09.12.2021

Adventskalender sind heute so vielfältig wie die Industrie, die daran verdient
Türchenzauber und Torheiten

Von Christian Breitschmid

  • Der gute alte Adventskalender aus Karton, mit Bildchen hinter jedem Türchen, hat ausgedient, so scheint es.
  • Digitale Formen sind auf dem Vormarsch. Auch die Aargauer Landeskirche und das Katholische Medienzentrum mischen da mit.
  • Der Detailhandel nutzt die Vorweihnachtszeit wie seinerzeit die Händler und Geldwechsler den Vorhof zum Tempel.

Kinder haben in aller Regel nur ein grosses Problem mit Weihnachten: das Warten darauf. Die Idee mit dem Adventskranz und den vier Kerzen, die ihnen zeigen sollen, wie lange es noch dauert bis Heiligabend, ist ja schön und gut, aber in der Kinderzeitrechnung entspricht eine Woche mindestens einem Erwachsenenjahr. Der Vorgänger des Adventskranzes war der Adventsleuchter. Eine zündende Idee, die auf den evangelischen Theologen Johann Hinrich Wichern (1808–1881) zurückgehen soll, der im Jahr 1838 im Betsaal des «Rauhen Hauses», einem Knabenrettungshaus in Hamburg, erstmals einen Leuchter mit 23 Kerzen (19 kleine, rote für die Werktage bis Weihnachten, vier dicke, weisse für die Sonntage) aufgehängt hat.

Der mit Kerzen etwas sparsamer, dafür mit Tannenreisig umso üppiger bedachte Adventskranz hat sich, jedenfalls in der Schweiz, durchgesetzt. Womit das Problem der endlos langen Zeit bis zur Bescherung für die Kinder jedoch nicht behoben wurde. Ab Mitte des 19. Jahrhunderts kamen Adventskalender auf, die das Zählen der Tage durch Abreissen oder Abstreichen ermöglichten. Der erste gedruckte Adventskalender wurde mutmasslich 1908 vom Verleger und Pfarrersohn Gerhard Lang aus Maulbronn in Württemberg hergestellt. Es war dies ein Kalender zum Selberbasteln. 24 Kalenderbildchen mussten vorher ausgeschnitten und in die passenden Rechtecke eines Pappkartons geklebt werden. Adventskalender mit Türchen zum Öffnen erschienen um das Jahr 1920 herum.

Kitsch und Glitter

Viele Leser werden sich noch erinnern an die herrlich kitschigen Sujets und an den Glitter, der an Händen und Kleidern kleben blieb bis weit über Weihnachten hinaus. Auch die kleinen Bildchen hinter den Türchen waren keine hochstehenden Kunstwerke. Aber wenn der Adventskalender am Fenster hing oder vor der Nachttischlampe stand, dann leuchteten diese Bilder wie kleine Glasfenster in allen Farben. Jeder Tag begann mit dem Gang zum Adventskalender, dem Öffnen des Türchens, dem Bestaunen des Bildchens und der sicht- und spürbaren Annäherung an Weihnachten.

Wer heute nach Adventskalendern dieser Art sucht, findet sie zwar noch, muss sich aber erst durch Türme, ach was, Berge von Adventskalenderalternativen durchkämpfen. Der Detailhandel verdient sich an Weihnachten ja eh eine goldene Nase, was aber in den Regalen heute als Adventskalender angepriesen wird, hat mit demütigem, christlichem Gedulden und stiller Vorfreude auf das zu erwartende Licht wenig gemein. Riesige Schachteln, gefüllt mit edelster Schweizer Schokolade, liegen im Wettstreit mit Konkurrenzprodukten aus dem benachbarten Ausland – springt die Überraschung nicht aus einem Ei aufs Kind, dann eben aus einem Adventstürchen. Für Kinder, die sich mit einem Stück Schokolade nicht zufrieden geben, gibt es Kalender mit anderen Geschenken darin. Das sind dann keine Türchen mehr, sondern schon eher Tore, und die Gaben dahinter machen die Bescherung am 24. eigentlich obsolet.

Adventskalender für jeden Geschmack

Adventskalender mit Schokolade darin gibt es auch schon seit 1958. Die Idee, den Kindern das Warten mit einem kleinen Stückchen Schokolade im wahrsten Sinne des Wortes zu versüssen, ist nicht abwegig. Ebenso wie die Bilder, die ursprünglich biblische Szenen und christliche Symbole zeigten, orientierten sich die Schokogüsse erst auch an diesen Vorlagen. Doch warum auf eine christlich sozialisierte Klientel beschränken, wenn man im selben Produktionszyklus noch so viele anders ausgerichtete Käufer gewinnen kann? Wer im Internet den Begriff «Adventskalender» googelt, befindet sich ruckzuck in einem Urwald von Angeboten: Adventskalender für Kinder, für Erwachsene, für Singles, für Frauen, für Männer, für Mitarbeiter, für Vorgesetzte, für Teenager, für Hunde, Katzen und andere Hausgenossen. Je mehr Geld man zur Verfügung hat, desto reicher sind die Kammern hinter den Türchen bepackt. Es gibt aber auch Websites, die einem zeigen, wie man einen Adventskalender selber basteln oder virtuell einrichten kann.

Und für alle empfindsamen Seelen sei hier noch speziell erwähnt, gleichsam als Vorwarnung vor dem Besuch der entsprechenden Websites, dass es auch Anbieter von Sexspielzeugen gibt, die sich am Weihnachtsgeschäft ihre Schnitte mit abschneiden, indem sie Adventskalender anbieten für aufgeschlossene Paare, die das Fest der Liebe mit Artikeln aus dem entsprechenden Katalog noch etwas prickelnder gestalten wollen. Jedem das Seine, auch unter dem Weihnachtsbaum. Auf der Website des Aargauer Pfarrblatts Horizonte muss es allerdings erlaubt sein, darauf hinzuweisen, dass die Adventszeit in der christlichen Tradition eine Zeit der Besinnung, der Stille, des Wartens, auch der Zurückhaltung und des Verzichts ist. Sicher ist die Liebe wichtig in dieser Zeit. Gemeint ist aber vornehmlich die christliche Nächstenliebe, die Agape, und weniger die körperliche Liebe, der Eros.

Neue, digitale Adventskalender

Wer den Adventskalender weiterhin als christlichen Wegbegleiter auf dem Weg hin zu Weihnachten für sich, seine Kinder oder Kindeskinder nutzen, dabei aber mit der Zeit gehen will, der findet im weltweiten Netz zum Glück auch sinnvolle und nicht kommerzielle Angebote. So hat zum Beispiel die Römisch-Katholische Kirche im Aargau dieses Jahr zum ersten Mal einen digitalen Adventskalender eingerichtet (Horizonte berichtete). Jeden Tag verbirgt sich hinter den digitalen Türchen ein weiteres Kapitel der Geschichte «Marias kleiner Esel». Dazu gibt es eine Anregung für Aktivitäten mit Kindern und einen Impuls für Erwachsene.

Das Katholische Medienzentrum kath.ch fragt in seinem Adventskalender 2021: «Was ist Ihnen im Advent wichtig? Was gibt Ihnen Kraft?» Und fügt an: «Die Adventszeit besteht dieses Jahr aus 27 Tagen. Bis Heiligabend erhalten Sie 27 Antworten. Öffnen Sie täglich ein neues Türchen im Adventskalender und erfahren Sie, wie bestärkend und mutmachend der Advent sein kann.» Das ist nicht zuviel versprochen. Erfahrene Theologen, erprobt in Lehre und Praxis, vermitteln durch ihre Impulse das Wesen und Ziel des Advents.

Seit 18 Jahren schon bietet die Fachstelle Jugend der katholischen Synode Solothurn einen SMS-Adventskalender an. Kath.ch hat bei Naemi Geiser, Praktikantin bei juse-so, der Fachstelle Jugend der Römisch-Katholischen Synode Solothurn, nachgefragt, ob SMS im WhatsApp-Zeitalter noch zeitgemäss seien. Ja, sagt Geiser, denn eine SMS sei für junge Leute heute etwas Besonderes: «Ein SMS ist fast retro und sticht zwischen den verschiedenen Apps wie WhatsApp, Instagram, Snapchat oder Tiktok hervor. Eine SMS zu erhalten ist heutzutage nicht mehr alltäglich, ja es ist fast etwas Ungewohntes. Genau das weckt die Neugier, die Nachricht nicht ungelesen zu lassen.» Den ganzen Beitrag lesen Sie hier.

Horizonte-Broadcast kommt wieder

Auch Horizonte hat vor drei Jahren erstmals einen Adventsbroadcast via WhatsApp lanciert. Das Angebot wurde im Kirchenaargau und weit darüber hinaus so gut aufgenommen, dass es daraus auch noch einen Osterbroadcast während der Fastenzeit gab. Leider musste dieses Angebot aus personellen Gründen dieses Jahr ausfallen. Wer sich aber für den Broadcast früher schon angemeldet hat, bleibt im Verteiler. Sobald es die personellen Ressourcen wieder zulassen, wird auch Horizonte diese digitale Dienstleistung sicher wieder anbieten.

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