09.11.2016

Unterwegs in der multikulturellen Schweiz

Von Carmen Frei

Die Essenz dessen, was für ihn Heimat ausmacht, entwickelte sich nicht zuletzt durch die Arbeit an den 16 Reden, die Peter Wertli in seinem Leben zum 1. August gehalten hat. Das Fazit des langjährigen Regierungsrats des Kantons Aargau: Heimat ist eng gekoppelt an Freiheit und Verantwortung.

Aufgewachsen ist Peter Wertli zusammen mit zwei älteren Schwestern und einem jüngeren Bruder in Aarau. Dort hat er die Schulen besucht, war in der Pfadi, als Ministrant und später im Militärdienst aktiv. «Stadt und Gassen sind mir vertraut», schmunzelt der 73-Jährige, der bis heute viele Freundschaften aus der Jugendzeit pflegt. Nach dem Studium der Rechtswissenschaften an der Universität Zürich kam er als Gerichtsschreiber ans Bezirksgericht Bremgarten und verheiratete sich 1971 mit der Bremgarterin Irène Aeschlimann. Bald wurden sie Eltern von Michael und Philipp und bauten in Zufikon das erste Eigenheim. «Noch heute bin ich jedes Jahr am Zufiker Waldumgang dabei.» Peter Wertli wurde Präsident am Bezirksgericht Bremgarten, 1984 Aargauischer Oberrichter und 1988 in den Regierungsrat des Kantons Aargau gewählt. «Vor dieser Zeit war mir der Raum Aarau und das Freiamt vertraut. Als Regierungsrat und vor allem als dreimaliger Landammann lernte ich auch die anderen Regionen des Kantons besser kennen. Dies empfand ich als wertvoll und bereichernd», so der Leutselige. «Heimat ist für mich da, wo ich mich wohl und geborgen fühle», wird Peter Wertli konkret. Er sagt aber auch Sätze wie: «Heimat ist nicht einfach, sie muss werden und kann wachsen» oder «Heimat ist da, wo ich Vertrauen und innere Freiheit spüre.»

Freiheit ist keine Worthülse

«Doch es reicht nicht, Freiheit zu haben. Vielmehr sind wir aufgerufen, sie bewusst und aktiv zu leben. Freiheit stirbt an der Gleichgültigkeit.» Solche Aussagen sind für Peter Wertli keine Worthülsen, sondern Erfahrung. Schon als Bub erlebte er, wie seine Mutter, die als Lehrerin tätig war, sich insbesondere der Ausländerkinder annahm und sich dafür einsetzte, dass deren Väter Arbeit fanden, dass die fremden Familien Vertrauen zu den Einheimischen fassen konnten. Stark knüpfte Peter Wertli während seiner Zeit am Bezirksgericht Bremgarten an dieser mütterlichen Einstellung an und nahm Menschen jeglicher Art stets als Person und Persönlichkeit wahr. «Schliesslich ist der Einzelne nur frei in dem Masse, als auch die Anderen frei sind», ist er überzeugt.

Grösse heisst Verantwortung

Heimat – Freiheit – Verantwortung. Zum letzten Wort im Dreiklang meint Peter Wertli: «Freiheit ist untrennbar gekoppelt mit Verantwortung gegenüber Mensch, Gemeinschaft und Umwelt. Nur wer diese Verantwortung wahrnimmt, kann überzeugend Freiheit für sich beanspruchen.» Auch hier hält Peter Wertli, was er verspricht. Seine Vita beinhaltet eine reiche Auswahl an ehemaligen und aktuellen nebenberuflichen Tätigkeiten – vom Schulpflegemitglied über Verwaltungsratsmandate bis hin zu Präsidien von Vereinen und Stiftungen im kulturellen und sozialen Bereich. Zum Ausgleich setzt er sich gerne aufs E-Bike und radelt um den Zugersee, geht wandern oder gönnt sich ein gutes Buch.

Vom Exotischen

Gibt es denn im Leben eines so heimatverbundenen Menschen wie Peter Wertli überhaupt Exotik? «Das Gefühl von Fremdsein im engeren Sinn, von beängstigender Fremdheit habe ich tatsächlich nie erlebt», bekennt er. «Höchstens wo Sprachbarrieren bestehen, komme ich mir im ersten Moment etwas verloren vor.» Darum bevorzugt er beispielsweise in Ländern, deren Sprache er nicht versteht, geführte Reisen. Im zweiten Anlauf jedoch kann Peter Wertli auf seine Kontaktfreudigkeit vertrauen. «2013 hielt ich meine letzte 1. August-Rede und stellte jene Menschen ins Zentrum, die bei uns Zuflucht suchen. Ich bin der Meinung, dass wir nicht alle bei uns aufnehmen können. Aber wir können allen so respektvoll begegnen, dass ihnen in fremder Umgebung wohler ist. Es muss uns ein Anliegen sein, auch für andere Heimat zu schaffen.» Überdies befremden Peter Wertli Menschen aus der Ferne bedeutend weniger als etwa die schwindende Toleranz und der immer aggressivere Umgang innerhalb unserer Gesellschaft: «Freiheit verlangt nach Ausgewogenheit zwischen Individualismus und Gemeinsinn.»

Wurzeln im Glauben

Gemeinsinn ist ein gutes Stichwort, um den Aspekt Glauben ins Gespräch mit Peter Wertli zu bringen. «Unser Elternhaus war sehr gläubig und so bin ich von Kindsbeinen an mit der Religion verbunden.» Die Religion kann seiner Meinung nach dazu beitragen, dass man sich in Wertvorstellungen beheimatet fühlt, die einem entsprechen. Peter Wertli, der sich noch immer regelmässig mit Weggefährten zum «Militär-Jass» und zum «Pfarrherren-Jass» trifft, hadert durchaus mit den teils sehr konservativen Elementen der römisch-katholischen Kirche, ist aber gleichwohl überzeugt: «Viele haben diese religiös verankerten Wertvorstellungen verloren. Sie leben oberflächlich, nicht mehr verwurzelt. Doch genau diese Verwurzelung gibt Halt und hilft, dass es einem nicht bei jedem Windstoss gleich aus der Bahn wirft.»

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