10.11.2016

Unterwegs in der multikulturellen Schweiz

Von Christa Amstutz

Meral Kureyshi, 33, lebt in Bern. 2015 erschien ihr Debütroman «Elefanten im Garten», der für den Schweizer Buchpreis nominiert war und mit dem Berner Literaturpreis ausgezeichnet wurde.

«Mit dem Begriff Heimat kann ich wenig anfangen. Eigentlich geht es immer nur um die Menschen, die man liebt und die man vermisst, wenn sie nicht da sind. Bis ich zehn Jahre alt war, lebte ich in Prizren im Kosovo. Dann kamen wir in die Schweiz.

Der Krieg hat alles verändert

Es war nicht die Trennung von diesem Ort, diesem Land, die mich schmerzte. Wären all meine Freundinnen, Cousins und Cousinen, die Grosseltern mitgekommen, hätte ich damals viel weniger gelitten.

Prizren ist eine schöne Stadt, inzwischen ist sie mir aber eher fremd. Ich fahre zwar ein-, zweimal im Jahr hin, auch weil mein Vater dort begraben ist. Aber der Ort meiner Kindheit ist nicht mehr derselbe. Der Krieg, vor dem wir geflüchtet sind, hat vieles verändert. Vor allem aber decken sich die Gefühle und die Erinnerungen, die ich mit meiner ersten Heimat verbinde, nicht mehr mit der Realität. Ganz einfach, weil ich kein Kind mehr bin.

Wenn Sprache Heimat sein kann, habe ich viele Heimaten. Ich bin von Anfang an mehrsprachig aufgewachsen. In Prizren sprach ich zu Hause Türkisch, in der Schule Serbisch und schon früh lernten wir dort Russisch. In der Schweiz kamen Berndeutsch und Deutsch hinzu, Französisch, und Englisch, Italienisch und Latein.

Schreiben in vielen Sprachen

Mein erstes Buch habe ich auf Deutsch geschrieben, weil ich wollte, dass es hier erscheint. Aber was ich täglich notiere – Gedanken, Ideen, Gedichte –, schreibe ich in vielen Sprachen. Wie es halt grad kommt. Deutsch ist wohl schon die Sprache, die ich inzwischen am besten beherrsche. Es ist meine Muttersprache. Aber meine Mutter spricht kein Deutsch.

Lieber als von Heimat zu sprechen, sage ich: In Bern bin ich «dehei». Hier sind viele meiner Freunde, mein Mann, meine Familie, hier ist meine Wohnung. Ich geniesse es, viel reisen zu können und doch ein Zuhause zu haben. Dass ich so leben kann, wie es mir entspricht, ist erst so, seit ich mit meinem Buch Erfolg hatte. Das ist ein grosses Glück, für das ich sehr dankbar bin.

Eher Heimweh als Heimat

Jetzt bin ich viel unterwegs in der Welt, ein paar Wochen oder auch drei Monate lang. Überall habe ich Beziehungen. Mit dem Begriff Heimweh kann ich mehr anfangen als mit Heimat. Heimweh habe ich oft. Wenn ich in Berlin bin, vermisse ich Bern. Bin ich zurück, fehlen mir die Freunde und die Familie in Berlin.

Ich habe immer noch einen serbischen Pass. Das Einbürgerungsverfahren in der Schweiz ist aufwendig und teuer. Aber ich sollte ich mich endlich darum kümmern. Denn ich kann weder abstimmen noch wählen. Angesichts der politischen Entwicklungen in den letzten Jahren wäre es mir aber sehr wichtig, mitentscheiden zu können.

Ich vermisse das Meer

An der Landschaft kann es nicht liegen, dass ich mich in Bern am meisten zu Hause fühle. Denn ich vermisse das Meer. Manchmal möchte ich alle Menschen, die ich liebe, in ein Auto packen und mit ihnen irgendwohin ans Meer fahren. Ans Mittelmeer, vielleicht aber auch an die Nordsee. Ich mag mich nicht festlegen.

Das war schon immer so. Als ich noch zur Schule ging, gab es diese «Meine Freunde»-Bücher. Dort sollte man die Lieblingsmusik, die Lieblingsfarbe, das Lieblingstier und andere Lieblingsdinge nennen. Ich konnte und wollte mich nicht entscheiden. Es gab so vieles, was ich mochte. Deshalb liegen nun einige dieser Bücher immer noch bei mir auf dem Estrich.»

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