10.03.2014

Unsere Kleidung ist rechtsfreie Zone

Von Horizonte Aargau

Das kirchliche Hilfswerk Fastenopfer lanciert zusammen mit seinen ökumenischen Partnern die ökumenische Kampagne 2014 gemäss dem Slogan: Die Saat von heute ist das Brot von morgen. Im Fokus steht die Generationensolidarität. Shatil Ara (34) aus Bangladesh ist Mitarbeiterin der Fair Wear Foundation, zu deren Schweizer Gründungsmitgliedern Brot für alle und Fastenopfer gehören.

Die erwähnte Foundation kämpft unerschrocken für die Rechte der Angestellten in den Textilfabriken ihres Landes, wie Shatil Ara imInterview berichtet. Das kirchliche Hilfswerk Fastenopfer lanciert zusammen mit seinen ökumenischen Partnern die ökumenische Kampagne 2014 gemäss dem Slogan: Die Saat von heute ist das Brot von morgen. Im Fokus steht die Generationensolidarität. Shatil Ara (34) aus Bangladesh ist Mitarbeiterin der Fair Wear Foundation, zu deren Schweizer Gründungsmitgliedern Brot für alle und Fastenopfer gehören. Die erwähnte Foundation kämpft unerschrocken für die Rechte der Angestellten in den Textilfabriken ihres Landes, wie Shatil Ara imInterview berichtet.

Frau Ara, Sie kämpfen für die Rechte der Arbeiterinnen und Arbeiter, die für Hungerlöhne unsere Kleider in Bangladesh produzieren. Was motiviert Sie dazu?
Shatil Ara: Meine Motivation kommt von meinem Grossvater. Er war eine wichtige Person in der kommunistischen Partei. Sein ganzes Leben lang setzte er sich für Rechte der landlosen Bauern ein. Ich habe die Arbeitsbedingungen der Menschen gesehen, die Kleider produzieren. Während sechs Monaten habe ich in einer solchen Fabrik gearbeitet und das Ausmass der Ausbeutung kennengelernt. Ich habe mich bald einmal gefragt, ob unser Land tatsächlich von diesem Wirtschaftszweig profitiert; welches die tatsächlichen Kosten der Kleiderproduktion für Bangladesh sind, wenn man die Ausbeutung von Arbeitskraft und der Umwelt sowie den Energieverbrauch in Betracht zieht.

Welche sind dabei die grössten Herausforderungen Ihrer Arbeit für mehr Gerechtigkeit in der Kleiderproduktion?
Zu unserer Arbeit gehören unter anderem die Schulung von Managern in den Fabriken und die Ausbildung staatlicher Industrieinspektoren, die die Einhaltung der Sozialstandards überwachen sollen. Die wichtigste Herausforderung besteht darin, die Mentalität der Menschen zu ändern und zugleich die Sache der Arbeitsrechte dank der Ausbildungsprogramme für Arbeiter und Arbeiterinnen voranzubringen. Es ist hier seit Jahrzehnten üblich, die Rechte der arbeitenden Bevölkerung zu verletzen. Vor allem betroffen sind die Gruppen mit niedrigem Einkommen. Sie haben am wenigsten zu sagen. Wenn Diskriminierung und Missachtung von echten Ansprüchen in einer bestimmten Gesellschaft oder in einem bestimmten Bereich über Jahre anhalten, dann werden diese gleichsam informell institutionalisiert.

Kennen die Betroffenen ihre eigenen Rechte?
In der Öffentlichkeit werden die Arbeiterrechte kaum wahrgenommen. Auch wer am Ende der sozialen Leiter steht, kennt sie nicht. Wenn wir aber beginnen, die Arbeiterinnen zu schulen, sind sie bald frustriert, weil man ihnen ihre Rechte nicht anerkennt. Oder sie suchen in einer gewalttätigen Reaktion zu ihren Rechten zu kommen. Es kommt aber auch vor, dass sie den Beschluss fassen, die missliche Situation auf sich zu nehmen, weil sie fürchten, ihren Arbeitsplatz zu verlieren.

Was unternimmt der Staat für die benachteiligten Arbeiterinnen und Arbeiter?
Unser Staat gehört zu jenen, die keine Garantie dafür übernehmen, dass das offizielle institutionelle System auch funktioniert. Es gibt zum Beispiel kein Arbeitsgericht, an das sich die Arbeiter wenden könnten. Die Gewerkschaften sind schwach. So gibt es für die Arbeiter keinen Weg, um zu ihrem Recht zu kommen. In den Fabriken, die Kleider herstellen, ist das Klagerecht nicht entwickelt. Die Angestellten sehen sich gezwungen, den Weg des gewalttätigen Konflikts zu wählen und auf soziale Mobilisation zu setzen. Immer wieder verlieren sie ihre Anstellung oder werden zu Opfern von Belästigungen und Übergriffen. Und das einzig darum, weil sie ihre legitimen Rechte einfordern.

Sie führen Ausbildungen durch, damit die Arbeiterinnen und Arbeiter ihre Rechte kennenlernen. Wie sehen diese aus?
Unsere Sensibilisierungs- und Ausbildungsprogramme umfassen drei Bereiche. Zunächst arbeiten wir mit den Eigentümern und der Leitung der Textilbetriebe. Dann schulen wir gleichzeitig die Arbeiter und die mittleren Kader. Schliesslich helfen wir den Fabriken, Mechanismen zu schaffen, die den Umgang mit Klagen effizient gestalten. Dieses System engagiert die Arbeiter ganz direkt im Rahmen der «Vertretungen der Angestellten». So kann Transparenz hergestellt werden und die Arbeiter erhalten eine Stimme. Zu guter Letzt stellt Fair Wear Foundation den Arbeitern ein Sicherheitsnetz zur Verfügung. Sie erhalten eine Telefonnummer, die sie anrufen können, falls ihre Rechte verletzt werden.

Welche direkten Kontakte haben Sie zu den Unternehmen?
Wir laden die Besitzer und die Leitungen der Fabriken ein, an Ateliers und an Ausbildungen teilzunehmen. Dann verpflichten sich die Kleiderfirmen mit einem Vertrag, das Ausbildungsprogramm in ihren Fabriken durchzuführen. Die Parlamentsabgeordneten sind den Unternehmungen gut gesinnt. Etwa 60% sind direkt oder indirekt an Kleiderfabriken beteiligt. Von ihrer Seite gibt es einige Vorstösse zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen auf dem Gebiet der Kleiderproduktion für den Export. Doch genügen diese Vorstösse bei weitem nicht. Die kürzliche Abänderung des Arbeitsrechts in Bangladesh war heiss umstritten. Die Gewerkschaften und die Gruppen für die Verteidigung der Menschenrechte empfinden das neue Gesetz als gegen die Gewerkschaften gerichtet. Es stehe allein im Dienst der Unternehmen.

In der Schweiz dreht sich die Diskussion um bestimmte Marken. Wissen die bengalischen Arbeiter überhaupt, für welche Kleidermarke sie arbeiten?
Meistens ist das nicht der Fall. Die Arbeiter können nur die Etikette wahrnehmen. Viele Kleidermarken schicken bloss die Etiketten, die dann aufgenäht werden müssen. Besonders für die Frauen, die meist nur über wenig Bildung verfügen, ist es unmöglich, sich an die hunderte Etiketten und Kleidermarken zu erinnern. Wer für H&M arbeitet, kann sich vielleicht an diese Marke erinnern. Die Produkte der Firma C&A aber laufen unter verschiedensten Marken.

Johanna Monney und Thomas Morus Huber

Fair Wear Foundation
Die Fair Wear Foundation (kurz FWF, «Organisation für faire Kleidung») ist eine Initiative verschiedener Akteure, welche die Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Kleidungs- und Textilindustrie zum Ziel hat. Auf der Webseite finden sich bei uns erhältliche Textilmarken, welche die seitens der Foundation vorgegebenen arbeitsrechtlichen Vorgaben in den Produktionsländern umsetzen.
www.fairwear.org

Themen Ethisches
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