18.02.2016

«unglaublich befreiend»

Von Anne Burgmer

Schon in den 60er Jahren forderten visionäre Mitglieder der Synode ein Bildungszentrum für Erwachsene. Gestärkt durch den Geist des 2. Vatikanischen Konzils waren sie davon überzeugt, dass Glaubensbildung für alle notwendig ist. Dieser Enthusiasmus stand an der Wiege der katholischen Bildungsarbeit im Aargau, heute besser bekannt unter dem Label «Bildung und Propstei»

«Zu Beginn wurde die Propstei als Bildungszentrum für kirchliche Gruppen gegründet. KAB, Kolping, der Frauenbund und Pfarreiräte kamen ins Haus. Gleichzeitig war die Gründungsgeneration aber so weitsichtig, dass die Propstei auch für gesellschaftliche Gruppen offen stand», sagt Claudia Mennen. Seit 2007 ist sie die Leiterin der Propstei und der Fachstelle Bildung und Propstei, die zweite Frau und fünfte Leitungsperson insgesamt seit Gründung des Bildungshauses. Der Ansturm auf Veranstaltungen zu theologischen Themen, Glaubenskurse, Weiterbildungen für Ehrenamtliche in der Liturgie war am Anfang so gross, dass man beschloss, Bildungsverantwortliche in die einzelnen Aargauer Regionen zu schicken.

Immer auf dem Weg
Das Konzept ging auf. Noch heute organisiert die Fachstelle Bildung und Propstei Kurse und Bildungsveranstaltungen vor Ort in den Pfarreien und in der Propstei Wislikofen. Allerdings haben sich die Prioritäten verschoben. Gab es in den 70er Jahren eine grosse Nachfrage nach Glaubenskursen und in der Ausbildung von Freiwilligen, wurden in den 80ger Jahren die Frage nach Gerechtigkeit, Frieden und Schöpfungsbewahrung populär. In den 90ger Jahren wurde eine «Frauenstelle» geschaffen, die sich heute mit Fragen um das Frau oder Mannsein, sowie mit der Gleichberechtigung von Schwulen und Lesben in der Gesellschaft beschäftigt.

Nicht nur das Bildungsprogramm unterliegt dem Wandel, auch die Propstei muss mit der Zeit gehen und sich immer wieder neu fragen, wie sie ihre kirchliche Herkunft für die Gäste sichtbar und spürbar macht. Im vergangenen Jahr wurde eine neue Strategie entwickelt. Darin geht es um Nachhaltigkeit, ökologisches Bewusstsein, Regionalität im Einkauf und Saisonalität in der Küche. Ein caritatives Projekt wurde mit Hilfe der Gäste unterstützt und ein Programm entwickelt, das nichtkirchliche Gruppen nachfragen können. «Das sind Angebote zur Burnout-Prophylaxe, Einführung in die Kultur der Stille, Impulse aus der Benediktsregel für eine menschliche Unternehmenskultur sowie Hausführungen, die den Geist der Benediktiner näher bringen möchten. Das Haus wird so zum umfassenden Glaubenszeugnis», erklärt Claudia Mennen.

Bildungsverständnis
Liest man sich durch den Veranstaltungskalender und die einzelnen Kurstitel, erweckt es manchmal den Eindruck es werde weniger Bildung als Wellness angeboten: Shibashi, Jin Shin Jyutsu, Atemkurse – ist das noch Bildung? Claudia Mennen lacht. «Das Bildungsverständnis hat sich in den letzten vierzig Jahren grundlegend verändert. Wurde Bildung zuvor mit kognitiver Wissensvermittlung von oben nach unten identifiziert, bedeutet Bildung heute, an den Alltags- und Lebenserfahrungen der Menschen anzuknüpfen. Männer und Frauen wollen nicht nur wissen, dass der Glaube trägt, nein sie wollen es vor allem erfahren mit Leib und Seele. Ein Mensch, der sich besser spürt und wahrnimmt, kann auch besser Nein sagen und sich vertreten, sei es in der Kirche oder der Gesellschaft. Beim Bildungsverständnis der Fachstelle geht es um Ermächtigung und Wachstum basierend auf den befreienden biblischen Traditionen. Unglaublich befreiend eben!»

Themenvielfalt
Erfahrungsorientierte Zugänge sind gefragt. Menschen, die an den Kursen teilnehmen, sollen am eigenen Leib erfahren können, dass ein gelingendes Leben in der zunehmend komplexen Welt möglich ist. Neben Claudia Mennen widmen sich zurzeit fünf weitere Erwachsenenbildner dem umfassenden Programm leibseelischer Bildung. Claudia Nothelfer, Susanne Andrea Birke, Bernhard Lindner, Jürgen Heinze und Kurt Adler gestalten das vielfältige Angebot: Familien, Männer, Frauen, Paare, Menschen in bestimmten Alters- und Lebensabschnitten – für jede und jeden ist etwas dabei. Anders sind die Themen, wenn Aargauer Pfarreien die Theologinnen und Theologen buchen. «Da geht es um Weiterbildung für Freiwillige, Beratung und Organisationsentwicklung, die Fortbildung bestehender Gruppen in einer Pfarrei oder auch psychosoziale Prozessthemen», zählt Claudia Mennen auf. Bildung und Propstei merkt allerdings, dass die Nachfrage nach inhaltlichen Angeboten vor dem Hintergrund der Pastoralraumbildungen nachgelassen hat. «Die Gründung der Pastoralräume bindet zurzeit viele Kräfte. Da bleibt wenig Zeit und Kraft für anderes, schönes, für Bildung eben», sagt Claudia Mennen.

Zukunftshoffnung
Und die Zukunft der Fachstelle Bildung und Propstei? «Zunächst machen wir auf das Jubiläum hin mit einzelnen Pfarreien und Gruppierungen ein Projekt zu «unglaublich befreienden» Erfahrungen in der Pfarrei oder in der Kirche. Wir beschäftigen uns so oft mit Kritischem und Schwierigen, dass ermächtigende und ermutigende Erfahrungen in den Hintergrund treten», erklärt Claudia Mennen. Für die Zukunft stehen drei grosse Herausforderungen im Zentrum: die Gestaltung der Nahraumpastoral, d.h. wir brauchen einen Schub pastoraler Phantasie, damit die kleinen Pfarreien lebendig bleiben. Die Integration von Flüchtlingen ist ein Megathema auch für die Bildungsarbeit. Und die Frage der Gerechtigkeit zwischen Männern und Frauen, für Menschen unterschiedlicher sexueller Orientierung sowie zwischen Mensch und Schöpfung.

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