zum weiteren Verlauf zu unterhalten. Auch wir tauschen die Koordinaten aus. Man möchte immerhin locker vernetzt bleiben, um sich gegenseitig Interessantes oder wichtige Dokumente zusenden zu können.

Beim Dessert kam die junge Polin Maria zu mir, die gleich hinter der Grenze zur Ukraine lebt. Sie sagte in gebrochenem Deutsch: «Es tut mir so leid, dass wir uns nicht richtig verstehen, Ihr im Westen und wir im Osten.» «Ja, mir auch – aber, das wird mit der Zeit immer einfacher werden.» Herzliche Umarmung. Austausch der Telefonnummern und ein «Bless you!».

Die Schweizer Onlinedelegation in Wislikofen, zusammen mit den Schweizer Delegierten in Prag, Helena Jeppesen, Tatjana Disteli und Bischof Felix Gmür (auf dem Bildschirm). | Foto: zvg

Die Online-Delegation in Wislikofen hat gemeinsam eine Stellungnahme zur Kontinentalsynode geschrieben. Sie wiederspiegelt das Gehörte, die bisherigen Diskussionen und die Forderungen, die noch im Raum stehen:

Die Grundlage der Kontinentalsynode in Prag ist das obige Dokument «Mach den Raum deines Zeltes weit». Das Schweizer Statement an der Kontinentalsynode in Prag beruht auf diesem Grundlagendokument und auf dem Synodenbericht der Schweizer Pastoralkonferenz: Hier geht es zum Synodenbericht der Schweizer Pastoralkonferenz.

Hier geht es zu den Schlussbemerkungen der Kontinentalsynode in Prag.

Mittwoch, 8. Februar 2023

Begegnung, von früh bis spät

Das ökumenische Morgengebet nahm das Anliegen auf, über unsere eigene Kirche hinaus in das weltweite Christentum einzutauchen, missionarisch und diakonisch miteinander unterwegs zu sein. Diese Erweiterung auf die anderen christlichen Konfessionen hin ist gut und wichtig, hat sich die Versammlung hier in Prag doch vorwiegend über die interne Situationsanalyse unterhalten.

Die dritte Working Session stand im Zeichen der Priorisierung der Themen und der weiteren konkreten Schritte. Wir rangen miteinander und brachten relevante neue Gedanken ein. Die synodale Spiritualität und die damit verbundene qualitativ hochstehende Begegnungskultur übten wir hier bereits mit Freude ein. Ebenso haben wir die Betonung auf eine Pastoral der Beziehung gelegt. Die Theologie der Synodalität hingegen muss nun fundiert erarbeitet werden. Und der väterliche sardische Bischof betonte die zentrale Wichtigkeit der Definition für die «Unterscheidung der Geister» , sprich, wir müssten im Hinblick auf die Synode in Rom (Oktober 2023) Kriterien definiert werden, wie wir zur Entscheidungsfindung gelangen. Wir sprachen mithilfe der Dolmetscher:innen in fünf Sprachen miteinander, stammend aus fünf kulturellen Hintergründen. 

Die eigenen Prioritäten blieben im Zentrum stehen. Aber eine markante Erweiterung des persönlichen Erfahrungshintergrundes ereignet sich ganz automatisch: Andere Länder, andere Freuden und Sorgen. 

Über Mittag holten wir die Feedbacks unserer Länder-Online-Delegierten ab zum Prozess im Allgemeinen und zum Entstehungsprozess unseres Statements im Besonderen. Zu Recht stellten sie uns die Frage, ob wir nicht in Betracht gezogen hätten, den Text im Vorfeld mit ihnen zu reflektieren. Wir feilten zweimal bis spät in die Nacht hinein am Text, aktualisierten ihn aufgrund neuer Erkenntnisse – und agierten dadurch nicht wirklich synodal. Die Zeit dazu fehlte. Wir lernen dazu.

Am Nachmittag konnten wir mit den externen Online-Delegierten in Verbindung treten und viele interessante Berichte hören. Die meisten waren geprägt vom synodalen Geist der Öffnung hin zu den Menschen – mit den entsprechenden Wünschen und Forderungen an die Pastoral bis hin zur Aktualisierung des canonischen Rechts.

Schliesslich wurde im Prager Dom die Messe gefeiert. Mit Live-Übertragung im tschechischen Fernsehen. 

Die Messe am Mittwoch, 8. Februar, fand im Veitsdom, der Prager Kathedrale, statt. | Foto: zvg
Arbeitsinstrumente an der Kontinentalversammlung in Prag. | Foto: zvg

Kardinal Mario Grech predigte, einer der starken Treiber und Förderer des Synodalen Prozesses. Ein Mann, gesegnet mit der Gabe der herzlichen unmittelbaren Fähigkeit zur Begegnung. Ein integerer, authentischer Mann. Vielleicht der nächste Papst. 

Beim Abschied sagte er, wenn ich in Rom sei, soll ich in seinem Büro vorbeikommen, er würde sich an mich erinnern. Ich freue mich darauf. Der Sacco di Roma steht schon bald vor der Tür. 

Abendessen.

Danach hochspannende Hintergrundgespräche mit Journalisten aus Rom, Organisatorinnen, Pressesprechern von Bischofskonferenzen, Kardinälen und Bischöfen – rund um die Hotelbar. Ja. Begegnung.

Es wird spät. Sehr spät. 🙂

Gute Nacht, Schweiz.

Dienstag, 7. Februar 2023

Statement der Schweizer Delegation

Dieser Tag hat mich tief bewegt.

So viele Voten, so viele Berichte, Zwischengespräche, polarisierende Workinggroup-Themen, der Austausch im Online-Meeting mit unseren Delegierten in der Schweiz, im aargauischen Wislikofen:

Alle sind wir suchende und ringende Menschen auf ihrem Glaubensweg.

Im Respekt vor diesen tiefen und ehrlichen Berichten will ich heute keine unnötigen Worte mehr verlieren. Lassen Sie sie persönlich auf sich wirken – mindestens aber die Berichte aus Irland, Luxembourg, Polen, Portugal, Ukraine, Slowakei und der Schweiz. Und das Friedensgebet ganz zum Schluss.

Amen, so sei es.

Montag, 6. Februar 2023

From Head to Heart

Kaum aufgewacht höre ich die News – sofort kommt mir der fröhliche Türkei-Delegierte in den Sinn, mit dem ich mich gestern länger unterhielt. Das schwere Erdbeben zerstörte seine Heimatkirche, und zwei Bekannte liegen im Nebengebäude noch unter Trümmern.

Vor dem Gottesdienst suche und finde ich ihn. Er ist bleich, und das herzliche Lachen ist aus seinem Gesicht verschwunden. Er bedauert, nicht helfen zu können und zeigt mir das Bild der zerstörten Kirche seiner Pfarrei. Es sei momentan auch noch sehr kalt, fügt er hinzu…

Ja, dann beginnt der Gottesdienst.

«Gott ist grösser, als unser menschliches Herz», diesen Satz von Kardinal Hollerich nehme ich mit, vor allem wegen des Kontextes: moralisches Fehlverhalten.

Die Kirche müsse jeden Menschen bedingungslos willkommen heissen und es ihm ermöglichen, die Christusbeziehung zu erfahren – auch dann, wenn «wir», die Kirche, das Gefühl hätten, jemand lebt ein unmoralisches Leben: «Gott ist grösser, als unser menschliches Herz» – «Ubi Caritas et Amor, Deus ibi est»… .

Beim Ausgang wird uns die Working Session-Liste mit den zugehörigen Namen abgegeben. Wir drei wurden in die deutschsprachige, in die italienischsprachige und in die Multilingual-Gruppe eingeteilt.

Die Gesprächsführung meiner Gruppe übernimmt ein deutscher Jesuit, der in Moskau tätig ist.

Dann sind dabei vier Personen aus der Ukraine (davon die Kommunikationsverantwortliche und zwei Ordensschwestern), ein Erzbischof der orthodoxen Kirche als Gast und Beobachter, ein italienischer Kardinal, der Vorsitzende der Nordischen Länder und ein irischer Priester, eine junge französische Mutter, ein Katechet Mitte Dreissig aus Malta und die Generalsekretärin der Deutschen Bischofskonferenz. Ein Stuhl bleibt frei für die Stimmlosen, die nicht anwesend sind.

Ein Stuhl blieb symbolisch leer, für die, die keine Stimme haben. | Foto: zvg

Eine interessante Mischung, bunter könnte sie nicht sein:

In diesen Begegnungen im Stuhlkreis wurden unter uns existenzielle Geschichten geteilt von Krieg und der Sehnsucht nach Frieden. Von den Erfahrungen mit der Aufarbeitung der Missbrauchsfälle in Irland, von der Historie zu den Synoden in der Alten Kirche, über die Anfragen zur Frauenordination, über die Sicht der gegenwärtigen Kirche in Kinderaugen bis hin zur Frage nach der Rechtgläubigkeit, nach dem Guten und dem Bösen, Wahrheit oder Barmherzigkeit.

Alles kam auf den Tisch, auch Spannungen und Tabuthemen – sie wurden als Sorge vorgetragen und angehört. Es war bewegend. Und es wurde rasch klar, dass wir erst am Beginn dieses Prozesses stehen, in die Schuhe des je anderen zu schlüpfen. Den ersten Schritt sind wir bereits barfuss gegangen.

Zurück im Plenum hörten wir uns einige Länderberichte zum DKE an, stets 2×3 Minuten lang. Aus meiner Sicht bemerkenswert waren die Voten aus Deutschland, Belgien, Griechenland und Frankreich.

Eindrücklich wurde klar, dass die Länder Europas eins ums andere einen teils völlig anderen historischen und kulturellen Hintergrund mitbringen, was die Kirche vor Ort natürlich nachhaltig prägte. Die Problemfelder sind dementsprechend verschieden. Und doch existieren auch Spannungsfelder, die immer wieder auftauchen, beispielsweise die mangelhafte Partizipation der Frau in der Kirche oder die mehrheitlich fehlende Jugend.

Einige Statements waren – für unsere Ohren – relativ nichtssagend. Plötzlich stand Bischof Bätzing auf, der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz. Es seien so viele Missbrauchsopfer zu beklagen: «Wo sind sie, wer erhebt die Stimme für sie?» Stille.

Später bedanken wir uns bei ihm für dieses mutige Statement. Er antwortete bescheiden: «Ich musste das auch erst lernen.»

Das abendliche Taizégebet mit den beiden anwesenden Brüdern war aufbauend und ein guter Abschluss des Tages.

Geblieben sind mir viele eindrückliche Worte. Eines vergesse ich nicht:

«From Head to Heart», empfahl eine Delegierte: in den schwierigsten Situationen so vorzugehen.

Sonntag, 5. Februar 2023

Bis spät in die Nacht redigierte die Schweizer Delegation (Im Bild Tatjana Disteli und Bischof Felix) ihr Statement für die kontinentale Synode. | Foto: zvg
Tatjana Disteli bei der Arbeit am Schweizer Statement für die kontinentale Synode in Prag. | Foto: zvg

Offizieller Beginn der Kontinentalsynode

Tagsüber führten wir viele interessante Gespräche mit Menschen aus aller Herren Ländern. Etliche Delegationen und einige Professor:innen haben wir kennengelernt: Darunter ist Belgien hochinteressant, der zuständige Kardinal, Jozef de Kesel, schrieb das Buch «Glaube und Religion in einer modernen Gesellschaft». Mit Luxemburg haben wir uns sofort gut verstanden und einen kollegialen Umgang gepflegt – und auch viel gelacht.

Schliesslich verbrachten wir den Nachmittag damit, einige Stunden lang am Schweizer Statement zu feilen.

Gegen 18.30 Uhr spazierten wir ins nahegelegene Kloster zur Feier des Auftaktgottesdienstes. Die Kirche war brechend voll. Viele, viele Bischöfe, Erzbischöfe und Kardinäle zogen ein. Und zwei Ministranten. Nein, kein Mädchen und keine Frau.

Fotografen knipsten und TV-Sender filmten, während die Eucharistiefeier zelebriert und die Messe in Latein gesungen und gebetet wurde. Gesang und Musik wahren erhebend.

Nach eindreiviertel Stunden in der barocken Kirche war uns so eiskalt, dass wir tatsächlich zitterten. Die Predigt des Prager Erzbischofs vermochte uns, ehrlich gesagt, nicht besonders zu erwärmen… Doch das Evangelium umso mehr, es erzählte nämlich das Gleichnis vom Salz der Erde.

Nach dem Aufwärmen begaben wir uns zum Buffet: Abendessen in diverser Konstellation. Und um 22 Uhr setzten wir uns hin zur Endredaktion mit unserem Bischof Felix. Bis morgens um 01 Uhr haben wir diskutiert, einander unsere Gedanken erklärt und die passenden Worte dafür gesucht.

Feierabend und gute Nacht, Schweiz!

Samstag, 4. Februar 2023

Prag am Abend vor dem offiziellen Start der Kontinentalsynode. | Foto: Tatjana Disteli
Vor Beginn der Synode trafen einige Delegiert in Prag Vertreter des Europäischen Forums christlicher LGBT-Gruppen. | Foto: Tatjana Disteli

Am Nachmittag und Abend vor Beginn der Synode

«Alles wirkliche Leben ist Begegnung.» M. Buber

Heute Nachmittag wurden wir von Susanne Andrea Birke im Namen der römisch-katholische Arbeitsgruppe des Europäischen Forums christlicher LGBT-Gruppen zu Begegnung und Gespräch ins alte Karmelitinnenkloster eingeladen.

Wir irrten etwas umher und trafen zu spät ein. Jemand aber war schon da: Ein einziger Bischof hatte die Einladung angenommen – deklariert als «Privatperson». Es entwickelte sich ein ehrliches, tiefes und gegenseitig wertschätzendes Gespräch:

«Wir sind keine ‚Genderideologie‘, wir sind Menschen.

Wir sind glaubende Menschen in dieser Kirche, die wir lieben. In der uns Würdenträger immer wieder entwürdigen, ausschliessen und wegschicken. Weg vom Tisch des Herrn.

In Tschechien, in der Slowakei, allen vorab in Polen, aber auch in Ungarn, Kroatien und in anderen osteuropäischen Ländern bewege sich einfach nichts zum Besseren. Ulla aus Polen erzählt Erfahrungsberichte zum Umgang mit queeren Menschen: «Du kommst besser nicht mehr in die Kirche!» – Es stehen uns die Haare zu Berge. Ist denn so etwas im Namen Gottes überhaupt möglich!

«Gott ist grösser», sagt Miro leise.

Der Bischof zeigt grosses Verständnis, schüttelt immer wieder betroffen den Kopf.

Die Würdenträger müssten sich einsetzen gegen Kriminalisierung und gegen die weitverbreiteten Kurse zur «Heilung» von Homosexualität, die Menschen vollends traumatisiere.

Miki, nonbinär, aus Deutschland, erwähnt, dass etwa 50 Prozent der Geweihten «zu ihnen gehörten» – und Miki sich eine ehrliche, der Wahrheit verpflichtete Kirche wünsche.

Priester James aus England, der bezüglich seiner Homosexualität «ehrlich» gewesen sei und nicht mehr dienen dürfe, sagt, wer dies alles persönlich miterlebt hat und erleiden müsse und immer noch hier sei, der habe echtes Potenzial, seinen tiefen Glauben weiterzugeben. Dessen Spiritualität habe die Kraft zur echten Neuevangelisierung.

Der deutsche Theologe Michael, zuständig in München für die Regenbogenpastoral, freut sich über die Fortschritte der letzten 20 Jahre. Die anderen können nur staunen. Warum ihre Gruppierung nicht als Gäste an der Kontinentalen Synodalen Versammlung anwesend sei? Sie hätten keine Einladung erhalten.

«Wir wünschen uns Akzeptanz. Offene Arme. Gott hat uns so geschaffen, wie wir sind. Wir möchten auch nicht einfach geduldet sein – wir sind Geschenk für die Kirche, mit all unseren Charismen und Talenten», sagt Chris aus Malta.

Diese Persönlichkeiten hören einander aktiv zu. Immer wieder betonen sie, nicht «laut protestieren» zu wollen, das würde nur noch mehr Abwehrkräfte mobilisieren. Ihre Intention sei, als Menschen präsent zu sein: «Wir wollen anderen in die Augen schauen – und begegnen. Vielleicht möchte von den Delegierten jemand mit uns sprechen.»

Es ist ein riesiger Tisch, rundherum sitzen knapp 20 Christi:innen mit erprobter, tiefer Spiritualität, die geblieben sind und aus der Kraft des Evangeliums leben. Sie werden nicht poltern. Sie versuchen, «den Bischöfen die Angst zu nehmen.» Da ist kein Hass, nur Schmerz. Kein Wille zur Provokation. Nur das Samenkorn der Hoffnung.

Ich fühle mich wohl in dieser Gemeinschaft. Mehr noch: Ich mag diese Menschen. Sie haben uns beide, Helena Jeppesen und mich, tief beeindruckt. Wir werden Miro, Miki, Ulla, Anne, James, Michael, Thomas und all die anderen mit ihren je eigenen Biografien nicht vergessen. Wir werden sie mitnehmen in die Versammlung. In Gedanken und mit Worten – und im Gebet.

Freitag, 3. Februar 2023

Heute geht es los. Tatjana Disteli und Helena Jeppesen reisen zusammen mit dem Zug nach Prag. Vierzehn Stunden sind sie unterwegs. Kurz vor der Abfahrt notiert Tatjana Disteli, was sie wenige Nächte zuvor geträumt hatte.

Im Vorfeld

Der synodale Traum

Zum allerersten Mal träumte ich von unserer Schweizer Delegation: Wir bereiten uns in einem hellen, grossen Raum auf die synodale Versammlung vor.

Pause.

Aus irgendeinem Grund zieht mich der riesige Wandschrank an. Ich öffne ihn, und sofort fallen mir mehrere Gegenstände entgegen: gebrauchte Kleider, Taschen, allerlei Krimskrams. Hoppla! Ich mache einen Satz nach hinten: «Da müssen wir jetzt aber mal ziemlich aufräumen!»

Bischof Felix schaut zu und fragt: «Was würdest du aus dem Schrank mitnehmen, wenn es nur ein einziger Gegenstand sein dürfte?»

Ohne lange zu überlegen sage ich: «Das Herz.»

Er hält kurz inne, lächelt und nickt: «Ja. Das passt.»

Tatjana Disteli (rechts) und Helena Jeppesen vor der Abfahrt nach Prag. | Foto: zvg
Eine ganz spezielle Haltestelle, entdeckt bei einem Zwischenhalt. | Foto: zvg

Freitag, 3. Februar 2023

Von Aufbruch und Vorurteil – Gottes Werk und Teufels Beitrag

Auf dem Weg nach Zürich treffe ich am Bahnhof auf eine alte Kollegin. Sie läuft gegen den Strom. Ursprünglich stammt sie aus Polen, aber sie lebt schon lange in der Schweiz. Ich rufe: «Hallo! Schade, können wir nicht kurz einen Kaffee miteinander trinken – gleich fährt mein Zug.»

Sie winkt ab: «Macht nichts, du gehst ja nach Prag. Damit will ich nichts zu tun haben.»

Ich konsterniert: «Weisst du denn, was da gemacht wird?» Kunstpause. «Man will sich erst einmal gegenseitig zuhören und dann den Dialog pflegen.»

«Jaja. Dazu habe ich eine völlig andere Meinung!», sagt sie mit abwehrender Handbewegung in meine Richtung.

Hä? Ich verstehe die Welt nicht mehr. Kennt sie mich doch schon ewig. Sie setzte sich immer gern zu mir, war empathisch und zugewandt. Diese ungewohnt abweisende – ja aggressive – Haltung kann ich schlicht nicht nachvollziehen.

Auf dem weiteren Weg denke ich immer wieder daran zurück. Was habe ich denn getan? Prag? Solch harte Reaktionen sahen ihr überhaupt nicht ähnlich. Schwarz und weiss. Klare Fronten von der ersten Sekunde an.

Es liess mir keine Ruhe. Ich fragte per WhatsApp nach. Sie antwortete rasch und freimütig: Der synodale, nein, ’suizidale‘ Weg sei das. Diese Veranstaltung löse in ihr eine Lawine von Schmerz aus.

Sie bezeichne sich als Traditionalistin. Leute wie sie würden nicht nach ihrer Meinung gefragt, alle anderen aber schon. Sie (!) seien treu. Diese ‚modernen‘ Forderungen innerhalb der heiligen katholischen Kirche seien des Teufels. Man nenne die Sünde nicht mehr beim Namen, wolle sie ’neu definieren‘. Dabei sei alles in der Bibel geoffenbart, immer gleichbleibend, seit 2000 Jahren.

Prag? «Mit Häresien und Lügen gibt es keinen Dialog.» Ihr würde die Petrusbruderschaft helfen, zu überleben.

Alles klar.

Donnerstag, 2. Februar 2023

Am Vorabend der Abreise

Liebesmahl

Abschiedsessen bei meiner 91-jährigen (evangelisch-reformierten) Mum.

Meine Teilnahme in Prag wühlt sie auf.

Bevor sie mich verabschiedet mit einem «Bhüet Di Gott», versetzt sie mich in ihre Kindheit zurück, in ihre Jugend, in ihr Erwachsenenleben:

«Weisst du, Tatjana, als Kind war ich ein sehr gläubiger Mensch. Mit meiner Kindheitsfreundin ging ich einfach mit in den katholischen Religionsunterricht. Ich hatte mir nichts dabei gedacht. Aber der Pfarrer schickte mich weg mit den Worten: „Du gehörst nicht hierher!“. Ich hatte es dir schon einmal gesagt, mein wunderbarer Vater war katholisch und wurde exkommuniziert, weil er über den Bach hinweg im Aargauer Erlinsbach meine reformierte Mama heiratete.

Und ich selbst musste ein Papier unterschreiben, dass ich meine eigenen Kinder katholisch erziehen würde. Und dann wolltest Du das auch noch studieren.»

Ich schluckte.

Und ich erinnerte mich daran, wie sie damals, während des Festgottesdienstes zum Abschluss des Theologiestudiums mit Bischof Kurt Koch, als einzige Person in der Bank sitzen blieb. Noch heute sehe ich sie ganz alleine da sitzen.

«Mama, es tut mir so leid…!»

Nein. Die für die Kirche schönste und wichtigste Feier der Gemeinschaft – und meine Mutter fühlt sich mutterseelenallein.

Das hat mir das Herz zerrissen.

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